Vera Herzog: Der fürstliche Badepavillon. als zweckmäßige und repräsentative Bauaufgabe im späten 17. und 18. Jahrhundert, Berlin: Deutscher Kunstverlag 2016, 287 S., ISBN 978-3-422-07359-3, EUR 39,90
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Eric Hazan: Paris. Kein Schritt ist vergebens. Aus dem Französischen von Michael Müller und Karin Uttendörfer, Zürich: Ammann 2006
Alexandre Gady: Jacques Lemercier. Architecte et ingénieur du Roi, Tours: Maison des Sciences de l'Homme 2005
Pablo Schneider / Philipp Zitzlsperger (Hgg.): Bernini in Paris. Das Tagebuch des Paul Fréart de Chantelou über den Aufenthalt Gianlorenzo Berninis am Hof Ludwigs XIV., Berlin: Akademie Verlag 2006
Seit 2006 haben mehrere Ausstellungen die höfische Bade- und Hygienekultur ins Bewusstsein der kunsthistorischen Forschung gerückt, sodass die Thematik nun verstärkt eine längst überfällige Bearbeitung findet. [1] Wir wissen noch sehr wenig über die eigentliche Nutzung von Schlossbädern, denn Dokumente, die verlässliche Auskunft geben, sind selten. Angesichts der relativen Wasser-Abstinenz der Frühen Neuzeit galten die erhaltenen Bäder lange als "Schauräume" (11). Diesem Missverständnis hat Vera Herzog nun eine Studie zum fürstlichen Badepavillon im Alten Reich um 1700 entgegengesetzt.
Das Buch, das auf der 2015 an der Freien Universität Berlin verteidigten Dissertation Herzogs beruht, vertritt die Grundthese, dass höfische Bäder auch im vermeintlich 'ungewaschenen' Barockzeitalter sehr wohl in Gebrauch waren - allerdings nicht zur täglichen Hygiene, sondern als Kurbäder - und dass aus dieser praktischen Nutzung ein Teil "ihrer symbolischen Bedeutung" erwächst (11). Diese "gegenseitige Abhängigkeit von zweckmäßigen und repräsentativen Funktionen" (238) legt Herzog stichhaltig anhand von drei "Badepavillons" des Alten Reichs dar.
Es handelt sich um die Warschauer Łazienka, das Marmorbad in Kassel und die Badenburg im Park von Schloss Nymphenburg in München. Badeappartements in Wohn- und Repräsentationstrakten von Schlössern werden ausgeklammert. Zwar bleibt damit ein wichtiger Bereich des Themas unbehandelt, zugleich gewinnt die Untersuchung aber in der Beschränkung auf das mehr oder minder freistehende (in Kassel war eigentlich die Anbindung an einen Flügel geplant) 'Badehaus im Garten' an Kohärenz. So kann das vorletzte Kapitel eine bautypologische Bestimmung des im Titel angekündigten "fürstlichen Badepavillons" anbieten.
Vorangestellt ist den drei genannten Fallstudien eine Einführung zu frühneuzeitlichen Badegewohnheiten und -architekturen (Kapitel 2), die ein facettenreiches Bild zeichnet. Parallel zum Niedergang des "europäischen Schwitzbad[es]" um 1600 (2.1.) gewinnen Thermalbäder und Trinkkuren zunehmend an Bedeutung (2.2.): "In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts war im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation für die gesellschaftliche Oberschicht das Kurbad die maßgebliche Badeform" (23) - eine für das Verständnis von Schlossbädern wichtige Erkenntnis, aus der sich die großen Becken erklären. Es folgen weitere Unterkapitel zur alltäglichen "Trockenhygiene" des Adels (2.3.), zur Etablierung des Wannenbades, das "sich Ende des 18. Jahrhunderts schichtübergreifend als Reinigungsform durchsetzte" (29, Kapitel 2.4.), schließlich zum türkischen Bad (2.5.), das frühneuzeitliche Reisende als "Nachfolger des römischen Bades" erlebten (34).
Kapitel 3 referiert die Forschungslage zum Bad in der Architekturtheorie. Zielführender wäre stattdessen eine Herausarbeitung der Tradition des höfischen Bades sowohl im Architekturbuch als auch in der Baupraxis gewesen, zugespitzt auf eine Definition des "fürstlichen Badepavillons" und dessen Entwicklung seit der Renaissance. Zwar wird einiges des hier Vermissten im siebten Kapitel zur Typologie angeführt, doch bleibt der Leser während der Lektüre des Hauptteils im Dunkeln über diese Traditionsstränge.
Die folgenden Kapitel behandeln die drei Badepavillons nacheinander, wobei die Analyse von praktischer Nutzung, architektonischer Anlage und bildkünstlerischer Ausstattung in allen Fällen als "Sinnbild einer fruchtbaren Dynastie" (181) gedeutet wird. Diese gemeinsame symbolische Ausrichtung überhaupt erkannt zu haben, ist bereits ein wichtiges Ergebnis (siehe auch 232-234). Zugleich arbeitet Herzog die individuellen Inhalte heraus, die alle drei Bäder neben einer der Bauaufgabe geschuldeten Affinität zur Fruchtbarkeits- und Rekreations-Thematik auszeichnen. Den im vierten Kapitel untersuchten, 1683 bis 1689 für den gelehrten Hochadeligen Stansilaw Herakliusz Lubomirski durch den Niederländer Tilman van Gameren errichteten Badepavillon Łazienka in Warschau versteht sie als "Musentempel" (65). Der in der Folgezeit weitgehend überbaute Pavillon, der im Untergeschoss das Bad und im Obergeschoss eine Bibliothek beherbergte, inszeniere Lubomirski als friedvollen Gelehrten und Mitglied eines nunmehr königstreuen Adelsgeschlechts, das seine einstige Opposition aufgegeben hat (69-71).
