Paul Srodecki: Antemurale Christianitatis. Zur Genese der Bollwerksrhetorik im östlichen Mitteleuropa an der Schwelle vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit (= Historische Studien; Bd. 508), Husum: Matthiesen 2015, 532 S., ISBN 978-3-7868-1508-2, EUR 69,00
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Die Problematik der Außengrenzen Europas ist derzeit von einer brennenden Aktualität. Asylobergrenzen werden ebenso diskutiert wie neue "Bollwerke" zum Auffangen des "Flüchtlingsstroms" an den Grenzen Europas. Es scheint, als erlebe die Vorstellung einer in sich geschlossenen, europäischen christianitas eine Renaissance in gewandelter Form. Umso wichtiger ist es, diesen Diskurs um eine differenzierte historische Analyse europäischer "Bollwerks"-Vorstellungen zu ergänzen. Nicht weniger ist das Ziel von Paul Srodecki in dem hier zu besprechenden Buch, dem seine im Sommersemester 2013 angenommene Dissertation zugrunde liegt.
Die tagespolitische Einordnung nimmt Srodecki selbst in der Einleitung vor, wenn er die Debatten um die Außengrenzen Europas als "fernes Echo einer bereits vor Jahrhunderten benutzten Rhetorik" (13) beschreibt. Diese stehe im Mittelpunkt seiner Studie. Erstmals wird hier eine bewusst transnationale und transepochale Analyse der Verwendung des Bollwerktopos im östlichen Mitteleuropa - vornehmlich in Polen und Ungarn - vom 14. bis ins 17. Jahrhundert angestrebt, wobei Verflechtungen mit den umliegenden Regionen sowie Italien und dem Reich stets berücksichtigt werden. Srodeckis Studie ist zudem interdisziplinär angelegt - wie die recht knappe methodische Einordnung zeigt - und vereint neben Mediävistik und Frühneuzeitforschung ebenso begriffs- und diskursgeschichtliche Ansätze.
Die Gestaltung der Arbeit verhält sich kongruent zum skizzierten Vorhaben: Das Quellen- und Literaturverzeichnis nimmt mit 130 Seiten gut ein Viertel des Gesamtumfangs der Publikation ein. Die Forschungsliteratur ist sprachlich breit rezipiert worden. Ebenso weit gefächert ist die Auswahl der Quellen: Neben diplomatischen und historiografischen Überlieferungen finden sich unter anderem Korrespondenzen, Viten sowie normative und theologische Texte. Hinzu kommen zahlreiche Abbildungen von Bollwerksdarstellungen im Anhang. Der Umgang mit dem Material erfolgt souverän, auch wenn mancher Teilaspekt fast zwangsläufig etwas zu kurz kommt. [1] Insgesamt ist es dem Autor aber hoch anzurechnen, dass die Darstellung trotz der Materialfülle stets klar und durchgängig gut lesbar bleibt.
Den selbstgesetzten Anspruch eines "Handbuches" (25) spiegelt die Gliederung durchaus wider, auch wenn manche Überschriften wie "Unterstützung aus dem Reich" für eine schnelle Orientierung wenig hilfreich scheinen. Nach dem Einleitungskapitel folgt eine begriffs- und ideologiegeschichtliche Einführung. Besonders verdienstvoll erscheint die ausdrückliche Differenzierung zwischen "Alterität" als notwendigem Abgrenzungsvorgang jedweder Identitätsbildung und "Alienität", das heißt der "auf fundamentaler interkultureller Differenz beruhenden und [...] als böswillig eingestuften unbekannten Fremde, die es [...] zu bekämpfen gilt" (41). Wenn also Srodecki die Genese und Verwendung des Bollwerkstopos untersucht, dann ist dies im Sinne der Alienität zu verstehen, was nicht ausschließt, dass die jeweiligen Gesellschaften, in denen diese Topik Anwendung fand, von Alterität geprägt waren. Diese Differenzierung erscheint für den Untersuchungsraum absolut notwendig.
Die weitere Struktur der Arbeit ist chronologisch angelegt. Nachdem im dritten Kapitel im Deutschen Orden sowie den Königreichen Polen und Ungarn die Ursprünge der Bollwerksrhetorik aufgespürt werden, untersucht das vierte Kapitel die weitere Verwendung im Kontext der Auseinandersetzung zwischen dem Orden und Polen. Die rhetorische Beschwörung fand zu großen Teilen auf den Konzilien in Konstanz und Basel statt. Letzteres steht im Mittelpunkt eines Exkurses (Kapitel 5), in dem Srodecki die Bedeutung Eneas Silvio Piccolominis für die weitere Diffusion der Bollwerksrhetorik herausarbeitet. Dies ist von großer Bedeutung für eine der Leitthesen Srodeckis, wonach die italienischen Humanisten für die Verbreitung der Topik entscheidend waren. Jedoch betont er, dass vor allem Piccolomini mit seiner Türkenrede auf dem Basler Konzil 1436 sicherlich einen für die folgende Zeit prägenden Stil gefunden hatte (151), jedoch nicht als Urheber eines gegen die Bedrohung von außen gerichteten Konzeptes "Europa" anzusehen ist. Diesen identifiziert Srodecki bereits zuvor mit Bela IV. (92).
