Carine Germond: Partenaires de raison? Le couple France-Allemagne et l'unification de l'Europe (1963-1969) (= Pariser Historische Studien; Bd. 101), München: Oldenbourg 2014, 391 S., ISBN 978-3-486-70940-7, EUR 49,95
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Auf die zentrale Rolle der deutsch-französischen Beziehungen in der europäischen Einigungspolitik wurde im Zusammenhang mit den Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag der Unterzeichnung des Elysée-Vertrages 2013 nicht nur von Politikern nachdrücklich hingewiesen; auch in zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen befasste man sich mit dem Vertrag und mit der Rolle, welche die deutsch-französische Kooperation im europäischen Integrationsprozess spielte. In diesen Forschungskontext ist auch Carine Germonds Studie zu den deutsch-französischen Beziehungen der Jahre 1963 bis 1969 zu verorten, deren zeitlicher Rahmen quasi eine Brücke zwischen den Arbeiten von Ulrich Lappenküper [1] und Claudia Hiepel [2] bildet.
Das Buch, welchem eine bereits 2009 an der Universität Straßburg verteidigte Doktorarbeit zugrunde liegt, gliedert sich in drei Hauptteile, die wiederum in einzelne, jeweils mit einem Zwischenfazit versehene Unterkapitel aufgeteilt sind. Der knapp gehaltenen Einleitung folgt ein erster, "Menschen und ein Vertrag" überschriebener Abschnitt, in welchem biographische Aspekte der politischen Hauptakteure und die Entstehungsumstände sowie die Umsetzung der Bestimmungen des Elysée-Vertrags geschildert werden. Die beiden folgenden Abschnitte beleuchten chronologisch die Entwicklung der bilateralen Beziehungen und der europapolitischen Konzeptionen beider Regierungen, wobei der Regierungswechsel des Jahres 1966 in Bonn als Zäsur dient, um zwischen der "schwierigen Partnerschaft (1963-1966)" und dem "Einvernehmen aus Vernunft (1966-1969)" zu unterscheiden.
Die Studie basiert auf einer breiten, beeindruckenden Quellenforschung in öffentlichen und privaten Archiven beider Länder, so dass die Autorin auf eine reichhaltige Materialfülle zurückgreifen und viele neue Details zu den deutsch-französischen Verhandlungen jener Zeit liefern kann. Dabei stehen nicht nur die Akteure, Entwicklungen und Strukturen der deutsch-französischen Beziehungen innerhalb des durch den Elysée-Vertrag vorgegebenen Rahmens im Mittelpunkt der Betrachtung, sondern besonders auch deren Einbettung in den europäischen Einigungsprozess unter den Rahmenbedingungen der internationalen Entspannungspolitik. Die unterschiedlichen Interessen und die Unfähigkeit der beiden Regierungen, in zentralen europäischen und internationalen Fragen eine gemeinsame Position zu finden, waren, so die zentrale These, entscheidend für die Stagnation des europäischen Einigungsprozesses bis 1969 verantwortlich.
Kritisch anzumerken ist allerdings, dass der Erkenntnisgewinn der quellengesättigten Darstellung eher überschaubar ist: Auch wenn manches bislang unbekannte Detail beleuchtet und differenziert betrachtet wird, bestätigen sich letztlich die Ergebnisse früherer Arbeiten. [3] Bedauerlich ist zudem, dass die Auswahl der relevanten Fachliteratur offensichtlich nur selektiv erfolgt ist und für die Drucklegung lediglich rudimentär überarbeitet wurde. [4]
Fragen stellen sich auch hinsichtlich der Methodik: Zwar kündigt die Autorin in der Einleitung eine sowohl die Entwicklung der europäischen Integration als auch die internationalen Beziehungen berücksichtigende Analyse an, welche sie, in Anlehnung an die Konzeption der "histoire croisée", als "étude croisée" bezeichnet (17f.). Faktisch liegt der Arbeit jedoch eine stark personalisierte Betrachtungsweise zugrunde, die von Germond unter anderem damit begründet wird, dass die "offizielle Politik Frankreichs zu dieser Zeit noch stark durch den politischen Willen des General de Gaulle beherrscht" worden sei (15). Ein primär diplomatiegeschichtlicher Ansatz hat ohne Zweifel durchaus seine Berechtigung [5]; ob darin allerdings, wie angekündigt, ein neuartiges methodisches Vorgehen erkennbar wird, könnte zumindest hinterfragt werden.
Die Grenzen des innovativen Anspruchs zeigen sich besonders im ersten Kapitel, in welchem anhand der "generationsprägenden Erfahrung der deutsch-französischen Kriege" und anderer "Faktoren der politischen Sozialisierung" Charakterbilder der im Vordergrund agierenden Politiker entworfen werden, welche die Autorin in drei Kategorien einteilt: Präsident und Bundeskanzler, die Außenminister sowie die Botschafter. Entscheidungsträger aus der zweiten Reihe - es wäre an Namen zu denken wie Horst Osterheld oder Josef Jansen auf deutscher bzw. Michel Habib-Deloncle oder Charles Lucet auf französischer Seite - tauchen nicht auf.
