Rezension über:

Martin Bauch: Divina favente clemencia. Auserwählung, Frömmigkeit und Heilsvermittlung in der Herrschaftspraxis Kaiser Karls IV. (= Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii; 36), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2015, XIII + 717 S., 25 Farbabb., ISBN 978-3-412-22374-8, EUR 89,00
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Rezension von:
Eva Schlotheuber
Institut für Geschichtswissenschaften, Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Eva Schlotheuber: Rezension von: Martin Bauch: Divina favente clemencia. Auserwählung, Frömmigkeit und Heilsvermittlung in der Herrschaftspraxis Kaiser Karls IV., Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2015, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 6 [15.06.2016], URL: https://www.sehepunkte.de
/2016/06/27279.html


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Martin Bauch: Divina favente clemencia

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Die Dissertation von Martin Bauch, die unter der Ägide von Marie-Luise Favreau-Lilie in Berlin und Gerrit Jasper Schenk in Darmstadt entstand, stellt eine Thematik in das Zentrum der Betrachtung, die ungeachtet ihrer Bedeutung in der Geschichtsforschung nur als (bisweilen kurioses) Randphänomen Berücksichtigung fand, die Reliquiensammlung, -verwendung und -verehrung Kaiser Karls IV. [1] Um Frömmigkeit und Reliquienkult als Handlungsmuster und Phänomene der Herrschaftspraxis einzuordnen und fassbar zu machen, wählt Bauch als theoretischen Rahmen die "Frömmigkeit des Herrschers als Amtscharisma nach Max Weber" und die "Frömmigkeit des Herrschers als Habitus nach Pierre Bourdieu". Auf dieser Basis entwickelt er mit "Auserwählung (oder Charisma der Auserwählung), Frömmigkeit und Heilsvermittlung" drei maßgebliche Zugänge, die methodisch als Kategorien die vielfältige und komplexe schriftliche und materielle Überlieferung strukturieren helfen. Beide Erklärungsmodelle über die Legitimierung von Herrschaft nach Weber und Bourdieu werden (in unterschiedlicher Tiefe) in Bezug auf Potential und Grenzen eingangs ebenso erklärt und eingeordnet (Kap. 3) wie die zentralen Begriffe "Frömmigkeit als Handlung" und die für diesen Ansatz zentrale Rolle der Öffentlichkeit (Kap. 4). Die Hauptuntersuchung zerfällt in zwei Teile, von denen sich der erste Karl IV. als "sakrale(m) Akteur" (Kap. 5) und der zweite dem Phänomen der Reliquienfrömmigkeit Karls, der "Aneignung von Reliquien" (Kap. 6), ihrer Verwendung (Kap. 7) und der "Rezeption, Imitation, Kritik" (Kap. 8) widmen.

Die Analyse des Herrschers als sakralem Akteur versucht die zu betrachtenden Phänomene nach den Begriffen Auserwählung, Frömmigkeit und Heilsvermittlung einzugrenzen und zu ordnen. So fruchtbar der analytische Zugriff eines vergleichsweise stringenten Folgens der Oberbegriffe ist, zeigt sich hier doch eine Schwierigkeit des methodischen Ansatzes, die die historischen Zusammenhänge zwangsweise aufbrechen muss. So wird der Vater, Johann der Blinde, als möglicher Bezugspunkt der Untersuchung mit dem Hinweis ausgeschieden, dass er als sakraler Akteur in den Quellen und in der zeitgenössischen Wahrnehmung nicht sichtbar war. Das ist natürlich vollkommen richtig, doch stilisierte ihn beispielsweise der Chronist Franz von Prag mit dem Raub und der Einschmelzung der silbernen Figuren des Wenzelsschreins zur Finanzierung eines (unnötigen) Kriegszuges sozusagen zu einem aufschlussreichen Gegenbild eines frommen Herrschers. [2] Die Predigttätigkeit Karls IV., die durch die Inserierung von drei eigenen Predigten in der Autobiographie nahegelegt wird und die für seine Wahrnehmung als sakraler Akteur zentral sein könnte, wird mit einem Satz als nicht nachweisbar und damit in Bezug auf die Öffentlichwirksamkeit als nicht relevant ausgeschieden (71). Der Gesamtkontext wäre vor allem in Bezug auf den hochsymbolischen Stratordienst hilfreich gewesen, den Karl IV. dem 1368 nach Rom zurückkehrenden Papst Urban V. in auffällig demonstrativer Form leistete. Er wird breit diskutiert und als Akt der Frömmigkeit in der Nachfolge Kaiser Konstantins (imitatio Constantini) gewertet (159-163). Die scharfe Kritik der Zeitgenossen wie des Nürnbergers Ulman Stromer oder Coluccio Salutatis an dem kaiserlichen Stratordienst muss so letztlich unverstanden bleiben, denn sie lässt sich nicht auf das "Vorurteil des Pfaffenkönigs" reduzieren (161), ein Vorwurf Williams von Occam aus den Jahren 1346/1347, bei dem überdies der konkrete Kontext bedacht werden muss. Bei dem 1368 Urban V. geleisteten kaiserlichen Stratordienst handelte es sich vielmehr um die öffentlich vollzogene und damit bindende Bestätigung und Anerkennung der Konstantinischen Schenkung durch den Kaiser, der damit (zum wiederholten Mal) auf die kaiserlichen Rechte in Rom und im Kirchenstaat verzichtete, was als Minderung der Kaiserrechte zumindest problematisch war.

