Udo Grashoff: Gefahr von innen. Verrat im kommunistischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Göttingen: Wallstein 2021, 471 S., ISBN 978-3-8353-3950-7, EUR 52,00
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Mit seiner Monographie über Verrat im kommunistischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus hat Grashoff sich zum Ziel gesetzt, Verratsvarianten durch präzise Rekonstruktion der Vorgänge aufzuarbeiten und aus einer bisher systematisch nicht eingenommenen Perspektive zu erhellen. Unter Verrat versteht er den Bruch eines Treueverhältnisses als intentionale Handlung. Methodisch geht er von dem rigiden Verratsbegriff der KPD aus, den er anhand von Verhaltensweisen in existenziellen Situationen und ihren Voraussetzungen an zahlreichen Fallbeispielen kritisch analysiert. Damit geht er über die bisherigen Forschungen zum kommunistischen Verratsproblem hinaus. Seine zentralen Quellengrundlagen sind Bestände des Ministeriums für Staatssicherheit und der Stiftung Archiv Parteien und Massenorganisationen im Bundesarchiv. Das Werk gliedert sich in drei Teile: die unterschiedlichen Manifestationen von Verrat, die Grenzfälle von Verrat aufgrund von Handlungsspielräumen der V-Leute und den Umgang mit Verrätern.
Seltenere spektakuläre Seitenwechsel von Funktionären reichten bis zum Zentralkomitee und Politbüro, zu Reichstagsabgeordneten und Spanienkämpfern. Grashoff arbeitet als häufige Schwachstellen die "technischen Mitarbeiter" heraus, Sekretärinnen, Kuriere oder Mitarbeiter des Geheimdienstes der KPD, die eine oberflächliche, pragmatische Bindung eingegangen waren. Ideologisch kaum geschult, waren sie den Folter- und Verhörmethoden der Gestapo nicht gewachsen. Hinzu traten bei Mitarbeitern des KPD-Geheimdienstes Persönlichkeitsmerkmale wie das Drängen nach Eigeninitiative und Abenteuerlust. Den Verhörmethoden widerstanden auch erfahrene, hochrangige Funktionäre nicht wie Willy Zimmerlich, Leiter der Waffenverwaltung auf Reichsebene, der erst nach zweimonatigen Folterungen den Chiffrierschlüssel für Waffenverwalter, Deckadressen und Anlaufstellen preisgab. Als Folge wurden allein im Parteibezirk Halle-Merseburg 21 Kommunisten verhaftet, die weiteres Detailwissen preisgaben. In anderen Fällen erlitten kommunistische Widerstandsorganisationen hunderte Verhaftungen.
Was veranlasste Parteimitglieder, als V-Leute für die Gestapo zu arbeiten? Sie kapitulierten aus pragmatischen Gründen, zur Hafterleichterung, um Folter und Todesstrafen abzuwenden, zwecks Berufsausübung, in psychischen Krisen, wegen eines Zerwürfnisses mit der Partei. Die Verpflichtung zum V-Mann hatte unterschiedlich weitgehende Konsequenzen: die Betätigung als Spitzel, auch als Lockspitzel, die Begleitung der Gestapo bei Einsätzen, den Verrat im Extremfall auch von nahen Verwandten. In Ausnahmefällen kontrollierte die Gestapo eine Bezirksleitung zeitweilig umfassend, wie in München und Stuttgart. In Breslau, wo die Bezirksleitung Schlesien sogar sechs Jahre lang unter ihrer Kontrolle war, geriet, wie Grashoff urteilt, der Widerstand zur Farce.
Die Umstrukturierung des kommunistischen Widerstands Ende 1935 erschwerte durch die Verlegung der Leitungsebenen ins grenznahe Ausland den Zugriff der Gestapo. Als ab 1938/39 die angrenzenden Staaten unter deutsche Herrschaft gerieten, war Desillusionierung und Resignation unter den Kommunisten die Folge. Bezeichnend dafür ist die Kapitulation des ehemaligen Abschnittsleiters Nord in Kopenhagen, Heinrich Wiatrek, der, an Tuberkulose erkrankt, nach seiner Verhaftung Mitte 1941 weitreichende Aussagen machte. Grashoff geht den Gründen für seinen Gesinnungswechsel detailliert nach, darunter seine Distanzierung von den stalinistischen Verfolgungen, seine Verunsicherung durch den Hitler-Stalin-Pakt, durch die "Plattform" der KPD vom Anfang 1940 mit der Perspektive einer halblegalen Existenz der Partei in Deutschland, durch die Anordnung der Komintern, die Rückkehr deutscher Emigranten nach Deutschland einzuleiten, und die Anordnung des Zentralkomitees von Ostern 1941, die bisherige illegale Arbeit einzustellen. Diese fortwährende Verunsicherung verstärkte der Schockeffekt der Verhaftung, bei der belastendes Material gefunden wurde. Hier geht es zugleich um den Ausnahmefall der kollektiven Dimension von Verrat. Funktionäre widerstanden eher den physischen Quälereien der Gestapo als der Demoralisierung durch ihre eigenen Genossen.
