Rezension über:

Jörg Peltzer (ed.): Rank and Order. The Formation of Aristocratic Elites in Western and Central Europe, 500-1500 (= RANK. Politisch-soziale Ordnungen im mittelalterlichen Europa; Bd. 4), Ostfildern: Thorbecke 2015, 374 S., ISBN 978-3-7995-9124-9, EUR 49,00
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Rezension von:
Konstantin Moritz Langmaier
München
Redaktionelle Betreuung:
Jessika Nowak
Empfohlene Zitierweise:
Konstantin Moritz Langmaier: Rezension von: Jörg Peltzer (ed.): Rank and Order. The Formation of Aristocratic Elites in Western and Central Europe, 500-1500, Ostfildern: Thorbecke 2015, in: sehepunkte 17 (2017), Nr. 5 [15.05.2017], URL: https://www.sehepunkte.de
/2017/05/28391.html


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Jörg Peltzer (ed.): Rank and Order

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'Rang' fungierte in der Vormoderne als zwangsläufiger Bestandteil einer hierarchisch geordneten, personal strukturierten Gesellschaft, in der oben und unten klar definiert waren. [1] Er galt als Indikator für die individuelle Stellung eines Adeligen in der Welt. Letztere musste aus persönlichen wie aus politischen Gründen gewahrt werden. Man führte ihn deshalb demonstrativ vor Augen und verteidigte ihn im Ernstfall vehement. Einen allgegenwärtigen Aspekt des damaligen öffentlichen Lebens bildeten folglich Fragen, die ihn betrafen.

Die Beschäftigung damit ist für die moderne Mediävistik selbstverständlich geworden. So setzt sich auch der vorliegende Band, das Resultat einer Abschlusskonferenz zweier Symposien, mit diesem Phänomen auseinander. Im Zentrum standen komparative Studien, zu der Forscher aus Frankreich, Deutschland, England und Italien beitrugen. Wird das Thema aus international, breit angelegter Sicht eingehend beleuchtet, wissen die Autoren, dass die mittelalterliche Gesellschaft zu komplex ist, um sie nur aus einer Perspektive wahrnehmen zu können. Dieses Gesichtspunkts ist sich auch der Herausgeber bewusst: "the work on, and about, rank has only just begun" (36). Lediglich zwei Beiträge verfolgen daher eine theoretisch-übergeordnete Herangehensweise.

Jörg Peltzer charakterisiert Rang als die Beziehung eines Individuums zu einer gesellschaftlichen Ordnung. Er ist durch ein horizontales und ein vertikales Element gekennzeichnet. Einerseits fügt sich die Person in eine gleichgestellte Gruppe ein, andererseits steht sie über oder unter anderen. Dass sich hierarchische Vorstellungen von Gesellschaft zu Gesellschaft unterscheiden, wird betont. Rang war relativ, da ihn mehrere Faktoren wie adelige Abstammung ('Alter'), exklusive Gruppenzugehörigkeit, politische und verwandtschaftliche Nähe zum Herrscher, Titel oder Besitz bestimmten. Die Untersuchung dieser Kriterien verrät etwas über die Werte und Normen der damaligen Gesellschaft, die sich in ein gottgewolltes Gefüge eingebunden fühlte. Folgt man Guido Sprengers anthropologischem Ansatz, ist Rang als Kulturmerkmal Veränderungen unterworfen. Wesentlich sei, dass er mit Ordnungsvorstellungen verknüpft sei, die kommuniziert werden müssten, z.B. im zeremoniellen Rahmen. Diese seien in vielen Kulturkreisen kosmologisch begründet, was jedoch keine gesellschaftliche Mobilität von vornherein ausschließe. Unbeantwortet bleibt, wieso Rangunterschiede grundsätzlich als selbstverständlich hingenommen wurden.

Frühmittelalterlichen Grabinschriften widmet sich Verena Epp, die anhand verschiedener spätantiker bzw. frühmittelalterlicher Persönlichkeiten Epitaphe untersucht. Neben Familienstolz, Kampfestüchtigkeit, Reichtum und Redegabe sei den virtutes eine immer größere Rolle beigemessen worden. Christliches Standesdenken, vornehme Deszendenz und Amtsethos seien von größerer Bedeutung gewesen als bloßer Reichtum.

