Hannah Baader: Das Selbst im Anderen. Sprachen der Freundschaft und die Kunst des Portraits 1370-1520, München: Wilhelm Fink 2015, 341 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-7705-3965-9, EUR 39,90
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Seit der Frühen Neuzeit sind uns Porträts bekannt, die freundschaftliche Beziehungen zum Ausdruck bringen. Dabei wird die Begegnung von Freunden auf unterschiedliche Weise im Bild inszeniert bzw. Freundschaft als Zustand repräsentiert. Hannah Baader analysiert in ihrer Monografie "Das Selbst im Anderen" Freundschaftsbilder von der zweiten Hälfte des 14. bis in die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts. Die sich zu dieser Zeit erst emanzipierende Gattung befragt sie im Hinblick auf zeitgenössische Praxis sowie Theorie der Freundschaft und nimmt deren jeweilige Relevanz für "Produktion, Wahrnehmung und Zirkulation männlicher Porträts" (17), vorrangig für die italienische Kunst, ins Visier. Mit ihrer These, dass neben den Auseinandersetzungen mit Rhetorik und Literatur auch die Ethik zur Entstehung einer ästhetischen Theorie oder Kunsttheorie beitrug, wächst die Studie über den Status einer Fallstudie hinaus und hat den Anspruch, zur Erforschung frühneuzeitlicher Ästhetik beizutragen.
Baader identifiziert einen neu aufkommenden "Bildmodus" (299), der eine Verpflichtung zur Wahrheit und eine Intimität zwischen den abgebildeten und betrachtenden Personen thematisiert. Auch die Künstler und die Bildobjekte selbst sind hier einzubeziehen. Mit der visuellen Repräsentation eines Freundes werde angeregt, "das in den Bildnissen jeweils verhandelte Verhältnis von Subjekt und Objekt neu zu denken" (301). Im Freundschaftsdiskurs jener Zeit sei "ein Blick auf den Freund als eine Übung in eigener virtus anzusehen" (301).
Die Studie ist in zwei große Abschnitte eingeteilt. Der erste Teil bespricht bedeutende Positionen einer Philosophie der Freundschaft zwischen 1371 und 1441 und bildet damit das geistesgeschichtliche Fundament der Untersuchung. Der zweite Teil widmet sich Werken der bildenden Kunst, die für den Zeitraum von 1460 bis 1524 Bilder von Freunden als Identifikationsorte, Tauschobjekte oder konstitutive Elemente für zeitgenössische Gelehrte und Intellektuelle verständlich werden lassen.
Die recht spezifisch angegebenen Zeiträume erklären sich aus den jeweiligen Fallbeispielen, die Baader in das Zentrum ihrer Analyse gestellt hat. Francesco Petrarca, Nicolas Oresme und Leon Battista Alberti sind im ersten Teil die Referenzen einer philosophischen Herangehensweise an das Thema Freundschaft. Die "Nikomachische Ethik" des Aristoteles erweist sich dabei, neben Ciceros Dialog "Laelius de amicitia" und anderen antiken Denkern wie zum Beispiel Seneca, als wesentliche antike Quelle, die das Nachdenken über freundschaftliche Beziehungen in ihren ethischen, sozialen und politischen Konsequenzen in der frühen Neuzeit beeinflusste. Mit Petrarca werde eine für Freundschaften geforderte "Sprache der Aufrichtigkeit" (32) greifbar. Sie lege den Keim für eine geforderte Wahrheitsverpflichtung zwischen Freunden. Nicolas Oresmes französische Herausgabe der "Nikomachischen Ethik" beinhaltet Illustrationen, die Baader "als frühe Beispiele einer Ikonographie der Freundschaft" (51f.) aufgreift. Ein Freund als alter ego ist hier visuell als Double repräsentiert und zeige, dass das Bild des Anderen im eigenen Blick als Objekt der Selbstreflexion dienen könne und so auch zu einer Tugendübung werde. Leon Battista Alberti wird von Baader als Theoretiker herangezogen, der mit den Schriften "Libri della famiglia", vor allem mit dem vierten Band "De amicitia", wichtige Beiträge zum Thema Freundschaft verfasst hat. Auch sein Traktat über die Malerei verbinde die Bildende Kunst mit ethischen Aspekten, wenn der "tugendhafte Künstler" angesprochen ist und dessen Arbeit in den Dienst der virtus gestellt wird (120ff.). Albertis Selbstporträts seien so vor dem Hintergrund der Freundschaftstheorie verständlich. Sie würden einen "mimetische[n] Status" verdeutlichen, indem sich "produktive Prozesse am eigenen Selbst" bildlich zeigen (124). Als Medaillons weisen sie zudem auf Praktiken hin, die Bildnisse eng mit dem Körperlichen verbinden.