Ein spezifisches Problem der Partei waren trotz konspirativer Arbeit Aufzeichnungen, die die Gestapo auf weiterführende Spuren brachten. Nach Ende der Folterungen oder der Haft prägten häufig nicht skrupelloser Verrat, sondern widerwillige Kooperation, verzweifeltes Ausweichverhalten und Suizidgedanken das Leben der von den weltfremden KPD-Richtlinien als Verräter oder Spitzel abgestempelten Genossen. Grashoff nennt Beispiele, dass Funktionäre, die der Folter widerstanden hatten, Verständnis und Mitgefühl für die schwach Gewordenen zeigten.
Kommunistische V-Leute versuchten sich auch mit wechselnden Loyalitäten situativ durchzulavieren. Ihr Opportunismus zeigt fluide Übergänge zur Anpassung aus Pragmatismus oder Realismus. Auch die Entwicklung eines scheinbaren Vertrauensverhältnisses zu dem Gestapo-Beamten konnte eine Rolle spielen. Simulierter Verrat bei scheinbarer Kooperation mit der Gestapo war riskant. Wenn die Gestapo mitspielte, dienten Ausweichen, Taktieren, Verzögerung, Verweigerung substanzieller Informationen dazu, Schaden für sich und andere zu minimieren. Das Risiko dabei war der Kontrollverlust mit Folgen für andere. Grashoff befindet, dass jede bescheidene Information der Gestapo einen entscheidenden fehlenden Mosaikstein liefern konnte.
Traditionell bekämpfte die KPD Spitzel durch Anprangerung im sozialen Umfeld. Auch körperliche Gewalt galt als legitim. Der Fememord an Thälmanns engem Mitarbeiter Alfred Kattner, dessen Verrat die Genossen wohl überschätzten, blieb eine Ausnahme. Offenbar verstärkte er die Drohkulisse für schwankende Genossen. Die Moskauer Spitzelhysterie mit zahlreichen Hinrichtungen fand in der KPD keine Entsprechung. Weitere Morde an vermeintlichen Spitzeln oder Verrätern gab es kaum, ausgenommen im Konzentrationslager Buchenwald. In kommunistischen Widerstandsgruppen forderte der ehemalige KPD-Bezirksleiter und Landtagsabgeordnete Bernhard Bästlein die Ermordung von V-Leuten. Grashoff zieht das Fazit, dass Fememorde nur wegen tödlicher Gefahr für Widerstandsgruppen geplant, aber kaum realisiert worden seien, weil humanistische Ideale dem widersprachen. Einschränkend sei vermerkt, dass einige Fememorde nicht intentional, sondern mangels Gelegenheit unterblieben.
Obwohl Grashoffs Buch die Entwickung in nur sechs regionalen Schwerpunkten systematisch erforscht und drei Regionen am Rande einbezieht, beansprucht sie aufgrund ihres sachsystematischen Ansatzes Repräsentativität. Grashoff grenzt sich durch die Analyse situativer Faktoren und individueller Handlungsdispositionen von Schafraneks Arsenal an Verrätertypen wie von Mallmanns sozialstrukturellen Merkmalen kommunistischer Verräter ab. Verrat war für die KPD sowohl signifikant, existenzbedrohend als auch peripher. Fast alle kommunistischen Gruppen flogen durch den Verrat von innen auf. Die Fallstudien weisen ein Spektrum individueller, teils widersprüchlicher Strategien zur Schadensabwehr nach. Dabei ist jedoch zu bedenken, dass bei Verhaftungswellen die individuelle Verantwortung an der Spitze der Gruppe am größten war. Leider fehlt ein gesondertes Quellenverzeichnis.
Horst Sassin