Überlegungen zu den Rangfaktoren und zur Rangkommunikation im karolingischen Reich von Philippe Depreux bestätigten die Erkenntnis, dass Titel und Funktionen nicht "stabil" blieben. So wird am Beispiel Hinkmars von Reims klar, dass neben den klassischen Rangkriterien auch Lebensalter, Erfahrung und "Treue zur Tradition" eine gewisse Wertigkeit einnahmen. Zuzustimmen ist der Behauptung, dass die Hierarchie am Hof nicht mit der im politischen Leben des Reiches identisch war.

Mit dem Rang von Grafen, Markgrafen und Herzögen im Reich befasst sich ein weiterer Beitrag von Jürgen Dendorfer, der erörtert, wodurch sich Große des 12. Jahrhunderts diesen erwarben. Wesentlich seien die Nähe zum König bzw. zu seinem Hof, die Verwandtschaft und die Bestätigung bzw. Zuweisung von Ämtern gewesen. Ohne letztere war eine Zuordnung zu den principes ausgeschlossen. Deutlich wird dabei, dass es nicht nur das Reichsoberhaupt, sondern die Fürsten selbst waren, die bestimmten, wer ihrem Kreis zuzurechnen war und wer nicht. Kriterien wie die Erblichkeit von Titeln bzw. der ererbte Rang hatten mindestens eine genauso große Bedeutung wie der Königsdienst und die Distribution von Rang am Königshof.

David Crouch schenkt dem nicht-kontinentalen Raum sein Augenmerk: Die Britischen Inseln der vornormannischen Zeit werden dabei als "archipelago of many kings" charakterisiert (117), unter denen es ein eigenes Ranggefüge gegeben habe. An die Stelle dieser Vielzahl an Königen seien - im Sinne einer "demoted royalty" - die ealdormen als Untergebene des englischen Königs gerückt, die zur Idee einer eigenständigen Aristokratie im frühen Britannien beigetragen hätten. Den Unterschied zum frankofonen Raum verdeutlicht ein Terminus wie Aetheling, der königliches Geblüt, jedoch keinen Anspruch auf Königsherrschaft signalisierte. Unübersehbar ist dabei, dass der Kontinent weitaus mehr Rangvorstellungen der spätrömischen Zeit übernommen hat.

Jean-Marie Moeglin analysiert die spätmittelalterlichen Rangverhältnisse in Frankreichs Adel. Diese waren dem Anspruch nach fixiert. Den Maßstab legten vorangegangene zeremonielle Situationen, welche die Folie für die Rangzuweisungen abgaben. Trotzdem blieb dem Herrscher in der Realität ein gewisser Spielraum, um diese vorzunehmen.

Bildliche Darstellungen auf Siegeln und Münzen und ihre Bedeutung für Rangverhältnisse werden von Andrea Stieldorf thematisiert. Auf Siegeln bevorzugten die Reichsfürsten des Hochmittelalters Reiterbildnisse. Hier erscheinen sie meist in Rüstung, um ihre Wehrhaftigkeit zu dokumentieren. Im Unterschied zum übrigen Hochadel, der sich üblicherweise mit dem Schwert abbilden ließ, blieb ihnen die Fahnenlanze vorbehalten. Der Rang ritterlicher Adeliger wurde hingegen an Wappendarstellungen erkannt.

Thorsten Huthwelker vergleicht die Abfolge von Wappen in Wappenrollen aus England und dem Heiligen Römischen Reich. Er kommt zu dem Schluss, dass der Titel, königliches Blut und Anwesenheit auf der politischen Bühne in England entscheidender waren als im Reich, wo Alter und 'Eingesessenheit' einer Familie eine größere Rolle spielten. Die Zuweisung des Rangs scheint dort mehr vom jeweiligen Betrachter abhängig gewesen zu sein.

