Matthias Bley / Nikolas Jaspert / Stefan Köck (eds.): Discourses of Purity in Transcultural Perspective (300-1600) (= Dynamics in the History of Religions; Vol. 7), Leiden / Boston: Brill 2015, VIII + 372 S., ISBN 978-90-04-28974-1, EUR 140,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Michael D. Barbezat: Burning Bodies. Communities, Eschatology, and the Punishment of Heresy in the Middle Ages, Ithaca / London: Cornell University Press 2018
Anne Kirkham / Cordelia Warr (eds.): Wounds in the Middle Ages, Aldershot: Ashgate 2014
Timothy S. Miller / John W. Nesbitt: Walking Corpses. Leprosy in Byzantium and the Medieval West, Ithaca / London: Cornell University Press 2014
Nikolas Jaspert: Die Kreuzzüge, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2003
Aymat Catafau / Nikolas Jaspert / Thomas Wetzstein (éds.): Perpignan 1415. Un sommet européen à l'époque du Grand Schisme d'Occident , Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2018
Michael Borgolte / Nikolas Jaspert (Hgg.): Maritimes Mittelalter. Meere als Kommunikationsräume, Ostfildern: Thorbecke 2016
Dieser aus zwei Tagungen am Käte Hamburger Kolleg der Ruhr-Universität Bochum aus dem Jahr 2010 hervorgegangene Band eröffnet in einer erfreulich offenen, weit überregionalen und den engeren europäischen Rahmen verlassenden Sicht ein für die Religionsgeschichte zentrales, aber noch erstaunlich wenig in den Fokus geratenes Phänomen. Dabei zeigt sich, dass Reinheit sehr unterschiedliche Funktionen übernehmen konnte. Wie Nikolas Jaspert in seiner konzisen Einleitung zeigt, kann der Diskurs um Reinheit und Unreinheit die eigene religiöse Gruppe wie zugleich auch die andere religiöse Gemeinschaft definieren und innere, soziale Unterschiede herstellen. Dabei sind das Ausmaß und die Prominenz, in dem Diskurse über Reinheit in verschiedenen, mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Gesellschaften geführt wurden, durchaus unterschiedlich.
Das machen insbesondere mehrere Beiträge zu religiösen Vorstellungen in China deutlich. Hermann-Josef Röllicke zeigt, dass im Daoismus die Diskussion um Reinheit überhaupt nur eine untergeordnete Rolle spielte; das entsprechende Wort qīng und das verwandte Wortfeld ist dabei durchaus nicht so eindeutig als Synonym zu "Reinheit" oder "Purity" in den westlichen Sprachen zu verstehen. Das unterstreichen auch Paolo Santangelo mit einer Untersuchung, die sich der chinesischen Literatur der Frühen Neuzeit widmet, und Licia Di Giacinto mit ihrem Blick auf den Daoismus im frühmittelalterlichen China. Sie zeigt, dass eine klare Trennung zwischen den Religionen, insbesondere zwischen Daoismus, Buddhismus und Konfuzianismus, anhand der Reinheitskonzepte nicht möglich ist; zudem stellt sich der Daoismus nicht als monolithische Religion dar, was eine Untersuchung im Sinne der Thematik des Sammelbandes zusätzlich verkompliziert. Deutlich wird in allen diesen Beiträgen, dass die Einführung des Buddhismus in Ostasien den Diskurs um die Reinheit beförderte. Auch Stefan Köck zeigt in seinem Beitrag, wie in der japanischen Verehrung von Bergen Reinheitsvorstellungen eine zentrale Rolle spielten, diese aber zugleich nicht aus einer, sondern mehreren religiösen Vorstellungswelten erwuchsen, unter denen die einheimischen Kami-Kulte, der vom Festland importierte Buddhismus und chinesische Divinationslehren die wichtigste Rolle spielten. Sven Bretfeld greift als einziger Autor dieses Bandes den Theravāda-Buddhismus auf und stellt bei einem Blick auf die Reinheitsvorstellungen dieser Tradition fest, dass es hier - mit erheblichen sozialen Folgen - nicht um eine binäre Logik von Reinheit vs. Unreinheit gehe, sondern um eine Stufenleiter der Reinheit, die im 12. Jahrhundert zur besonderen Verehrung und zum besonderen Einfluss derjenigen Mönche auf Sri Lanka führte, die im Wald lebten und deren Lebensstil als besonders streng galt. Das Phänomen erinnert, so sei angemerkt, an den etwa zeitgleichen Aufstieg der Zisterzienser, auch wenn hier Reinheitsrhetorik eine geringere Rolle gespielt haben dürfte.
