Abdel Razzaq Takriti: Monsoon Revolution. Republicans, Sultans, and Empires in Oman, 1965-1976 (= Oxford Historical Monographs), Oxford: Oxford University Press 2013, XII + 340 S., ISBN 978-0-19-967443-5, GBP 68,00
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In der abgelegenen Gebirgsregion Dhufar im Südwesten des Oman, fand von 1965-1976 der längste bewaffnete Befreiungskampf in der Geschichte der Arabischen Halbinsel statt. Im Anschluss an und als Reaktion auf die 1962 erlangte Unabhängigkeit des benachbarten Nord-Jemen zielte die marxistische Dhufar Liberation Front (DLF) auf den Sturz des Sultans wie die Verdrängung von britischer Kontrolle. Dabei stand ihr Guerillakampf im Zeichen von Arabischem Nationalismus und dem "Bandung Spirit" im Kontext des Kalten Krieges. Die aktuellen revolutionären Erhebungen in der Region, das unterstreicht diese Studie, stehen in einer Tradition antikolonialer Protestbewegungen und finden ihre Vorläufer auch in der Peripherie.
Abdel Razzaq Takriti liefert erstmals eine umfassende und fundierte englischsprachige Untersuchung der weitgehend in Vergessenheit geratenen Episode. Den wenigen bisherigen Quellen zum Thema fehlte es weitgehend an wissenschaftlicher Distanz. Sie basierten auf subjektiven Berichten oder waren, wie im Fall von Fred Hallidays Arabia Without Sultans (1974), ideologiegebunden. Nicht zuletzt ist es ein Hauptanliegen des Autors, die "Anglo-Sultanic narrative" der jüngeren omanischen Geschichte herauszufordern und zu revidieren, denn in diesem Fall kann man sagen: "writing history becomes the suppression of an inconvenient past in the service of the present, or even the celebration of imperial deeds" (309). Mithilfe einer Vielzahl bisher nicht berücksichtigter arabisch-sprachiger Quellen - darunter Filme, Zeitungsartikel und Flugblätter - gelingt es dem Autor, ein vielschichtiges Bild der Ereignisse zu geben, in das auch die Zeugnisse einiger an der Rebellion Beteiligter einfließen. Bietet dies dem Leser eine innovative Sicht auf das Geschehen, ist dem Grundton der Arbeit jedoch eine Sympathie für das revolutionäre Motiv anzumerken. Die Rhetorik einer immanenten Konfliktlinie zwischen einem "absolutistischen" Sultansregime in den Händen britisch-imperialistischer Interessen gegenüber einem Volksaufstand der Unterdrückten trägt dabei zur Polarisierung bei.
Die Studie, die auf der Doktorarbeit des Autors am St. Antony College in Oxford basiert, ist in zehn Kapitel unterteilt, die sich grob in vier Abschnitte gliedern lassen. Zu Beginn wird ein Überblick über das historische Umfeld und die sozialen Strukturen in Dhufar bis 1965 gegeben. Unterlag die wirtschaftlich vernachlässigte Region vormals weitgehend nominell externer Kontrolle durch den Sultan, entwickelte Sultan Saʿīd b. Taymūr (r. 1932-1970) sie zu seinem persönlichen Prinzenstaat. Der Autor skizziert, inwieweit und unter welchen strukturellen Rahmenbedingungen dieser Wandel anstatt zur Entwicklung de facto zur stetigen Verarmung wie zur Repression der Bevölkerung beitrug.