Laurent Hablot zeigt, dass die Verwendung von Wappen ursprünglich vom Hochadel ausging, nicht jedoch von ritterlichen Kreisen. Ihre Benützung habe sich rasch auf andere Gesellschaftsgruppen ausgedehnt, sodass eigene Merkmale der Rangzuordnung geschaffen werden mussten. Bestimmte Bestandteile des Wappens erwiesen sich als weitgehend resistente Rangindikatoren. Zu beobachten ist dabei, dass nicht so sehr die Wappen als solche, sondern ihre Verwendung in der Öffentlichkeit Rang markierten.

Annie Renoux', Oliver Creightons, und Géraldine Victoirs These geht dahin, dass Residenzen bzw. Burgen weit mehr waren als reine Fortifikationsanlagen. Sie manifestierten hohen Ranganspruch und zeigten Macht, Reichtum, Tradition, adelige Präsenz sowie elitäre Größe, wozu auch die Zurschaustellung der eigenen Herrschaft als landschaftsgestaltender Faktor gehört.

Der vorliegende Band gewährt im Einzelnen wertvolle neue Einsichten. Er sollte, gerade wegen des internationalen Ansatzes, dahingehend verwendet werden, sich nicht an einer einzigen Fragestellung zu orientieren, sondern die mittelalterliche Gesellschaft aus ganzheitlicher Perspektive, aus unterschiedlichen Blickwinkeln wahrzunehmen: Herrschaft war nicht nur 'Macht', Rang nicht allein Selbstzweck. Beide bedurften stets auch der Legitimation und des 'Tauglichkeitsbeweises', beispielsweise dem der Herkunft. Faktoren wie Identität, Herkommen, Gewohnheit, 'Tradition' bzw. die Orientierung an dem, was man als bewährt und damit als 'alt' empfand, sind mindestens ebenso fundamental wie Ehre, Treue, Huld, Dienst, Schutz und Schirm, Gabe und Gegengabe. Sie sind Teil der damaligen sozialen Konditionierung und damit ein zentraler Pfeiler der mittelalterlichen Kultur.

'Rang' beschreibt als Terminus deshalb nur einen Teilaspekt der vormodernen Gesellschaft. Er kann die damalige komplexe Wirklichkeit genauso wenig exakt erfassen wie Begriffe wie 'Lehenswesen' oder 'Feudalismus'. Das Dilemma, das sich in der Fixierung auf Einzelfragen und konstruierte Termini widerspiegelt, hat seine tiefere Ursache darin, dass der im Schlepptau der Aufklärung stehende Betrachter die Welt aus dem Fokus seiner eigenen von Zweckrationalität geprägten Mentalität grundsätzlich anders wahrnimmt als das mittelalterliche Individuum. Er sucht nach Strukturen bzw. "Ismen", ohne den Menschen als solchen in seinem Lebenskosmos zu sehen: Ist dieser aus moderner Sicht ein vernunftbegabtes Wesen, ist er aus der Perspektive des Mittelalters die Inkarnation der Traditionen, in denen er steht. Rationales Denken ist deshalb in der Vormoderne nicht der primäre Maßstab für das, was als richtig und 'geeignet' betrachtet wird. Subjektives Planen und Streben gilt grundsätzlich als fehlerhaft. Vernünftig ist vielmehr das, was sich dauerhaft bewährt hat. Ein Adeliger ist folglich nicht allein durch Gott zur Herrschaft berufen, weil er über Privilegien, Besitz, Gerichtsrechte und Verbindungen zur dominierenden Elite verfügt, sondern weil ihn seine Herkunft dazu prädestiniert: Die über Generationen weitergegebenen Traditionen unterscheiden die Menschen. Sie befähigen sie zu dieser oder jener Funktion; sie bewirken Ungleichheit. Genau aus diesem Grund sind 'Stand' und 'Rang' keine rein äußerlichen Phänomene, die isoliert gesehen werden können, sondern elementare Bestandteile des mittelalterlichen Denkens.


Anmerkung:

[1] Karl-Heinz Spieß: Rangdenken und Rangstreit im Mittelalter, in: Zeremoniell und Raum, hg. von Werner Paravicini (= Residenzenforschung; Bd. 6), Sigmaringen 1997, 39.

Konstantin Moritz Langmaier