In den beiden folgenden Kapiteln wird die weitere Ausgestaltung der Bollwerksrhetorik unter den ungarischen Hunyadis und den Jagiellonen im 15. und beginnenden 16. Jahrhundert untersucht. Insbesondere bei der Betrachtung der Jagiellonen zeigt sich, wie absolut notwendig der gewählte transnationale Ansatz ist. Immerhin herrschten Vertreter dieser Dynastie in den Königreichen Polen, Ungarn, Böhmen und im Großfürstentum Litauen. Ihre Politik betraf daher auch Preußen, Kurland, Livland und Moldau. In dieser Gemengelage beobachtet Srodecki um 1500 eine Verdichtung in der Verwendung der Bollwerksrhetorik, die auch zur Durchsetzung des Topos der antemurale christianitas "bei gleichzeitiger Zurückdrängung anderer Bollwerkstopoi" (254) beigetragen habe. Srodecki zeigt präzise, wie sich deren Verwendung im 16. Jahrhundert zu wandeln begann. Einerseits griffen Habsburger und Kroaten nach dem Niedergang Ungarns diese Topik auf, andererseits wurde im Königreich Polen auch das Großfürstentum Moskau zusehends in den Rang der "Alienität" erhoben und die Bollwerksrhetorik um eine neue Bedrohung ergänzt (292).
Das achte Kapitel verfolgt in groben Zügen die weitere Verwendung der Topik. Dabei stellt Srodecki eine Ausdifferenzierung der Akteure fest. In der zunehmenden Adaption durch den Adel habe sich eine "Loslösung von früheren, ausschließlich an dynastischen Legitimitäts- und Idoneitätsnachweisen gekoppelten Bollwerksvorstellungen" (316) gezeigt. Im Sarmatismus spiegelte sich vor allem ein adliges Selbstverständnis als christliches Bollwerk in Polen-Litauen wider. Die Jesuiten schließlich brachten der Bollwerksrhetorik nicht nur in Polen, sondern auch in Ungarn neuen Aufschwung.
Das neunte Kapitel dient als Ausblick und ist insofern als besonders verdienstvoll anzusehen, da es den Bogen vom 17. bis ins 19. und 20. Jahrhundert schlägt und somit eine Verbindungslinie zwischen betrachteter Zeit und betrachtender Zeit zieht. Immerhin speisen sich die überwiegend nationalen Traditionen der jeweiligen Geschichtswissenschaften oftmals genau aus den romantischen, auf nationale Überhöhung ausgelegten Strömungen jener Jahrhunderte.
Die kompakte Schlussbetrachtung dokumentiert den Erfolg von Srodeckis Vorhaben. Mithilfe seiner diachronen und transnationalen Perspektive kann er mit einer Vielzahl von älteren Forschungsmeinungen aufräumen und die Genese und Verwendung der Bollwerksrhetorik in einem komplexen Akteursgeflecht zwischen Kurie, Italien, dem Reich sowie den Herrschaftsgebieten im östlichen Mitteleuropa durch die Jahrhunderte beschreiben. Die Rhetorik wurde dabei im Laufe der Zeit von neuen Akteuren adaptiert und zeigte sich zudem offen für neue Verkörperungen von Alienität.
Die Studie ist in jeder Hinsicht als Gewinn zu betrachten. Für die Größe des Untersuchungszeitraums ist der Umfang von "nur" 370 Textseiten sehr beachtlich. Die Klarheit der Gliederung, des Stils und die große Belegdichte entsprechen dem selbstgewählten Anspruch eines Handbuchs. Für ein solches wären ein Ortsregister und eine tabellarische Zusammenstellung der wichtigsten Werke, in denen die Bollwerkstopik eine entscheidende Prägung erhielt, wünschenswert gewesen.
Weitere Studien, die in Srodeckis Buch eine profunde Stütze finden würden, sind zur Kontextualisierung seiner Ergebnisse dringend notwendig. Für sich stehend besteht sonst die Gefahr, dass dem Geist Huntingtons [2], den Srodecki selbst beschwört (41), allzu viel Raum gegeben wird. Neben der Alienität, wie sie die Vorstellung einer antemurale christianitas zum Ausdruck bringt, ist die Geschichte Europas eben auch von Alterität geprägt. Besonders in Anbetracht der eingangs erwähnten tagespolitischen Aktualität des Themas ist diese Gleichrangigkeit von enormer Bedeutung. Sonst droht der Zirkelschluss, "Europa" habe sich durch die Jahrhunderte allein durch die Abwehr äußerer "Feinde" definiert. Kaum ein Gedanke könnte dem Ansinnen von Srodeckis differenzierter und verdienstvoller Studie mehr zuwiderlaufen.
Anmerkungen:
[1] Bei der Thematisierung der neueren Forschung zu Grenzgesellschaften (26) wäre eine intensivere Auseinandersetzung mit den reichhaltigen Ergebnissen der mediävistischen Forschung denkbar gewesen, etwa Andrzej Janeczek (Hg.): Frontiers and Borderlands, Warszawa 2011; Klaus Herbers / Nikolas Jaspert (Hgg.): Grenzräume und Grenzüberschreitungen im Vergleich. Der Osten und der Westen des mittelalterlichen Lateineuropa, Berlin 2007; ebenso hätte eine ausführlichere Auseinandersetzung mit dem breiten Spektrum dessen, was in mittelalterlichen Quellen als "Sarazene" bezeichnet wird (47f.), vielleicht noch einigen Ertrag zur Thematik der Fremdheitszuschreibungen beisteuern können.
[2] Samuel P. Huntington: The Clash of Civilizations and the Remaking of World Order, New York 1996.
Sven Jaros