Krzysztof Zajas: Absent Culture. The Case of Polish Livonia (= Polish Studies - Transdisciplinary Perspectives; Vol. 4), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2013, 408 S., ISBN 978-3-631-63646-6, EUR 64,95
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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In der baltischen Geschichtsforschung - vor allem in jener deutschsprachiger Provenienz - hat Polnisch-Livland bestenfalls eine marginale Rolle gespielt. Von einer terra incognita zu sprechen wäre vermutlich übertrieben, aber ohne Zweifel besteht in diesem Teilbereich livländischer Geschichte ein nicht unerheblicher Nachholbedarf, zumal die ausgeprägte regionale Identität Lettgallens nur aus ihrer historischen Genese heraus verstanden werden kann.
Dementsprechend kann man nur begrüßen, dass der polnische Literaturwissenschaftler Krzysztof Zajas Polnisch-Livland in den Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung rückt. Vorausgeschickt sei aber, dass es sich bei Absent Culture nicht um eine klassische monografische Darstellung einer historischen Region handelt, sondern um eine vielschichtige und manchmal eher eklektisch anmutende Arbeit, die unterschiedliche Schlaglichter auf das Thema wirft. In den beiden einleitenden Kapiteln, die beinahe die Hälfte des Buches ausmachen, setzt sich Zajas in kritischer Weise mit der deutschbaltischen und polnischen Historiografie auseinander. Hinzu kommen methodische und geschichtsphilosophische Reflexionen in den Kapiteln 3 und 5 sowie eine ausführliche Untersuchung literarischer Texte des 18., 19. und 20. Jahrhunderts, die der Verfasser als repräsentativ für die Literatur Polnisch-Livlands ansieht.
Der tatsächlichen Geschichte Lettgallens unter polnischer Herrschaft kommt lediglich eine untergeordnete Rolle zu, zumal der Verfasser neben der eigentlichen Woiwodschaft Livland auch verwandte Themen - etwa den Status des Stiftes Pilten oder die Situation polnischer Studenten in Dorpat und Riga - in die Betrachtung miteinbezieht. Die sehr unterschiedlichen Zugangsweisen, die Zajas zu seinem Thema findet, werden durch den Gedanken einer "formativen Historiografie" miteinander verknüpft (178, 249ff.): Der Historiker beziehungsweise die Historikerin müsse, so Zajas in Anlehnung an die poststrukturalistische Methodik von Hayden White, Polnisch-Livland als Gegenstand seiner / ihrer Betrachtung zunächst erst erschaffen, denn es sei durch die Konventionen und Präferenzen der deutschbaltischen und polnischen Historiografie in den Zustand einer Nicht-Existenz gedrängt worden. Als Schlüsselfigur in diesem Prozess, der Erschaffung von Polnisch-Livland als historischer Entität, sieht Zajas den Geschichtsschreiber, Heimatforscher und Ethnografen Gustaw Manteuffel (1832-1916), mit dessen Wirken er sich ausführlich auseinandersetzt und dessen kritische Bemerkung, Livland sei den Polen weniger bekannt als Sumatra oder Borneo (11), programmatisch für die Anliegen des Buches stehen könnte.
Zajas ist sich der Tatsache bewusst, dass seine Monografie lediglich erste Denkanstöße bietet, um Polnisch-Livland als Gegenstand historischer Betrachtung zu etablieren. Er charakterisiert seine Untersuchung als "cursory overview" (175), der auf verschiedene Teilaspekte der Thematik hinweise, ohne sie ausführlich abzuhandeln. "Books with titles like 'History of Polish Livonia' and 'Culture and Literature of Polish Livonia' are yet to be written" (371). Zweifellos ist Zajas' Intention, die Aufmerksamkeit der Geschichts- und Literaturwissenschaften auf ein marginalisiertes Thema zu lenken und Anregungen zu weiteren Forschungen zu bieten, verdienstvoll und wichtig. Nach Ansicht des Rezensenten ist das Buch allerdings zu assoziativ und zu wenig systematisch ausgefallen, um zukünftigen Arbeiten als Grundlage zu dienen. Hinzu kommen zahlreiche Detailfehler, die sich vermutlich bei der Übersetzung vom Polnischen ins Englische in den Text eingeschlichen haben: So ist von einer niederländischen (statt einer dänischen) Herrschaft im mittelalterlichen Estland die Rede (39); die Schwarzhäupter in Riga werden fälschlich als Familie bezeichnet (58). Vor der Wiedereröffnung der Universität Dorpat im Jahr 1802 sollen livländische Theologen an der Universität in Helsinki studiert haben (69) - allerdings besteht Letztere erst seit 1828.
Derartige Fehler, die eher dem ungenügenden Lektorat als dem Verfasser anzulasten sind, sollen die Impulse, die der vorliegende Band setzt, keineswegs entwerten. Zajas' Monografie ist zweifellos dazu geeignet, Forscherinnen und Forscher zu einer weiteren Beschäftigung mit der Geschichte Polnisch-Livlands anzuregen. Leserinnen und Leser, die sich eine übersichtliche Einführung in die Thematik erhoffen, werden aber vermutlich eher enttäuscht sein.
Stefan Donecker