Dirk Rohmann: Christianity, Book-Burning and Censorship in Late Antiquity. Studies in Text Transmission (= Arbeiten zur Kirchengeschichte; Vol. 135), Berlin: De Gruyter 2016, X + 360 S., 2 s/w-Abb., ISBN 978-3-11-048445-8, EUR 99,95
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Durch die Ankündigung eines "International Burn a Koran Day" im Jahre 2010 konnte Terry Jones, vormals langjähriger Pastor einer evangelikalen Gemeinde in Köln, sich medialer Aufmerksamkeit sicher sein. [1] 2013 erregte die Brandstiftung des Ahmed-Baba Zentrum mit seinen wertvollen Handschriften in Timbuktu durch Islamisten international großes Entsetzen. Biblioklasmus scheint daher trotz nachlassender Bedeutung des gedruckten Wortes im Bewusstsein der Öffentlichkeit durchaus präsent zu sein. Allerdings bleiben wissenschaftliche Studien zu antiken Bücherverbrennungen ein Desideratum. So sind zwar in den letzten Jahren einige Aufsätze erschienen, aber Dirk Rohmanns Buch "Christianity, Book-Burning and Censorship in Late Antiquity. Studies in Text Transmissions" leistet in vielem Pionierarbeit.
Das Buch ist in sieben Kapitel plus Einleitung und Zusammenfassung unterteilt (1-301); komplementiert wird es durch eine Bibliographie (303-324) und drei Indices (325-360). Rohmann legt in der Einleitung deutlich dar, dass es ihm um (Nicht)Transmission von nichtchristlichen-philosophischen Schriften in der christlichen Spätantike geht: haben Zwangsmaßnahmen wie Zensur und Bücherverbrennungen die Überlieferung solcher Schriften erfolgreich verhindert oder war es z.T. einfach Desinteresse an vorchristlichen Ideen bzw. Vernachlässigung dieser Texte? Die ersten beiden Kapitel beschäftigen sich mit staatlich sanktionierter Zensur und Bücherverbrennungen von Diokletian bis zu Justinian (24-110). Kapitel drei "Holy Men, Clerics, Ascetics" widmet sich der Entwicklung der Bücherverbrennung als christlichem Ritual zur Dämonenaustreibung (111-148). Hier wie auch im folgenden Kapitel zu "Materialist Philosophy" (149-197) geht Rohmann auch der Frage von Überschneidungen der Kategorien Philosophie, Astrologie, Häresie und Magie nach, wobei sich Rohmann als fundierter Kenner christlicher Schriftsteller und ihrer Auseinandersetzung mit heidnisch-philosophischen Ideen erweist. Im fünften Kapitel "Moral Disapproval of Literary Genres" (198-237) zeigt der Autor das Christentum als "new way of life" (235), was zu einer Vernachlässigung antiker Literatur in der Spätantike führte. In Kapitel sechs untersucht Rohmann "Destruction of Libraries" in Antiochia, Alexandria und Rom (238-261). Nicht-christliche Texte könnten häufig die Antike nicht überdauert haben, weil sie in Gebäuden untergebracht waren, die aufgegeben oder zerstört wurden. Das letzte Kapitel widmet sich "The Post-Roman Successor States", in dem Rohmann die Wichtigkeit dieser Epoche für die Überlieferungsgeschichte hervorhebt, gleichzeitig aber auch das geringe Interesse an klassischen Texten herausstellt (262-295).
Das Buch wird zweifelsohne als einschlägiges Werk zu Bücherverbrennungen und Zensur in der Spätantike in den nächsten Jahren von der Forschung herangezogen werden. Die Studie ist quellengesättigt, aber gleichzeitig gut lesbar, klar strukturiert und besticht durch ihre chronologische Breite von Diokletian bis Isidor von Sevilla.
Vier Kritikpunkte allgemeiner Art sind allerdings anzuführen, da Rohmann die materiellen Aspekte der Schreib- und Buchkultur ganz und Politik- bzw. Institutionsgeschichte z.T. ausblendet. Erstens arbeitet Rohmann philologisch und geistesgeschichtlich, ohne seine Studie in den Kontext der antiken Schreib- und Buchkultur zu setzen. Es findet sich keine Kategorisierung, was unter "Bücher" zu verstehen ist: jeder literarische Text erscheint als "Buch" (s. z.B. 131f), ohne dass seine materielle Form definiert ist. Für eine qualitative Analyse der Vernichtung des Kulturgutes "Buch" wäre die materielle Seite (die auch von Rohmann durch Aussagen zum pekuniären Wert der Bücher anerkannt wird) durchaus von Bedeutung gewesen, wie auch - und gerade - für die Frage nach der "transmission of texts". [2]
Dass der materielle Aspekt wichtig ist, verdeutlicht ein zweiter Kritikpunkt: Rohmann behauptet, dass Bücherverbrennung sowohl allgemeines wie auch das effektivste Mittel der Textvernichtung in der Antike gewesen sei (Seiten 1 und 16). Ersteres mag sein, müsste aber auch für die griechische Antike gezeigt werden (für die es kaum zeitgenössische Quellen gibt), letzteres stimmt so nicht. Bücher brennen nicht leicht und ein in Leder gebundener Pergamentcodex schon gar nicht. [3] Es wäre sicher "effektiver", Bücher durch Feuchtigkeit oder Würmer (die Trullanische Synode (can. 68) sah eher diese Gefahr als einen Brandschaden) zugrunde gehen zu lassen, aber nicht so spektakulär. Es ist das öffentliche (Reinigungs)ritual des Verbrennens, das Feuer zum Mittel der Wahl macht - sein "Effekt", nicht seine "Effektivität"!