Für das mittelalterliche Europa warnt Hans-Werner Goetz, dass die Begriffe munditia / immunditia zwar eine wichtige Rolle in den früh- und hochmittelalterlichen Texten spielen, man deren Bedeutung jedoch nicht überschätzen dürfe; Reinheit sei trotz der alttestamentlichen Vorlagen weit weniger als rituelle Reinheit verstanden, sondern in der Regel auf die Freiheit von Sünde bezogen worden. Analog schließt Miriam Czock in Auseinandersetzung mit Arnold Angenendt bei einem Blick auf die kultische Reinheit frühmittelalterlicher Kirchenbauten, dass die Unterscheidung einer ethischen oder einer materiellen Reinheit je nach Art der Quellen ein anderes, folglich heterogenes Bild bietet. Matthias Bley beleuchtet dasselbe Phänomen aus einer anderen Perspektive, indem er die Entweihung christlicher Kirchen durch Angriffe der Wikinger auf Nantes und Tours und deren historiographische Verarbeitung in den Blick nimmt. Christopher MacEvitt hingegen überlegt, wie das Bild des Islam und der Franziskanermission des 13. und 14. Jahrhunderts durch Diskurse der Reinheit beeinflusst wurden; dabei spielte nicht nur die Vorstellung von Muslimen und ihrer Lehre als unrein, sondern auch das Problem des Armutsstreits und damit der fehlenden Reinheit der Christen eine wichtige Rolle.
Die beiden Beiträge von Hanna Liss und Ephraim Shoham-Steiner behandeln Reinheitskonzepte in der jüdischen Lebenswelt des Mittelalters, wobei das aschkenasische Judentum im Zentrum der Überlegungen steht. Hier sind einerseits die Vorstellungen zur kultischen Reinheit etwa von Frauen oder die Verunreinigung durch den männlichen Samen wesentlich ernster als in der älteren Tradition oder anderen jüdischen Gemeinden aufgefasst worden, was sich etwa in einer immer genaueren Definition diesbezüglicher Vorschriften niederschlug. Andererseits scheint es sich im Bereich des Umgangs mit dem Leichnam gerade umgekehrt zu verhalten, denn hier schwanden die Sorgen vor einer Verunreinigung. Einem ganz anderen Bereich jüdischen Lebens im Mittelalter, der jüdischen Diaspora im omayadischen Al-Andalus des 10.-12. Jahrhunderts, widmet sich der Beitrag von Elisabeth Hollender, die darin der Vorstellung einer Reinheit der hebräischen Sprache in der Dichtung nachgeht. Diese in der jüdischen Tradition ungewöhnliche Haltung dürfte demnach in Abgrenzung zu muslimischen Vorstellungen gesehen werden, die das Arabische des Koran als überlegene Sprache propagierten.
Reinheit spielte entsprechend auch im Islam eine zentrale Rolle. Ein besonderer Aspekt (den man vielleicht auch mit den Bemühungen um eine korrigierte Bibelfassung in karolingischer Zeit vergleichen könnte) stellt hier die Vorstellung des reinen Korantextes dar, den Stefan Leder untersucht. Aziz al-Azmeh nimmt genealogische Reinheit in den Blick, die in der Abstammung islamischer Herrscher vom Propheten propagiert werden konnte.
Der Band unterteilt die Beiträge nicht wie in dieser Rezension besprochen in religiöser oder geographischer, sondern in inhaltlicher Hinsicht. So entstehen Kapitel zur materiellen, ethischen und moralischen, geistigen, kultischen, textlichen und genealogischen Reinheit, die einen wirklichen Dialog zwischen den Beiträgen herstellen. So lässt sich unter anderem die Vorstellung einer Verschmutzung durch Körpersäfte (Blut, Sperma, Menstruationsblut) mit ihren oft misogynen Untertönen und die Einstellung zum Leichnam in verschiedenen Kulturkreisen direkt miteinander vergleichen. Das kann mitunter durchaus erstaunliche Ergebnisse liefern, etwa wenn im jüdischen Grabbrauch des europäischen Mittelalters - ganz parallel zur christlichen Entwicklung - der Leichnam und der Friedhof nicht mehr wie in der Antike gemieden, sondern seine Nähe vielmehr gesucht wird, da die Gebetsgemeinschaft der Gläubigen dadurch gefördert wurde. Die bereichernde Lektüre des Bandes wird auch durch die Anregung des Rezensenten nicht geschmälert, dass man in einer Anthologie mit so vielen und so verschiedenen Quellensprachen noch konsequenter eine einheitliche Schreibweise hätte heranziehen können. So wird ein pseudo-talmudischer Traktat auf derselben Seite (57) einmal als "Berayta de Nidda", einmal als "Baraita de Nidda" bezeichnet, was freilich der vokalunfreundlichen Schreibung des Hebräischen geschuldet sein mag. In den China betreffenden Beiträgen wäre für den Nichtsinologen eine konsequentere Nutzung der Pinyin-Tonhöhen nützlich. Wo nur eine solche Kleinigkeit kritisch angemerkt werden kann, bleibt die nachdrückliche Empfehlung der Lektüre des Bandes, der vor allem für vergleichende religionshistorische Fragen neue Perspektiven bietet.
Romedio Schmitz-Esser