Im zweiten Teil der Studie untersucht Baader gezielt sechs Themenfelder der Bildenden Kunst. In die Diskussion bringt sie zunächst eine Bronzebüste eines jungen Mannes aus dem Donatello-Umkreis und das sogenannte "Fünf-Männer-Blatt" von Leonardo da Vinci. Es folgt die Analyse des Motivs der drei Grazien als Repräsentation der Amicitia vor dem Hintergrund des Nachdenkens über den Tausch und die freundschaftliche Gabe. Im Anschluss geht Baader der Darstellung der Philia in ihrer Bedeutung als kosmisch-physikalische Kraft nach. Anschließend wendet sie sich der Malerei zu. Hier zeigt sie beispielsweise auf, inwiefern Porträtgemälde von Quentin Massys das freundschaftliche Verhältnis zwischen Erasmus von Rotterdam, Petrus Aegidius (Pieter Gillis) und Thomas Morus als "soziale Energien" (213) wirksam werden lassen. Andrea Mantegna, Filippino Lippi, Giorgione, Raffael und Pontormo werden als Künstler vorgestellt, die nicht nur ausführende Maler von Freundschaftsbildern, sondern - in sehr unterschiedlichen Konstellationen - auch Mitglieder solcher Freundesbünde waren. Ein "Modus der Nähe" (254) im Bildnis sei um 1500 aufgrund dieser freundschaftlichen Beziehungen entstanden. Experimentiert wurde mit dem Einsatz von Schrift im Bild, dem Status von Präsenz und Absenz des Dargestellten oder der Repräsentation des Gleichen im Differenten etwa bei Lippis Selbstporträt mit Piero del Pugliese, Raffaels Porträt des Andrea Navagero und Agostino Beaziano oder in einem Bildnis zweier Männer von Pontormo.
Es gelingt Baader im Verlauf ihrer Argumentation, unterschiedliche Facetten der Gattung herauszuarbeiten und die Vielschichtigkeit ihrer Bedeutung und Rezeption aufzuzeigen. So berühren Bildnisse von schönen jungen Männern beispielsweise auch Fragen der männlichen Sexualität, der Leidenschaft und gleichgeschlechtlichen Liebe (v.a. Kap. II. 4.) oder das ethisch geforderte, interessenlos verschenkte Bild des Freundes wird vom eigennützigen Tauschhandel abgegrenzt (Kap. II. 6.). Die Gegenüberstellung zu anderen Doppelbildnissen, etwa Darstellungen eines Lehrers mit seinem Schüler oder eines Autors mit seinem Mäzen, verdeutlicht die Differenzierung innerhalb dieses Typus und zeigt, dass das Freundschaftsbild formal nicht per se mit dem Doppelbildnis gleichzusetzen ist (Kap. II. 8.). Abschließend geht Baader auch auf Konzepte von persona und Maskierung ein und bringt damit das Thema mit dem grundsätzlichen porträttheoretischen Problem von Wahrheit und Verhüllung in Verbindung, wodurch kulturelle Verwurzelungen angesprochen werden, die über einen ethischen Diskurs hinausweisen (Kap. II. 9.).
Den oben angeführten Anspruch Baaders, ihre Studie auch als Beitrag zur Erforschung der Relation zwischen Ethik und Ästhetik zu verstehen, kann sie einlösen. Einleitend wäre ein etwas ausführlicherer Überblick über die bisherige Forschungslage zum Porträt, speziell zum Freundschaftsbildnis, wünschenswert gewesen, die in den Argumentationen an den jeweils relevanten Punkten angesprochen wird. Insgesamt liefert die Autorin einen gewichtigen Beitrag zur Erforschung des Bildnisses, indem sie sich, gleichsam im ikonologischen Stil der Studie Aby Warburgs zur Florentiner Porträtkunst des Quattrocento [1], konsequent einer bestimmten Ausprägungsform dieser Gattung zuwendet und diese einerseits in geistesgeschichtlicher Hinsicht kontextualisiert, aber auch andererseits danach fragt, in welchen sozialen und biografischen Zusammenhängen die Bildnisse entstanden sind. Zugleich verarbeitet sie auch bildanthropologische Aspekte, integriert überzeugend Dimensionen von Bildpraktiken, die Porträts als Tauschobjekte verwenden oder als Amulette mit dem physischen Körper Verbindung aufnehmen. Und an manchen Stellen führt sie Jacques Derridas Überlegungen zur "Politik der Freundschaft" ins Feld, wenn dieser auf die implizit ausschließende Qualität des Freundschaftsbildes hinweist. Ergänzend zur Forschung, die das frühneuzeitliche weibliche Bildnis oder individuelle Repräsentationen im Blick hat [2] und parallel zur Untersuchung "der kulturell erfolgreicheren Sprache der Liebe" (301), gibt es nun auch eine sehr differenzierte Studie über männliche Bildnisse, die auf komplexe Weise eine "Sprache der Freundschaft" verhandeln.
Anmerkungen:
[1] Aby Moritz Warburg: Bildniskunst und florentinisches Bürgertum, Bd. 1: Domenico Ghirlandajo in Santa Trinita. Die Bildnisse des Lorenzo de' Medici und seiner Angehörigen, Leipzig 1902.
[2] Vgl. z.B. Keith Christiansen / Stefan Weppelmann (Hgg.): Gesichter der Renaissance. Meisterwerke italienischer Portraitkunst (Kat. Ausst., Bode-Museum Berlin und Metropolitan Museum of Art, New York 2011/2012), München 2011.
Marthe Kretzschmar