Außerdem werden einige Thesen aufgestellt, die nur unzureichend belegt sind und sich dem Leser nicht so ohne weiteres erschließen. Dies gilt für die Spekulationen, ob Außenminister Schröder de Gaulle bereits in den 1920er Jahren getroffen habe (27), ebenso wie für die Behauptung, dass nicht zuletzt Kiesingers katholische Prägung dafür verantwortlich gewesen sei, dass er eine enge Verbindung mit Frankreich anstrebte. Diesbezüglich wird eine direkte Linie zu Adenauer konstruiert (36). Hier wäre nicht nur ein Nachweis, sondern auch eine Differenzierung angebracht, zumal Kiesinger, der sich selbst aufgrund seiner Herkunft aus einer gemischt-konfessionellen Ehe als "evangelischer Katholik" bezeichnete, innerhalb der Union nicht nur als Vermittler zwischen den Konfessionen auftrat, sondern auch im Streit zwischen Atlantikern und Gaullisten als "Vertreter der Mittellinie" [6] galt. Störend wirken außerdem einige begriffliche Ungenauigkeiten: So ist die Bezeichnung "Achse" keineswegs ein Synonym für den deutsch-französischen Motor (11), sondern war ursprünglich eine Reaktion der osteuropäischen Propaganda auf den Abschluss des Elysée-Vertrags mit einer bewussten Reminiszenz an die "Achse Berlin-Rom". Speziell für den deutschsprachigen Leser irritierend ist, wenn Kiesinger im Hinblick auf die britische EWG-Kandidatur als "herrlicher Makler" charakterisiert wird (247) - eine Verifizierung des Zitats hätte ergeben, dass Kiesinger dem britischen Premierminister Wilson im Februar 1967 zusagte, dass die Bundesregierung als "ehrlicher Makler" [7] auftreten wolle.
Alles in allem ergibt sich somit ein ambivalenter Gesamteindruck der ohne Zweifel kenntnis- und materialreichen, an manchen Stellen allerdings eher essayistisch verfassten und ihren methodischen Ansprüchen nur bedingt gerecht werdenden Untersuchung.
Anmerkungen
[1] Ulrich Lappenküper: Die deutsch-französischen Beziehungen 1949-1963. Von der "Erbfeindschaft" zur "Entente élémentaire", 2 Bde., München 2001.
[2] Claudia Hiepel: Willy Brandt und Georges Pompidou. Deutsch-französische Europapolitik zwischen Aufbruch und Krise, München 2012.
[3] Vgl. insbesondere: Reiner Marcowitz: Option für Paris? Unionsparteien, SPD und Charles de Gaulle 1958 bis 1969, München 1996.
[4] An vor 2009 erschienenen Publikationen fehlt beispielsweise zum Thema deutsche Teilung: Ulrich Pfeil: Die "anderen" deutsch-französischen Beziehungen. Die DDR und Frankreich 1949-1990, Köln 2004; im Zusammenhang mit der französischen NATO-Politik sollte auch erwähnt werden: Frédéric Bozo: Deux stratégies pour l'Europe. De Gaulle, les États-Unis et l'Alliance atlantique 1958-1969, Paris 1996. Die nach 2009 erschienene Untersuchung von Philip Bajon (Europapolitik "am Abgrund". Die Krise des "leeren Stuhls" 1965-66, Stuttgart 2012) wird in der Bibliographie zwar aufgeführt, inhaltlich aber nicht berücksichtigt, während andere wichtige Werke überhaupt keine Erwähnung finden, v.a. Hélène Miard-Delacroix: Im Zeichen der europäischen Einigung. 1963 bis in die Gegenwart, Darmstadt 2011; Corine Defrance / Ulrich Pfeil: Eine Nachkriegsgeschichte in Europa 1945 bis 1963, Darmstadt 2011; Ulrich Krotz / Joachim Schild: Shaping Europe. France, Germany, and Embedded Bilateralism from the Elysée Treaty to Twenty-First Century Politics, Oxford 2013.
[5] Ulrich Lappenküper: Primat der Außenpolitik. Die Verständigung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich 1949-1963, in: Geschichte der internationalen Beziehungen. Erneuerung und Erweiterung einer historischen Disziplin, hgg. von Eckart Conze / Ulrich Lappenküper / Guido Müller, Köln / Weimar / Wien 2004, 45-63.
[6] Tim Geiger: Atlantiker gegen Gaullisten. Außenpolitischer Konflikt und innerparteilicher Machtkampf in der CDU/CSU 1958-1969, München 2008, 458f.
[7] Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland 1967, hg. im Auftrag des Auswärtigen Amts vom Institut für Zeitgeschichte, bearb. von Ilse Dorothee Pautsch u. a., München 1998, Dok. 57, 288.
Ansbert Baumann