Rezension über:

Werner Hennings / Uwe Horst / Jürgen Kramer (Hgg.): Die Stadt als Bühne. Macht und Herrschaft im öffentlichen Raum von Rom, Paris und London im 17. Jahrhundert, Bielefeld: transcript 2016, 421 S., 165 s/w-Abb., ISBN 978-3-8376-2951-4, EUR 39,99
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Rezension von:
Herbert Karner
Institut für kunst- und musikhistorische Forschungen (IKM) Abteilung Kunstgeschichte, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker
Empfohlene Zitierweise:
Herbert Karner: Rezension von: Werner Hennings / Uwe Horst / Jürgen Kramer (Hgg.): Die Stadt als Bühne. Macht und Herrschaft im öffentlichen Raum von Rom, Paris und London im 17. Jahrhundert, Bielefeld: transcript 2016, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 10 [15.10.2016], URL: https://www.sehepunkte.de
/2016/10/27374.html


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Werner Hennings / Uwe Horst / Jürgen Kramer (Hgg.): Die Stadt als Bühne

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Bedeutende Stadtplätze sind in ihrer architektonischen wie skulpturalen Gestaltung und ihrer herrschaftsgeschichtlichen Funktion immer auch visuelle Medien der politischen Geschichte. Es bedurfte der kulturalistischen Erweiterung der methodischen Instrumente von Architekturgeschichte, Geschichte und Städteforschung, um die Wahrnehmung von Stadtplätzen und ihrer Physiognomie um diesen mediengeschichtlichen Aspekt zu entwickeln. Drei Autoren - Werner Hennings, Uwe Horst und Jürgen Kramer - haben es sich zur Aufgabe gemacht, durch Analysen solcher Plätze in Rom, Paris und London die visuelle Implementierung von Macht und Herrschaft in den öffentlichen Raum so unterschiedlich formatierter europäischer Metropolen des 17. Jahrhunderts zu thematisieren. Rom wird durch die Konkurrenz der päpstlichen Nepoten neu definiert; Paris wird durch die Etablierung der Dynastie der Bourbonen mit dem Höhepunkt unter Ludwig XIV. neu erfunden und London muss sich unter den Tudors im blutigen Kampf der insularen Königreiche und gegen einen Großbrand behaupten. In allen drei Städten wurden unter völlig unterschiedlichen politischen und sozioökonomischen Voraussetzungen Plätze kreiert, die zu Ikonen der politischen Stadtplanung geworden sind.

Man ist also geneigt, von einer Königsidee zu sprechen, die Stadtplätze dieser Metropolen als Bühnen der Machtrepräsentation in den Vergleich zu nehmen. Diese vorauseilende Sympathie wird allerdings in der Auseinandersetzung mit den formalen und methodischen Gegebenheiten des Buches schnell abgekühlt. Zunächst durch das Autorengemenge: Das Kapitel zu den Plätzen Roms (47-151) ist vom Bielefelder Sozialgeografen Werner Hennings, jenes zu den Pariser Plätzen (153-281) vom Bielefelder Historiker Uwe Horst, und jenes zu den Plätzen Londons (283-370) vom Dortmunder Emeritus für Anglistische Kulturwissenschaften, Jürgen Kramer, verfasst. Die dreifache, nur im Inhaltsverzeichnis, nicht aber in den jeweiligen Hauptkapiteln selbst genannte Autorenschaft führt dazu, das Buch nicht als kompaktes, im Lesefluss einheitliches, durchgängig geschriebenes Werk wahrzunehmen. Zu markant sind die sprachlichen Unterschiede. Dem schließt sich an, dass plötzlich im dritten Hauptkapitel, jenem zu den Plätzen Londons, Fußnoten verwendet werden, nachdem in den vorangegangenen 281 Seiten auf sie verzichtet werden konnte. Das ist Indiz für eine zu wenig durchdachte Konzeption, eine wenig sorgfältige Redaktion. Der Eindruck einer schnellen und möglichst kostengünstig durchgeführten Produktion wird durch die inferiore Qualität der Abbildungen zur Gewissheit: Kaum lesbare, weil kleinformatige grafische Rekonstruktionsskizzen, Druckgrafiken oder Stadtgrundrisse, deren Vorlagen bisweilen kaum mehr als schlechte Kopien aus anderen Büchern gewesen sein können. Sie geben das Gemeinte oft kaum zu erkennen, sie sind schlicht an den digital-grafischen Möglichkeiten der Zeit vorbeigetragen.

Die Methodik, die der Untersuchung zugrunde liegt, agiert aus dem kulturwissenschaftlichen Kontext des "spatial turn"; die Autoren verweisen in der Einleitung (7-46) auf die umfangreiche Literatur zum großen Thema des Raums und drängen mit allerlei disziplinären Definitionen darauf, dass "Räume als Texte" (8) gelesen werden müssen, um kulturwissenschaftlich relevant zu sein. Sehr vorsichtig und mit (zu) großem Respekt vor den Raum-Theoretikern fordern sie, dass auch die Persistenz des (über Architektur und Skulptur definierten) physisch-materiellen Raums nicht übersehen werden dürfe (8). In Wahrheit ist er (zu Recht) Ausgangspunkt aller herrschaftspolitischen Interpretationen im Buch. Mit Referenz auf Umberto Ecco, Martina Löw, Anthony Giddens und andere Theoretiker sparen die Autoren nicht mit dem entsprechenden wording (Spacing, Syntheseleistung, Choreme, syntaktische wie semantische Codes, etc.).