Drittens: Obwohl staatliche Zensur untrennbar mit staatlicher Gesetzgebung und ihrer Durchsetzung zu tun hat, charakterisiert Rohmann ihre Mechanismen mehr als das er sie analysiert. Er schlussfolgert im zweiten Kapitel, dass die Reichweite der Gesetze "was somewhat regionally and temporarily limited. Moreover, there is the question of whether or not these laws were enforced. While there is some evidence for legal enforcement of some of these laws and it is well possible that other instances are not recorded in the sources, it generally appears unlikely that religious laws of any kind were systematically enforced" (109). Die Aussagekraft einer solchen "Schlußfolgerung" ist limitiert, und umschifft (auch methodisch) schwierige Fragen im Umgang mit normativen Texten, während der Leser sich präzise Analysen gewünscht hätte, die Rückschlüsse auf den römischen Staat, seine Zwangsgewalt und die involvierten Akteure zulassen. [4]
Damit hängt viertens zusammen, dass Rohmanns' Fokus - anders als der Buchtitel suggeriert - auf heidnisch-philosophische Texte und ihre (Nicht)Überlieferung beschränkt ist. Dadurch beraubt Rohmann sich der Möglichkeit, seine Frage, inwieweit Zwangsmaßnahmen staatlicher bzw. nicht-staatlicher Akteure erfolgreich zur Nichtüberlieferung führten, zu beantworten. Bei einem Vergleich mit "häretisch"-christlichen Texten wäre ersichtlich, dass Zwang kaum zu Unterdrückung von Texten führte - solange diese "Häretiker" als Gruppe bzw. Kirche existierten! Einen schönen Beleg bieten die Schriften des Patriarchen Severus von Antiochia: der Besitz von Severus' Schriften wurde durch Kaiser Justinians Novella 42 von 536 verboten, die Werke sollten verbrannt werden und wer es dennoch wagte, seine Schriften zu kopieren, dem wurde mit der Amputation der Hand gedroht. Die Wirkungslosigkeit dieses Gesetzes zeigt z.B. die auf 563 n.Chr. - also noch zu Lebzeiten Justinians - datierte syrische Handschrift Cod. Vat. Sir. 143, die Homilien des Severus tradiert und heute in der Vatikanischen Bibliothek auf interessierte Leser wartet: http://digi.vatlib.it/view/MSS_Vat.sir.143.
Anmerkungen:
[1] Inklusive des politischen Kabaretts: Volker Pispers empfahl überspitzt, in Kabul würde Jones das Publikum bekommen, dass seine Aktion angemessen zu würdigen wisse. https://www.youtube.com/watch?v=dafHtYQ7dBg (16:26-18:34).
[2] Es werden zwar Mönche und Klöster als Bindeglied der Überlieferung verschiedentlich genannt (z.B. wenn Rohmann Klöster als Zentren der Texttransmission in nachrömischer Zeit hervorhebt), aber nirgends eigens thematisiert.
[3] Die Nationalsozialisten haben Bücher 1933 z.T. erst zerrissen und dann noch mit Petroleum übergossen, damit sie gut brennen. Für einige naturwissenschaftliche Überlegungen siehe V. Menze und K. Akalın, "Kann man Bücher verbrennen? Severus of Antioch's Letter to Nonnus Scholasticus, a Heretical Codex, and a Late Roman Autodafé", Oriens Christianus 97 (2013/14), 1-23. Mein Selbstversuch, ein Buch zu verbrennen, war allerdings sehr erfolgreich: https://www.dropbox.com/s/xitsjfi51vyr9wl/Volker%20Menze.mp4?dl=0.
[4] Zumal sich Rohmann in dieser "Conclusion" widerspricht, da er drei Paragraphen später dann (anscheinend - der Konditionalsatz relativiert die Aussage) doch von systematischer Verfolgung unter Justinian ausgeht: "book-burning was even enforced systematically during this time period and included an unspecific range of pagan books, if we can trust texts such as the anonymous Life of Simeon."
Volker Menze