David Green: The Hundred Years War. A People's History, New Haven / London: Yale University Press 2014, XX + 339 S., 5 Kt., 23 s/w-Abb., ISBN 978-0-300-13451-3, GBP 25,00
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Von 1337 bis 1453 wütete in Frankreich, Südengland, Flandern und Spanien ein Konflikt, den die historische Forschung als Hundertjährigen Krieg bezeichnet und über den eine unüberschaubare Anzahl von Studien verfasst wurden. Der Anspruch Englands auf die französische Krone prägte eine Zeit der Schlachten, kleinen Scharmützel und kurzen Friedenszeiten. David Green möchte nun dezidiert keine weitere Überblicksdarstellung zu den Abläufen dieses Konflikts geben, sondern sich darauf konzentrieren, wie der Krieg und seine Folgen verschiedene Personengruppen betrafen und wie die lange Dauer der gewalttätigen Auseinandersetzungen die Regierungsführung in den beiden großen Reichen veränderte. Anhand der Ereignisse des Krieges wird das tägliche Leben all derjenigen untersucht, die als Akteure in den Krieg eingebunden bzw. von dessen Auswirkungen und Ereignissen betroffen waren. Dass Green dabei - schon aufgrund der Quellenlage - keine Geschichte von unten schreiben kann, erklärt er bereits in seiner Einleitung. Ziel sei es aber, "the human cost of the war within a framework of institutional change, and in the context of a struggle that propelled France and England into a new phase of development" (2) zu betrachten. Es solle aufgezeigt werden, dass in den Wirren und Kämpfen des Hundertjährigen Krieges etwas Neues geschaffen wurde: So habe es nicht nur grundlegende Veränderungen im sozialen Gefüge und der politischen Kultur gegeben, sondern es hätten sich zunehmend divergierende Identitäten gezeigt. Schließlich hätten beide Länder gerade durch diesen Großkonflikt ihre jeweils eigene nationale Identität geschärft.
Der Autor liefert in seiner Einleitung eine prägnante Zusammenfassung zu den Hintergründen und Ursachen des Krieges und skizziert den groben Verlauf der wichtigsten Schlachten und ihrer Ergebnisse - von der normannischen Eroberung Englands im Jahr 1066 bis zur entscheidenden englischen Niederlage in der Schlacht von Castillo im Jahr 1453. Dem weniger bewanderten Leser helfen neben einem Abbildungsverzeichnis und einem Glossar eine detaillierte Chronologie der Ereignisse, ein Währungsverzeichnis, Stammbäume und Landkarten zu den wichtigsten Schauplätzen des Hundertjährigen Krieges bei der Orientierung und Einordnung.
Der Aufbau des Werkes verfolgt konsequent das formulierte Ziel: Die einzelnen sozialen Gruppen werden nicht in eine chronologische Erzählung eingebettet, sondern anhand von Schlüsselepisoden, an denen sich soziale und institutionelle Veränderungen besonders gut darstellen lassen, untersucht. Die ersten drei Kapitel widmen sich den drei Ständen innerhalb der mittelalterlichen Gesellschaft.
Im ersten Kapitel (Knights and Nobles: Flowers of Chivalry 1346) beleuchtet David Green die Kriegstaktik, insbesondere die der Infanterie und die zunehmende Professionalisierung der Armeen, wie zum Beispiel bei der Rekrutierungsarbeit oder der Umorientierung hochadliger Militärs weg vom Schlachtfeld hin zu administrativen Aufgaben. Gleichzeitig fragt er nach dem Ethos des Rittertums sowie seinen Veränderungen und betont, dass der Krieg nach und nach als ein kollektiver Dienst zur Verteidigung der Nation verstanden wurde (41).
Die ländliche Bevölkerung (The Peasantry: Vox Populi 1358), die er vor allem anhand der Grande Jacquerie von 1358 und der englischen Bauernrevolten von 1381 untersucht, litt am stärksten unter den Folgen des Krieges, wenn Armeen durch ihre Dörfer marschierten oder ihre Länder verwüsteten. Der Krieg habe dabei zu einer wachsenden Identifizierung der Menschen mit dem nationalen Interesse und zu einem gesteigerten politischen Bewusstsein geführt.