Entscheidend für die Analyse von Stadträumen seien die "symbolische Wirkung" und "atmosphärische Qualität", also eine über die Psychologie wirksame Bindung der Menschen an Orte, die von den Machthabern benutzt werden, um sie "zu Schauplätzen zu inszenieren, räumliche Ordnungen zu schaffen, die Geschichten - ihre Geschichten - erzählen (und dadurch narrative Räume schaffen) [...]" (15). In der Folge werden plötzlich die Bühnenarchitektur der Renaissance, die Bühnenbilder Sebastiano Serlios, die "Scena Tragica" und die "Scena Comica" bemüht, um den Bühnenbau als eine vorgeblich zentrale Aufgabe der Platzarchitektur in Städten darzustellen. So wird etwa der 1699 vollendete Place de Nos Conquêtes, der wohl römischste Königsplatz in Paris mit Serlios "Tragischer Bühne" in Verbindung gebracht (239). Solche Assoziationen zwingen die Autoren zu einem Parforceritt durch "geometrische Formen, Proportionen und Harmonien" (29, 36) und sie entdecken in den bühnenhaften Stadtplätzen bewusst gesetzte ovale oder trapezoide Anlagen (39-46). In Summe ergibt sich ein polyvalentes methodisches Konzept, das auf unerklärliche Weise zwischen der Zitation von kulturwissenschaftlichem Hardcore und volksbildnerischer Vermittlung von Allgemeinplätzen changiert: "Ein Kreis hat weder Anfang noch Ende und kann so als Symbol der Unendlichkeit, als ewiger Fluss des Lebens, also Unsterblichkeit, Einheit, Perfektion, Vollkommenheit gedeutet werden [...]." Auch die Psychologie nimmt Platz: Die Ellipse wäre "exzentrisch, übertrieben, pompös, schiefrund eben" (43); gefolgt von einer schier endlosen Reihe von ähnlichen Plattitüden.

In Rom werden die Piazza del Campidoglio, Piazza Colonna, Piazza Navona, Piazza del Popolo sowie die Piazza San Pietro in den Fokus genommen. Ihre Bau- und Entstehungsgeschichten werden recht anschaulich - wesentlich auf Basis der Arbeiten von Richard Krautheimer - nacherzählt und dürfen als gut lesbare Entwicklungsgeschichten der Plätze gelten. In Paris wurden die Place Royale, Place Dauphin, Place des Victoires, Place Vendôme und das Hôtel des Invalides (sic!) vorgestellt. Hier überwiegt wohltuend die Präzision in den Beschreibungen der Geschichten der Plätze und den Schilderungen der zeitgenössischen Wahrnehmungen und symbolischen Wirkungen. Bei letzteren allerdings finden sich in Teilen wieder (ähnlich wie schon im römischen Kapitel) nicht nachvollziehbare, hingetrimmt wirkende Interpretationen, die als leichtfüßige Behauptungen daherkommen. Beispielhaft dafür steht die Behandlung des Vorgängerplatzes der Place Louis-le-Grand (später Place Vendôme), namentlich die (bereits angesprochene) 1699 vollendete Place de Nos Conquêtes (228-239). Aus London schließlich werden Covent Garden, Lincoln's Inn Fields, St. James's Square und bemerkenswerter Weise die Themse zur Darstellung gebracht, letztere als "Royal Highway", an der eine Reihe von Palästen aufgrund ihrer spezifischen, auf den Fluss bezogenen Wirksamkeit gebaut wurden. Der Text zu Londoner Plätzen argumentiert vorsichtig mit Querverweisen zu italienischen Plätzen. Insgesamt unterscheiden sich die Londoner Platzgeschichten deutlich von jenen des Kontinents, da die bauliche Repräsentation des britischen Adels sich bis in das 19. Jahrhundert in der Hauptsache über die Landsitze definierte und die Stadtniederlassungen im Vergleich zweitrangig waren.

In Summe handelt es sich um ein durchaus lehrreiches Buch für an der politischen Stadt- und Platzgeschichte interessierte Leserinnen und Leser, um eine solide Zusammenfassung von Ergebnissen essentieller urbanistischer Entwicklungen der Städte Rom, Paris und London. Wer eine konzise komparatistische - in der Einleitung angekündigte - Raumforschung erwartet, wird hingegen enttäuscht sein, nicht zuletzt weil die Zusammenschau von drei Einheiten noch kein Tertium Comparationis ergibt. Dieses konnte auch nicht durch das finale Vergleichskapitel geschaffen werden. Es fasst zusammen, resümiert und wiederholt - additiv und wenig synthetisierend. Auffallend ist auch, dass in gebetsmühlenartig wiederkommenden Verweisen auf "atmosphärische Qualität und symbolische Wirkung der Plätze" (erstmals 14-15), einer der maßgeblichen Interpretationsansätze, diese nie wirklich analytisch dingfest gemacht wurden. Manchmal hat das Buch den Charakter eines gehobenen, akademischen Reiseführers. Diese Qualität macht es - wie gesagt - interessant und lesenswert für jeden Städtereisenden. Das war aber zweifellos nicht die Intention des Autorentrios.

Herbert Karner