Miriam Gebhardt: Als die Soldaten kamen. Die Vergewaltigung deutscher Frauen am Ende des Zweiten Weltkriegs, 2. Auflage, München: DVA 2015, 351 S., ISBN 978-3-421-04633-8, EUR 21,99
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"Die Uniformen der Täter waren verschieden, die Taten glichen sich" (17) - so das Fazit von Miriam Gebhardts Buch über die Vergewaltigung deutscher Frauen durch Soldaten der alliierten Truppen bei Kriegsende. Eine wichtige Studie über die sexuelle Gewalt während der Eroberung Deutschlands 1945 und der Besatzungszeit bis 1955 - nicht nur in der SBZ/DDR, sondern in allen vier Besatzungszonen.
Dabei nimmt Gebhardt die Opfer ernst: Der Schrecken der sexuellen Gewalt und die damit verbundene Todesangst; das individuelle Leid inmitten der kollektiven Ausnahmezustände bei Kriegsende; die Angst vor Schwangerschaft und Geschlechtskrankheiten; die Schwierigkeit, das Erlebte in der indifferenten Nachkriegsgesellschaft angemessen zu thematisieren; die fadenscheinig (von Männern) verweigerte Unterstützung bei der Versorgung der "Besatzungskinder"; der - besonders bei amerikanischen Tätern - weit verbreitete Generalverdacht konsensualen Geschlechtsverkehrs (Stichwort "Fräulein"); die posttraumatische Belastung, die die Folgen der Vergewaltigungen noch heute in den Altersheimen präsent hält. Dabei ist es nicht nur bemerkenswert, wie konsequent die Studie die Perspektive der betroffenen Frauen einnimmt, sondern auch, wie viel Neues Gebhardt dabei zu Tage fördert.
Dass es bei Weitem nicht nur die Soldaten der Roten Armee (oder allenfalls noch französische Kolonialtruppen) waren, die deutsche Frauen vergewaltigten, ist bisher tatsächlich weithin unberücksichtigt geblieben. Gebhardt thematisiert dies vor allem anhand der amerikanischen Zone. Das zeigt aber auch die Grenzen der Studie auf: Die französische, insbesondere aber die britische Besatzungszone bleiben fast gänzlich außen vor, ebenso der gesellschaftliche Umgang mit vergewaltigten Frauen in der SBZ/DDR. Die Quellenbasis bleibt ein Stück weit intransparent: Das Verzeichnis nennt keine Bestände, nur Archive in Auswahl, davon nur ein einziges ausländisches Archiv (die National Archives in Washington). So bleibt leider offen, ob sich dem Quellenmangel zur britischen Zone nicht im Public Records Office in Kew hätte abhelfen lassen.
Innovativ ist Gebhardts Ansatz, das Phänomen der sexuellen Gewalt zu quantifizieren: Sie geht von der (durch statistische Erhebungen aus den 1950er Jahren bekannten) Zahl der Besatzungskinder aus. Sie nimmt an, dass 5 % aller Besatzungskinder durch eine Vergewaltigung gezeugt wurden, jede zehnte Vergewaltigung zu einer Schwangerschaft führte, und wiederum jede zehnte dieser Schwangerschaften ausgetragen wurde. Mit dieser Methode kommt sie auf rund 860.000 vergewaltigte Frauen. 190.000 seien von Amerikanern, rund 430.000 von sowjetischen Soldaten missbraucht worden. Das sind Zahlen, die für die amerikanische Zone deutlich höher, für die sowjetische Zone deutlich niedriger liegen als bisherige Schätzungen. [1] Jedoch: Für die SBZ/DDR fehlt statistisches Material; die Zahl basiert auf der Annahme, dort hätten ebenso viele "Vergewaltigungskinder" gelebt wie im Westen.
Dass diese Methode ihre Probleme hat (und haben muss) - dessen ist sich Gebhardt bewusst und sie legt dies offen. Umso mehr wäre eine breitere Diskussion ihrer Vorannahmen wünschenswert gewesen. Insbesondere scheinen für die Vergewaltigung durch Rotarmisten gewichtige Faktoren nicht ausreichend berücksichtigt: Die große Zahl an Todesopfern während Flucht und Vertreibung, die Auswirkungen von Stress und Hunger auf die Fruchtbarkeit, die Abtreibungspraxis, die langanhaltend hohe Säuglingssterblichkeit unter Flüchtlingen und Vertriebenen, nicht zuletzt die hohe Zahl an Suiziden.
Dennoch arbeitet Gebhardt völlig zurecht heraus, dass im Westen über die Vergewaltigung deutscher Frauen durch amerikanische Soldaten großzügig hinweggesehen wurde, während gleichzeitig die (Un-)Taten der sowjetischen Truppen auch medial breit präsent gewesen seien: "Die Russen haben vergewaltigt, die Amerikaner haben Bonbons verschenkt" (20), so laute bis heute das gängige Vorurteil. Gebhardt wirkt der pauschalisierenden Dämonisierung "des Rotarmisten" entgegen und zeigt, dass auch GIs Minderjährige und Großmütter vergewaltigten oder Gruppenvergewaltigungen begingen. Unklar bleibt aber, inwieweit dies jeweils schrecklich-gängige Praxis oder Einzelfälle waren. Folgt man Gebhardt, gab es die allgegenwärtige, schrankenlose und extrem brutale sexuelle Gewalt, die uns für den Osten so zahlreich in Egodokumenten überliefert ist, in vergleichbarem Ausmaß auch im Westen. Aber herrschten in Frankfurt am Main oder München im Frühjahr 1945 hinsichtlich der sexuellen Gewalt wirklich ähnliche Verhältnisse wie in Berlin? Reicht der Hinweis auf die unterschiedliche Wahrnehmung der Eroberer durch die Eroberten und die Erinnerungszwänge im Ost-West-Gegensatz tatsächlich aus für die Annahme, das hätte in zeitgenössischen Tagebüchern, Briefen und Erinnerungen keine ähnlichen Spuren hinterlassen? Es ist sicher richtig, dass für die akut betroffene Frau die Uniform keinen Unterschied machte, und sich einzelne Taten glichen. Jede Vergewaltigung war und ist per se schrecklich. Dennoch fragt sich der Rezensent nach Lektüre des Bandes, ob nicht doch beträchtliche Unterschiede bleiben.
Stoff für weitere Forschungen also, für die Gebhardts Buch jedenfalls anregend sein wird. Sie hat eine wichtige Studie vorgelegt. Trotz einiger Zweifel an den quantitativen Postulaten und der Tragfähigkeit der einen oder anderen weitreichenden These ist ihre Arbeit eine eindringliche Auseinandersetzung mit der sexuellen Gewalt am Kriegsende und in der Besatzungszeit, die sich nicht nur auf den Osten und die Rote Armee beschränkt.
Anmerkung:
[1] Barbara Johr und Helke Sanders schätzten rund zwei Millionen Opfer: dies.: BeFreier und Befreite: Krieg, Vergewaltigungen, Kinder, Frankfurt am Main 2005, 48 und 54 f. auch Norman M. Naimark geht von bis zu zwei Millionen vergewaltigten Frauen aus: ders.: Die Russen in Deutschland. Die Sowjetische Besatzungszone 1945 bis 1949, Berlin 1997, 169 f.
Sven Keller