Unter August dem Starken wurde die Badefunktion der Łazienka laut Herzog zweitrangig und der Pavillon zu einem Festbau erweitert, während nun im Sächsischen Palais (1717) gebadet wurde (82-94). Was die Funktionstüchtigkeit des Marmorbades in Kassel betrifft, so wurde diese bislang auch für seine Erbauungszeit aufgrund der fehlenden wassertechnischen Ausstattung in Zweifel gezogen. Vera Herzog zeigt, dass das Bad durchaus genutzt werden sollte, jedoch unvollendet geblieben ist. [2] Es war ursprünglich gar nicht als freistehender Bau, sondern als Teil eines nie errichteten Westflügels der mit drei Flügeln geplanten Orangerie gedacht, die Landgraf Karl von Hessen-Kassel in der Karlsaue am Rande Kassels errichten ließ.
Ein "appartement de bain" war seit 1714 dort projiziert (112), doch erst 1722 entstand das erhaltene marmorverkleidete Bad, dessen 1728 vollendete Innenausstattung Pierre Etienne Monnot oblag (101-113). Der französische Bildhauer bestückte den Raum um das zentrale, achteckige Marmor-Badebecken mit Reliefs und Skulpturen mythologisch-allegorischen Inhalts, die Herzog als Teil einer komplexen "Allegorie fürstlicher Herrschaft" analysiert (121-143, hier 130-131). In Monnots fiktiver Biografie beschreibt Lione Pascoli 1730, wie Karl durch selbsttätige Bedienung des Wasserhahnes diesen Musenquell entspringen lässt - das ist zugleich Wasser auf Herzogs Mühlen, denn die Textstelle verdeutlicht hervorragend das Zusammenspiel praktischer und symbolischer Funktionen (130). [3]
Die Herrschaftsrepräsentation in der Münchner Badenburg (Kapitel 6) stellt Herzog in Zusammenhang mit den Bemühungen des Bauherrn, Kurfürst Max Emanuel von Bayern, sein Haus nach der Rückkehr aus dem Exil nach dem Spanischen Erbfolgekrieg 1715 zu rehabilitieren und der Kaiserkrone näher zu bringen (182-188). Zur Untersuchung dieses Ansatzes wäre indessen eine sorgfältigere Analyse der bildkünstlerischen Ausstattung, die bei der Badenburg verkürzt ausfällt, notwendig. Gelungen ist hingegen das Kapitel zur technischen Ausstattung (6.3.), die Herzog klug mit den Bademoden und Kurgewohnheiten der Zeit verbindet. So kann sie die sich hartnäckig haltende Deutung des noch vorhandenen Durchlauferhitzers des frühen 18. Jahrhunderts als Teil eines Schwitzbades widerlegen. Ein solches wäre in einem höfischen Bad dieser Zeit im Alten Reich kaum denkbar (vgl. Kapitel 2). Der Gartenpavillon kombinierte stattdessen ein riesiges Laufbecken und Wannenbaderäume mit einem großen Festsaal (6.1.), doch trat die gesellschaftliche Funktion unter den folgenden Regierungen zurück (6.4., 6.5.).
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts beobachtet die Autorin anhand der untersuchten Bauaufgabe den Rückzug des Herrschers in private Räume, welche den "dynastisch-repräsentativen Badepavillon[s]" ablösten, was beispielsweise mit Carl Theodors Schwetzinger Badhaus greifbar wird (211). Ob, wie es hier anklingt, höfischen Baderäumen intimeren Charakters die Vermittlung herrschaftssymbolischer Inhalte abzusprechen ist, müssen künftige Studien hinterfragen. Fortan steht jedenfalls unbestreitbar fest, was sich in Anlehnung an Herzogs Worte folgendermaßen auf den Punkt bringen lässt: Ein Bad ist ein Bad - "auch im Barock" (239).
Anmerkungen:
[1] Es handelt sich um folgende Ausstellungen: Balnea - Architekturgeschichte des Bades, Ausst.-Kat., hgg. v. Susanne Grötz / Ursula Quecke, Marburg 2006; Le bain et le miroir. Soins du corps et cosmétiques de l'Antiquité à la Renaissance, Ausst.-Kat., hgg. v. Isabelle Bardiès-Front / Michèle Bimbenet-Privat / Philippe Walter, Paris 2009; Das Stille Örtchen. Tabu und Reinlichkeit bey Hofe, Ausst.-Kat., hgg. v. Wolfgang Wiese / Wolfgang Schröck-Schmidt, Berlin / München 2011; Splash! Das Bad der Philippine Welser, Ausst.-Kat., hg. v. Sabine Haag, Wien 2012. Für aktuelle Forschungen siehe die in diesem FORUM zu "Baderäume, Hygienepraxis und Körperkultur der Frühen Neuzeit" [sehepunkte 18 (2018), Nr. 1] veröffentlichten Rezensionen.
[2] Sekundiert werden ihre Ausführungen mittlerweile von Antje Scherners Beitrag: Ein Bad ohne Wasser? Das Marmorbad in Kassel und die Kasseler Bäder der Frühen Neuzeit, in: Höfische Bäder in der Frühen Neuzeit. Gestalt und Funktion, hgg. v. Kristina Deutsch / Claudia Echinger-Maurach / Eva-Bettina Krems, Berlin / Boston 2017, 287-309.
[3] Die Beschreibung findet sich in deutscher Übersetzung als Anhang in ebd.
Kristina Deutsch