Der folgende Abschnitts widmet sich dem Beginn des Dhufar-Aufstandes wie seiner Entwicklung bis zum Staatscoup durch Sultan Qābūs b. Saʿīd im Jahr 1970. Hierbei liegt der Schwerpunkt nicht auf einer Darstellung des Geschehens, sondern einer ideengeschichtlichen Analyse der revolutionären Elemente in der Ausrichtung und Politisierung der Bewegung. Eine Migrationswelle junger arbeitsuchender Dhufaris ab den 1950er-Jahren in die arabischen Golfstaaten initiierte dabei den Kontakt zu transnationalen antikolonialen Netzwerken und legte den Grundstein für eine Auseinandersetzung mit zeitgenössischen ideologischen und politischen Strömungen. Der Autor bietet dabei eine spannende Innensicht. Er thematisiert anschaulich, inwieweit die Ideen von Antikolonialismus, Panarabismus, Volkssouveränität und Republikanismus in der sich konstituierenden DLF zum Tragen kamen und das Modell einer in Stammesverbänden geordneten Gesellschaft aufbrachen. Ebenso erkenntnisreich bildet die Studie ab, auf welche Weise die internen Richtungskämpfe von den sich um 1967 ereignenden regionalen Umbrüchen (Unabhängigkeit des marxistischen Süd-Jemen, Verkündung des britischen Rückzugs vom Golf und naksa) beeinflusst wurden. Die folgende Neuformation der PFLOAG (Popular front of the Liberation of Arab Gulf), die Hinwendung zu China und die marxistische Ideologie verliehen der Dhufarischen Sache erstmals einen universellen Charakter. Taqriti zeigt überzeugend auf, wie sich der Prozess der Aneignung marxistischer Theorie vollzog und wie unter anderem die Abschaffung der Sklaverei in den von der PFLOAG besetzen Gebieten praktisch umgesetzt wurde.
Im folgenden Abschnitt wechselt der Autor seine Perspektive und untersucht die Implikationen des Aufstands auf die ihn bekämpfende "Anglo-Sultanic structure". Dabei wird deutlich, wie der eskalierende Konflikt die britische Interventionspolitik entscheidend mit dem Versuch beeinflusste, das bestehende britische Raj aufrecht zu erhalten. "Had it not been for direct British intervention, the Sultanate would not have been able to survive revolutionary movements, let alone comprehensive political dominance." (310) Taqriti deutet den Sturz des Sultans durch seinen Sohn Qābūs b. Saʿīd im Juli 1970 und den Aufbau des als absolutistisch beschriebenen Regimes als ein nachhaltiges imperiales Projekt. Dabei stützt sich seine Argumentation auf eine Reihe bisher unberücksichtigter britischer Archivquellen wie auch auf die persönlichen Notizen des Zweiten Befehlshabers der Streitkräfte des Sultan, John Graham. Neben einer detaillierten Wiedergabe der Chronologie um den Coup widmet sich der folgende Part den ersten Schritten der neuen Regierung. Mit Blick auf den Leitgedanken, die dominierende historiografische Deutung einer nunmehr beginnenden Omanischen Renaissance zu revidieren, zielt die folgende Diskussion auf die unterlassenen Alternativen zum absolutistischen Weg.
In einem abschließenden, relativ kurz gehaltenen Fazit beleuchtet die Studie die Hintergründe und Ursachen des Scheiterns der Dhufar-Revolution. Der Autor konzentriert sich dabei insbesondere auf interne Stammeskonflikte und das Schüren weiterer Spaltungen durch die Verwaltung des Sultans. Darüber hinaus verdeutlicht er, wie die zivilgesellschaftliche Teilhabe, Kern der Volksbewegung, angesichts der zentralistischen Organisation der PFLOAG zum Stillstand kam.
Monsoon Revolution bietet einen fundierten, innovativen und spannenden Blick auf ein bis dato wenig untersuchtes Kapitel der jüngeren Geschichte des Oman und der Golfregion. Aufschlussreich bettet die Studie den Prozess der Dhufar-Rebellion in den globalen historischen Kontext ein und verdeutlicht ihre Anbindung an transnationale antikoloniale Netzwerke. Dabei zeichnet es die Arbeit aus, eine Vielzahl neuer Quellen zu berücksichtigen. Der "Bandung spirit", dessen Essenz der Autor nachspürt (309), färbt dabei das Narrativ in manchen Teilen merklich. Dies mag auch an dem zeitgebundenen Versuch liegen, einen Bogen von der Geschichte der Monsoon Revolution auf die aktuellen Protestbewegungen in der Arabischen Welt zu ziehen.
Sarah Spiegel