Tilmann Trausch: Studien zum Delhi Sultanat (1206-1526). Einführung, in: sehepunkte 17 (2017), Nr. 7/8 [15.07.2017], URL: https://www.sehepunkte.de
/2017/07/forum/studien-zum-delhi-sultanat-1206-1526-220/
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Von Tilmann Trausch
Der Sonderforschungsbereich 1167 "Macht und Herrschaft - Vormoderne Konfigurationen in transkultureller Perspektive" an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn widmet sich vormodernen Konfigurationen von Macht und Herrschaft in Asien, Europa und dem nördlichen Afrika in transkultureller Perspektive. Ziel ist unter anderem, den ubiquitären Eurozentrismus bei der Beschäftigung mit Macht und Herrschaft zu überwinden oder zumindest zu nivellieren, indem die Grenzen, die die im europäischen Wissenschaftsbetrieb entstandenen Fachkulturen gesetzt haben, in Frage gestellt werden und stattdessen ein transkultureller Ansatz zur Beschreibung von Macht und Herrschaft erarbeitet wird (https://www.sfb1167.uni-bonn.de/).
Im Rahmen des Sonderforschungsbereichs beschäftigt sich das Teilprojekt 06 "Macht und Herrschaft in indo-persischen historiographischen Texten aus der Zeit des Delhisultanates (1206-1526)", geleitet von Stephan Conermann, mit der Frage, wie in der indo-persischen historiographischen Literatur dieser Zeit Formen von Macht und Herrschaft wahrgenommen und dem Leser vor dem Hintergrund eines in der Regel als idealtypisch vorausgesetzten oder auch explizit formulierten Modells vermittelt werden (https://www.sfb1167.uni-bonn.de/teilprojekte/tp-conermann).
Das Sultanat von Delhi, welches in variierender territorialer Ausdehnung zwischen dem frühen 13. und dem frühen 16. Jahrhundert Bestand hatte, gilt heute als die erste von den Kernlanden der östlichen islamischen Welt unabhängige muslimische Herrschaft auf dem indischen Subkontinent. Lange getragen von überwiegend zugewanderten Eliten aus dem heutigen Afghanistan, dem iranischen Hochland und Zentralasien und geprägt durch regelmäßige Migrationsbewegungen im Bereich gerade dieser Eliten, kontrollierten die Sultane von Delhi bisweilen große Teile des heutigen Nordindiens. Als Herrscher über eine größtenteils nichtmuslimische Bevölkerung in einem großen und mitunter schwer zugänglichen Gebiet war ihre Herrschaft allerdings in vielen Regionen fragil, oft eher indirekter Art und bisweilen lediglich nominell. Trotz dieser mitunter widrigen Umstände entwickelte sich Delhi selbst zu einem Zentrum islamischer Kultur.
Ein zentrales Problem heutiger Forschung im Umgang mit dem Sultanat von Delhi ist die Quellenlage. Diese ist noch ungleich schlechter als die für andere Regionen der ohnehin nicht übermäßig quellenreichen östlichen islamischen Welt. Die meisten der auf uns gekommenen Quellen sind Schriftquellen, überwiegend aus den Genres profaner Hofliteratur wie Chroniken, Fürstenspiegel oder Epik. Da zudem so gut wie keine zeitgenössischen Abschriften dieser Texte erhalten sind, die frühesten stammen aus dem späten 15. Jahrhundert, müssen viele Aussagen zu dieser Zeit einen vorläufigen Charakter behalten.
Zudem hat auch die Forschung zum Delhi Sultanat ihre Geschichte. Ihre Anfänge liegen in der britischen Kolonialzeit, als Vertreter der East India Company und britische Kolonialbeamte damit begannen, die Schriftquellen verschiedener muslimischer Reiche Indiens zu edieren, zu übersetzen und einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Ihre Ziele waren jedoch immer auch politischer Natur, es ging ihnen darum, die Kolonialisierung Indiens zu Hause als eine Befreiung der indigenen Inder vom Joch muslimischer Invasoren darzustellen. Den Editionen, die ohnehin nur in den seltensten Fällen kritische sind, vor allem aber den Übersetzungen ist dies deutlich anzumerken. Trotzdem werden diese weiterhin genutzt und nicht wenige der in diesem Forum besprochenen Studien basieren zentral auf ihnen.
Im 20. Jahrhundert wurde viel über das Sultanat von Delhi geforscht. Neben einem ungebrochenen Interesse aus der englischen Forschungslandschaft betrifft dies nach dem Ende der britischen Kolonialzeit insbesondere die jungen Staaten Indien und Pakistan, in denen über mehrere Jahrzehnte hinweg eine Vielzahl an Studien vorgelegt wurden. Nachdem dann gegen Ende des 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts die Beschäftigung mit der Sultanatszeit gerade in Indien eher als Sackgasse der universitären Laufbahn galt, beschäftigen sich in den letzten Jahren wieder mehr Forscher mit diesem Reich.