Das dritte Kapitel wendet sich dem Klerus zu, dessen Mitglieder sowohl Opfer als auch handelnde Akteure waren. Hier zeigt die Darstellung gekonnt auf, wie stark die miteinander rivalisierenden Päpste während des Großen Schismas (1378-1417) Friedensverhandlungen für ihre eigenen Zwecke missbrauchten. Der Klerus an sich, so Green, sei in Frankreich und England zunehmend in die nationale Politik eingebunden worden, auch dadurch, dass die Herrscher der jeweiligen Königreiche unterschiedliche Papstprätendenten unterstützten. Gerade durch die Abwesenheit einer unumstrittenen zentralen Führung innerhalb der Kirche gerieten die Mitglieder des Klerus zunehmend unter den Einfluss der Herrscher und spielten eine herausragende Rolle bei der Entwicklung nationaler Identitäten durch gezielte Propaganda in ihren Predigten und Schriften.
Die Wiederaufnahme des Krieges in den 1410er Jahren beschreibt das fünfte Kapitel aus dem Blickwinkel der Herrscher. Es zeigt auf, wie sehr der Fortgang der Kämpfe die Regierung und die Ausbildung neuer Verwaltungsbehörden in den Ländern beeinflusste. Deutlich wird, wie konsequent und gekonnt die Könige von England und Frankreich dabei ihre eigene Sprache und die nationalen Symbole als Werkzeuge nutzten, um die Verbundenheit der Untergebenen mit ihren eigenen kostspieligen Kriegsbemühungen zu fördern.
Neben einem eigenen Kapitel über die Soldaten als soziale Gruppe werden zwei weitere Gruppen besonders hervorgehoben: die Frauen und die Kriegsgefangenen. Anhand des Vertrages von Arras (1435) verweist das neunte Kapitel auf das Los der Gefangenen und auf das Ringen um die Aushandlung von Lösegeldzahlungen, was schließlich zu einer neuen Form der Lösegeldpraxis führte und den Anspruch der Herrscher begründete, ein Zugriffsrecht auf politisch wertvolle Gefangene auszuüben.
Eine gelungene Darstellung der neueren Forschung zu den Themen der sexualisierten Gewalt und den Möglichkeiten des sozialen Aufstiegs von Frauen während des Krieges bietet das achte Kapitel. Dabei stehen nicht nur bedeutende Frauen wie Jeanne d'Arc im Vordergrund, sondern auch weibliche Individuen, die etwa auf dem bzw. um das Schlachtfeld herum oder vor Gericht ihre Spuren hinterlassen haben.
Das abschließende Kapitel zu den nationalen Identitäten versucht zu klären, ob die französische und englische Identität eher das Produkt als die Ursache der kriegerischen Konflikte waren. Allerdings wird an keiner Stelle deutlich, was der Autor selbst unter dem Begriff der 'nationalen Identität' versteht. Dies erweist sich auch im Hinblick auf die benutzten Quellen, die eher von politischen Gemeinschaften sprechen, als problematisch. Zwei weitere Aspekte seien erwähnt: durch die Fokussierung auf einzelne soziale Gruppen und das spezielle chronologische Setting, finden sich mehrfach Wiederholungen in der Darstellung. Wünschenswert wäre es zudem gewesen, weitere Gruppen, wie die in den herangezogenen Quellen erwähnten Kaufleute (223) oder die Vielzahl der Menschen, die das Heer begleiteten (132), näher zu beleuchten.
Diese Monita können den Gewinn der vorliegenden Studie jedoch nicht schmälern. David Green schafft es, neue Sichtweisen auf einen bekannten langjährigen Krieg zu entwickeln, in dessen Verlauf sich zwei Länder völlig veränderten und neu formen konnten. Auf Grundlage der gezielt eingesetzten historischen Schlüsselmomente gelingt es ihm, die unterschiedlichen Realitäten der beschriebenen sozialen Gruppen und die 'menschlichen Kosten' eines solchen Konfliktes sichtbar werden zu lassen.
Mirjam Reitmayer