Wolfgang Brückle / Pierre Alain Mariaux / Daniela Mondini (Hgg.): Musealisierung mittelalterlicher Kunst. Anlässe, Ansätze, Ansprüche, Berlin: Deutscher Kunstverlag 2015, 293 S., 148 s/w-Abb., ISBN 978-3-422-07334-0, EUR 44,90
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In höherem Maße als jüngere Exponate, die in der Zeit des selbstbewussten Künstlers als Kunstwerke entstanden sind, drohen mittelalterliche Objekte ohne ihren ursprünglichen Zusammenhang als etwas wahrgenommen zu werden, das sie nie waren. Die Untersuchung von Konzepten musealer Präsentationsformen und Inszenierungen dieser Stücke ist in der kunsthistorischen Forschung nicht neu. Nichtsdestotrotz ist der von Wolfgang Brückle, Pierre Alain Mariaux und Daniela Mondini herausgegebene Sammelband, der in der Folge einer Tagung zur Ausstellung mittelalterlicher Objekte entstanden ist [1], eine wichtige Ergänzung auf diesem Forschungsfeld. Der Band bietet mit 15 Beiträgen eine Fülle von Perspektiven auf die Geschichte der Ausstellung von mittelalterlicher Kunst und der Strategien und Konzepte, die ihr zugrunde liegen. Die Aufsätze sind chronologisch nach dem beschriebenen Zeitraum des Ausstellungskonzepts geordnet. Dabei ist die internationale Perspektive besonders reizvoll und schärft die Argumente im Kontextdiskurs erheblich.
In seinem ersten Beitrag versucht Wolfgang Brückle die Anfänge eines Sammlungs- und Ausstellungswillens zu fassen, die er bereits in der Spolienverwendung des Mittelalters und in den Formulierungen der Inventare vorgebildet sieht (12). Hier offenbart sich ein erstes Problem bei der Untersuchung des Phänomens "Ausstellen": Nicht nur die Objekte selbst verlieren im Museum ihren Kontext, sondern auch die Begriffe, mit denen wir in diesem Zusammenhang operieren. Brückles einführender Aufsatz ist insofern ein gutes Vorbild für einen wachsamen Umgang mit diesen Begrifflichkeiten, da er sie nie absolut verwendet und immer nur Anteile ihrer Definition in den mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Phänomenen ausmacht. Pierre Alain Mariaux greift diesen Gedanken ebenfalls auf und befragt die mittelalterliche Schatzkammer nach ihrem Ausstellungscharakter. Der folgende zeitliche Sprung zum Beitrag von Tobias Kunz, der sich mit mittelalterlichen Objekten in barockisierten Kirchen befasst, ist groß. Hierin wird deutlich, wie vereinzelt verwertbare Zeugnisse zu einem wie auch immer gearteten Ausstellungswillen im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit sind. Er beschreibt Fälle einer konservierenden Einbindung mittelalterlicher Teile in barocke Überformungen, wie zum Beispiel am Oberweseler Flügelretabel (48f.), und erwähnt auch Umgestaltungen mittelalterlicher Kultbilder, um sie dem veränderten Zeitgeschmack anzupassen (54). Diese Beispiele lassen sich nicht nur für Fragestellungen, welche die Musealisierung mittelalterlicher Objekte betreffen, fruchtbar machen, sondern berühren auch Diskurse der Konservierung und Denkmalpflege.
Nachdem in den ersten drei Beiträgen von den Objekten aus argumentiert wurde, verschiebt sich in den folgenden Aufsätzen die Perspektive auf die Personen und Institutionen, welche Ausstellungen verantworten und inszenieren. Vielgenannt ist in diesem Zusammenhang Alexandre Lenoir, der häufig als Wiederentdecker mittelalterlicher Kunst im frühen 19. Jahrhundert gilt. Umso wichtiger ist daher der Beitrag Cecilia Hurleys, die anhand einer gründlichen Quellenanalyse herausarbeiten kann, das Lenoirs Blick auf den künstlerischen Wert der mittelalterlichen Objekte bei Weitem nicht so positiv ist, wie es häufig kolportiert wird (68). Markus Thome nimmt die Objektgruppe Bauskulptur in den Blick, die als museales Objekt aufgrund ihrer Fragmentarität eine besondere Herausforderung an die Musealisierung stellt. Aufgrund der unvollständigen Erhaltung - und das gilt für alle Fragmente im Museum - verlangt die Bauskulptur nach einer doppelten Kontextualisierung, indem sie in den baulichen und in ihren zeitlichen Zusammenhang eingeordnet werden sollte. Die vielfältigen Lösungen für das Problem, die Thome anführt, können auch auf die unterschiedlich definierten Adressatenkreise der Objekte zurückgeführt werden.
In den folgenden Aufsätzen werden Beispiele aus verschiedenen Ländern vorgestellt. Manuela Beer thematisiert die Einbindung der Typenreihen, die als Grundidee der Sammlung Schnütgen gelten können, in den unterschiedlichen Ausstellungssituationen des Museum Schnütgen seit seiner Einrichtung. In Evelin Wetters Beitrag zu den ungarischen Schatzkunstausstellungen und Lena Liepes Aufsatz über mittelalterliche Kunst im Statens historiska museum in Stockholm werden die nationalistischen Interessen, welche den Ausstellungen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts zugrunde liegen, herausgearbeitet. Darüber hinaus kommen Beispiele aus der Schweiz (Chantal Lafontant Valloton), Spanien (Gaspar Coll i Rosell), Italien (Daniela Mondini / Isabel Haupt) und Norwegen (Natalie Hope O'Donnell) zur Sprache.
Das Thema der Fragmente im Museum wird in Daniela Mondinis und Isabel Haupts Beitrag noch einmal in den Mittelpunkt gerückt. Der Aufsatz stellt zwei italienische Museumskonzepte der Nachkriegszeit vor und fokussiert in der ersten Hälfte auf Franco Albinis und Caterina Marcenaros Neueinrichtung des Palazzo Bianco in Genua. Das ikonische Fragment des Grabmals der Margarete von Brabant von Giovanni Pisano, das den Leser schon auf dem Cover innehalten lässt, wurde auf einem hydraulisch verstell- und in sich drehbaren Sockel präsentiert, der eine Allansichtigkeit des Skulpturfragments herstellte (220-222). Das Fragment erschien so nicht mehr als ein Rest von einer Ganzheit, sondern wurde selbst zu einer Entität, seine Verweisfunktion überblendet durch seinen ästhetischen Wert - im Vergleich mit den Beispielen aus Markus Thomes Beitrag ein völlig anderer Umgang mit fragmentarisch erhaltenen Stücken.
Der Sammelband bietet einen vielfältigen Zugang zu den Inszenierungsstrategien für mittelalterliche Objekte im Museum und vermag den Diskurs auf diesem Gebiet durch viele wichtige Anregungen zu schärfen. Ein umfangreiches Register, das Personen, Orte, Museen und Ausstellungen auflistet sowie das handliche Format erleichtern die Nutzung. In Kombination mit den sinnvoll und punktuell zugeschnittenen und vielschichtigen Beiträgen kann man dem Sammelband durchaus Handbuchqualitäten bescheinigen.
Anmerkung:
[1] "Ausstellen im Mittelalter, ausgestelltes Mittelalter. Blicke aufs Museum und Blicke zurück", September 2007, Abegg-Stiftung, Riggisberg/Schweiz.
Esther-Luisa Schuster