In der europäischen und nordamerikanischen Forschung hingegen war das Delhi Sultanat selten im Fokus und stand stets im Schatten der ungleich bekannteren Moguln, die die Herrschaft der Sultane von Delhi im Jahr 1526 überworfen hatten und heute als die indo-muslimische Herrschaft par excellence gelten. In der deutschen Forschungslandschaft etwa bildet das Teilprojekt Conermann des Sonderforschungsbereichs 1167 die einzige Gruppe von Wissenschaftlern, die sich mit dem Sultanat von Delhi befasst.
Dies führt unter anderem dazu, dass ein nicht geringer Teil der heutigen Forschungsliteratur zum Sultanat von Delhi aus Indien und Pakistan stammt und einen spätestens der Wunsch, Eurozentrismen zu überwinden, unweigerlich mit den dortigen Forschungstraditionen in Kontakt bringt - Forschungstraditionen, die sich in nicht wenigen Bereichen deutlich von deutschen, französischen oder angelsächsischen Tradition unterscheiden. Während sowohl aus Indien als auch Pakistan hervorragende Studien zur Geschichte des "mittelalterlichen" Indien vorgelegt werden und dortige Kollegen führende Experten auf ihren Fachgebieten sind, ist das universitäre Feld dieser Länder doch sehr heterogen, möglicherweise heterogener als dies etwa in Deutschland der Fall ist. So wird man in diesen Ländern auch immer wieder mit anderen Vorstellungen von historischer, literatur- oder kulturwissenschaftlicher Forschung konfrontiert, als die, die den Stand der deutschen, französischen oder angelsächsischen Forschung prägen.
So verfolgen mitunter auch Publikationen neueren Datums aus unserer Sicht eher deskriptive, narrative oder positivistische Ansätze und man sieht sich immer wieder mit Studien konfrontiert, die letztlich lediglich ihre meist narrativen Quellen nacherzählen. Auch gibt es mitunter andere Vorstellungen bezüglich der Möglichkeiten historischer Erkenntnis. Dem Eingeständnis etwa, alleine aufgrund der schlechten Quellenlage zu vielen Aspekten des Sultanats von Delhi letztlich nur Mutmaßungen anstellen oder die Einzelmeinung isolierter und in ihrer Textgeschichte oft wenig untersuchter Quellen wiedergeben zu können, steht oft die Erwartungshaltung gegenüber, unbedingt etwas sagen zu müssen und dies dann auch zu können. Und nicht zuletzt tragen die Editionen der entsprechenden Quellen deren Textgeschichte nicht immer hinreichend Rechnung, etwa was die Auswahl der zugrunde gelegten Manuskripte betrifft.
Des Weiteren handelt es sich gerade bei älteren Studien aus Indien und Pakistan nicht selten um Produkte einer Nationalgeschichtsschreibung, die etwa das Sultanat des 13. Jahrhunderts entweder als natürlichen Vorläufer heutiger Nationalstaaten postulieren oder aber es aus der 'eigenen' Geschichte exkludieren. Zu guter Letzt haben nicht wenige auch der neueren Studien einen politischen oder religiösen Unterton. In Zeiten zunehmender interreligiöser Spannungen scheint es gerade in Indien schwer zu sein, weltanschaulich neutral über eine Epoche mehrheitlich muslimischer Herrschaft zu schreiben. Auch dies zeigen einige der in diesem Forum besprochenen Studien.
Wer sich heute mit dem Delhi Sultanat befasst, muss sich somit der Tatsache stellen, dass die Parameter, denen sowohl die vorhandene Literatur als auch die aktuelle Forschung folgen, nicht selten ganz andere sind als die, die die historische Forschung in Deutschland prägen - eine Feststellung, die freilich auch andersherum funktioniert.
Dessen ungeachtet ist es so unausweichlich wie nützlich, die aktuelle Forschung zum Sultanat von Delhi zu diskutieren. Will man transkulturell arbeiten, muss man sich umso mehr mit anderen Forschungstraditionen auseinandersetzen, zumal mit denjenigen der Länder, die die Heimat unserer Quellen sind. Dementsprechend stellen wir in diesem FORUM Publikationen zu verschiedensten Aspekten des Delhi Sultanats aus Amerika, Indien und Pakistan vor, ebenso wie Editionen und Übersetzungen der diesbezüglichen Quellen, die in jüngster Zeit erschienen sind. Nicht zuletzt bietet die Auseinandersetzung mit anderen Ansätzen historischer, literatur- oder kulturwissenschaftlicher Forschung immer auch die Möglichkeit, die eigenen zu reflektieren.