Diese durch den methodischen Ansatz bedingte Schwierigkeit der Subsumierung komplexer Phänomene unter die gewählten Oberbegriffe Auserwählung, Frömmigkeit und Heilsvermittlung wird in dem zweiten, und zwar dem eigentlichen Hauptteil der Arbeit dadurch umgangen, dass der Zusammenhang des Erwerbs der Reliquien, ihrer Verwendung und Fruchtbarmachung für die politischen Intentionen Karls und die Wirkung dieser 'Reliquienpolitik' auf Anhänger und Gegner umfassend diskutiert wird. Mit der Mischung besonders aussagekräftiger und detailliert vorgestellter Fallbeispiele, wie dem Erwerb der Reliquien Sigismunds aus Saint-Maurice, und einer systematischen Zusammenstellung von Charakteristika zum Reliquienerwerb und -umgang wird ein wertvoller und aufschlussreicher Einblick in diesen zentralen Bereich kaiserlichen Handelns vermittelt. Auf diese Weise gerät auch die kaiserliche Ablasspolitik und die Bedeutung der persönlichen Anwesenheit des Herrschers in den Blick. Die Wirkung dieser Politik vermag das abschließende Kapitel zu Imitation und Kritik in Böhmen und im Reich überzeugend aufzuzeigen. "Der Kaiser", so resümiert Martin Bauch, "näherte sich in seiner Heilvermittlungsfunktion einem Inhaber höherer Weihen an, ohne seinen Status als Laie aufzugeben" (478).

Diese spezifische kaiserliche Herrschaftspraxis, die eben nicht modellbildend im eigentlichen Sinne wurde, um zentrale Aspekte der Reliquien- und Ablasspolitik tiefenscharf erweitert zu haben, ist das große Verdienst dieser Untersuchung. Ungemein hilfreich ist auch der Anhang, der den Prager Kalender mit Ablässen für das Beispieljahr 1369 (1), ein systematisches, alphabetisch geordnetes Verzeichnis der Reliquien im Besitz Karls IV. (2) und die Edition zweier bislang unedierter bzw. schwer zugänglicher Berichte zu Reliquienerhebungen (3) bietet.

Die Arbeit von Martin Bauch schließt eine wichtige Forschungslücke aus einem methodisch interessanten Blickwinkel und erschließt nachvollziehbar ein ebenso interessantes wie komplexes Phänomen spätmittelalterlicher Herrschaftspraxis.


Anmerkungen:

[1] Wichtige Grundlagen legte David C. Mengel mit seiner Dissertation Bones, Stones and Brothels. Religion and Topography in Prague under Emperor Charles IV. (1346-78), Dissertation. Medieval Studies. Notre Dame University, Notre Dame / Indiana 2003, die bedauerlicherweise bislang noch nicht publiziert ist. Von kunsthistorischer Seite hat sich maßgeblich Karel Otavský mit den Prager Reliquienschätzen und Heiltumsweisungen befasst, so u.a. Karel Otavský: Drei wichtige Reliquienschätze im luxemburgischen Prag und die Anfänge der Prager Heiltumsweisungen, in: Kunst als Herrschaftsinstrument. Böhmen und das Heilige Römische Reich unter den Luxemburgern im europäischen Kontext, hg. v. Jiři Fajt / Andrea Langer, Berlin 2009, 300-308.

[2] Chronia Francisci Pragensis [Kronika Františka Pražského] (= Fontes rerum Bohemicarum. Series nova, 1), hg. v. Jana Zachová, Prag 1997, lib. 3 c. 10, 164.

Eva Schlotheuber