Sulpicius Severus: Chronica. Cura et studio Piergiorgio Parroni (= Corpus Christianorum; LXIII), Turnhout: Brepols 2017, XXXIX + 193 S., ISBN 978-2-503-56819-5, EUR 140,00
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Im Vergleich zu den Schriften des Sulpicius Severus, die um die Person des heiligen Martin von Tours kreisen, fand das zu Beginn des 5. Jahrhunderts entstandene Geschichtswerk des südgallischen Aristokraten in der Forschung bislang eher geringe Beachtung. Aus dem als Universalchronik in zwei Büchern angelegten, von der Schöpfung der Welt bis zur Gegenwart des Autors reichenden Text erschienen dabei vor allem einige Abschnitte interessant, die sich der Christenverfolgung und den Häresien des Arianismus sowie des Priscillianismus widmeten. Ferner zog auch die chronologische Perspektive des Werks und die damit verbundene Frage nach apokalyptischen Vorstellungen und Endzeiterwartungen des Autors Aufmerksamkeit auf sich. Zuletzt ediert wurde das Werk im Jahr 1999 durch Ghislaine de Senneville-Grave [1]; nun hat sich mit Piergiorgio Parroni erneut ein Wissenschaftler der Chronik des Sulpicius Severus angenommen und den Text in einer kritischen Edition herausgegeben.
Dabei stützt sich Parroni wie seine Vorläufer in der langen Editionsgeschichte des Werks auf den einzigen Überlieferungsträger, die Handschrift Vat. Pal. lat. 825, die Bernhard Bischoff zufolge wohl bretonischer Provenienz ist und aus dem 10. (oder 11.) Jahrhundert stammt, aber auch auf die editio princeps durch Flacius Illyricus aus dem Jahr 1556 (s. dazu die Einleitung Xf.). Diese besitzt für Parroni freilich einen anderen Stellenwert als für die Editoren vor ihm, da er den über Heidelberg in den Vatikan gelangten Codex nicht als Vorlage derselben betrachtet. Vielmehr versucht er in der Einleitung zur Edition den Nachweis zu führen, dass die Hildesheimer Handschrift, derer sich Flacius Illyricus bei der Herstellung seines Textes bediente, nicht mit dem Vat. Pal. lat. 825 identisch, sondern eine unmittelbare oder mittelbare Abschrift derselben war, welche heute als verloren gelten muss (XI-XIV). Damit gewinnt die Ausgabe von 1556 für den Editor im Unterschied zu seinen Vorläufern einen nur nachgeordneten Wert für den Abgleich der dortigen Lesarten mit der einzigen erhaltenen Handschrift. Ähnlich beurteilt Parroni die Bedeutung der Textfragmente, die Hartmut Hoffmann im Luzerner Archiv entdeckt und 2003 publik gemacht hat [2] und die der Herausgeber - anders als die Forschung vor ihm - bei der Gestaltung der Edition berücksichtigen konnte. Im Unterschied zu Hoffmann erkennt er in den erhalten gebliebenen, wohl aus der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts stammenden Textteilen jedoch keinen Überlieferungszeugen, der bessere Lesarten als Vat. Pal. lat. 825 bietet: aus seiner Sicht handelt es sich dabei um Teile eines korrumpierten Codex, denen keine Relevanz für die Herstellung des Textes zukomme (XIVf.). Für Parroni ist es die Handschrift im Vatikan, die vorrangig dazu herangezogen werden soll.
Auf dieser Grundlage und unter entsprechender Berücksichtigung relevanter Literatur (Bibliographie XXV-XXXIX) wird im Folgenden die Edition des Geschichtswerks präsentiert (3-140) und in erläuternden textkritischen Anmerkungen philologische Fragen diskutiert, deren Klärung über den Apparat auf den jeweiligen Seiten hinausgeht (109-140). Ein Index der Bibelstellen (143-156), der Quellen (157-184) und ein Register der Namen von Personen, Orten und Völkern (185-192) helfen dabei, den Band systematisch zu erschließen.
Allgemein erscheinen die editorischen Eingriffe des Herausgebers in den Text durchaus nachvollziehbar. Nachdrücklich zu begrüßen sind Entscheidungen, mit denen sich Parroni von der Ausgabe von Senneville-Grave absetzt und unter anderem zu älteren Lesarten der Edition von Halm aus dem Jahr 1866 zurückkehrt. Auch in der Zählung der Kapitel folgt sein Text der Ausgabe von Halm und nicht der veränderten Nummerierung von Senneville-Grave. Ihre Edition dürfte nicht zuletzt aufgrund der beigefügten französischen Übersetzung, vor allem aber aufgrund des umfassenden historischen Kommentars weiterhin breite Wirkung entfalten - in ihrer eigentlichen textlichen Gestalt wird sie durch die Ausgabe von Parroni hingegen ersetzt. Gewiss wird die Bedeutung und Stellung der Luzerner Fragmente in der Überlieferungsgeschichte, die vom Herausgeber nur aufgrund einer Teilanalyse als weniger relevant eingeordnet wurden, die Forschung auch in Zukunft noch beschäftigen. Insgesamt ist für die weitere Untersuchung des Textes und seines Inhalts mit der Edition jedenfalls eine solide Grundlage geschaffen worden.
Anmerkungen:
[1] Sulpice Sévère, Chroniques. Introduction, texte critique, traduction et commentaire par Ghislaine de Senneville-Grave (Sources chrétiennes; 441), Paris 1999.
[2] Hartmut Hoffmann: Der älteste Textzeuge der Chronik des Sulpicius Severus, in: DA 59 (2003), 447-458.
Andreas Fischer