Ulrich L. Lehner: Die Katholische Aufklärung. Weltgeschichte einer Reformbewegung, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2017, 271 S., ISBN 978-3-506-78695-1, EUR 39,90
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Nach der im Jahr 2016 veröffentlichten englischsprachigen Ausgabe [1], legt Ulrich Lehner seine Weltgeschichte der Katholischen Aufklärung nun auch in deutscher Sprache vor. Lehner, der als Professor für Religionsgeschichte an der Marquette University in Milwaukee (USA) lehrt und forscht, erkundet auf seiner Reise durch Europa, Nord- und Südamerika, China und Indien die Welt und das Wirken katholischer Theologen, Kleriker, Missionare, Nonnen und Mönche, die sich im 18. Jahrhundert der Reform und der inneren Erneuerung von Kirche und Glaube angenommen haben. Fromm und aufgeklärt zugleich brachten sie ihre Ideen und Forderungen auf unterschiedliche Weise zum Ausdruck: Einige Vertreter der Katholischen Aufklärung beschränkten sich auf den gelehrten theologisch-philosophischen Diskurs, andere erreichten eine größere, öffentliche Wirksamkeit, entweder ganz subtil oder mit polemischem Schwung und Eifer. Als eine globale Ideengeschichte fasst Lehner diese sowohl räumlich als auch zeitlich weit voneinander entfernten "Ideenereignisse" [2] als Kristallisationspunkte einer von katholischen Gläubigen, Theologen und Kirchenvertretern getragenen Aufklärungsbewegung zusammen, deren gemeinsame Wurzeln - nach Lehners Interpretation und Deutung - bis auf die Verhandlungen und Beschlüsse des Konzils von Trient (1545-1563) zurückweisen.
Während allein der Begriff "Katholische Aufklärung" lange Zeit als ein Widerspruch in sich galt, erfährt er als Bezeichnung für eine heterogene Reformbewegung auch in der Aufklärungsforschung mittlerweile größere Aufmerksamkeit. Zugleich steht er für die allmähliche Hinwendung und weitgehende Anerkennung der Tatsache, dass sich das lange 18. Jahrhundert nicht durch das exklusive Verständnis einer spezifischen Aufklärung, sondern vielmehr durch eine Vielzahl von Aufklärungen und ihren facettenreichen Strömungen, Variationen und Sonderwegen auszeichnete, die neben staatlich-nationalen ebenso religiös-konfessionelle Konstellationen mit berücksichtigt. [3] In diese Vielfalt der Katholischen Aufklärung führt Lehner mit seiner vorliegenden Weltgeschichte ein.
Er leistet jedoch keine ermüdende, womöglich redundante Anhäufung von Einzeldarstellungen, sondern kombiniert und verknüpft sie zu Themenfeldern, die sich aus einer globalen Perspektive als Brennpunkte der Katholischen Aufklärung bezeichnen lassen. So beschäftigt er sich mit Fragen der Tolerierung und Toleranz, mit der Rolle von Frauen, mit den fernen Jesuitenmissionen in Amerika und Asien, mit Aberglaube, Wunderheilern und Dämonen, mit Heiligen und Sündern sowie mit Sklaverei und Rassismus. Dies sind Themenfelder, von denen ein jedes für sich gewiss einer differenzierteren Betrachtung bedürfte, um den jeweiligen historischen Texten und Kontexten, den individuellen Biografien und ideengeschichtlichen Verflechtungen gerecht zu werden und dadurch die spezifischen Schattierungen der Katholischen Aufklärung an den jeweiligen Orten noch treffender begreifen zu können. Gerade solcher Tiefenbohrungen bedarf es allerdings, um eine globale Ideengeschichte vollends erfassen und durchdringen zu können. [4] Hierfür stellt Lehner immerhin schon vielversprechende Themenfelder zur Diskussion. Darüber hinaus stellt sich die brisante Frage, inwiefern es für die Beforschung der Katholischen Aufklärung hilfreich und erkenntnisleitend ist, von den vorsichtigen Reformversuchen des Tridentiner Konzils über die Katholische Aufklärung des 18. Jahrhunderts bis zu den Beschlüssen des Zweiten Vatikanischen Konzils der 1960er Jahre eine mehr oder weniger konstante Entwicklungslinie zu ziehen, wie sie Lehner beobachtet. Es scheint, als wenn er sich hierfür von der bekannten Formel ecclesia semper reformanda inspirieren ließ, die schon dem Kirchenvater Augustinus von Hippo in den Mund gelegt wurde und der selbst heute in der katholischen Kirche wieder zu neuer Geltung verholfen werden müsste.
Gleichwohl leistet Ulrich Lehner mit seiner Weltgeschichte der Katholischen Aufklärung eine bemerkenswerte und aussichtsreiche Horizonterweiterung, die zukünftig die Bearbeitung dieses Forschungsfeldes aus interdisziplinärer Perspektive befeuern und mitbestimmen dürfte. Er widmet sich - wie kein anderer vor ihm - explizit der weltweiten Wirkmächtigkeit der Katholischen Aufklärung, indem er ihre Entstehung und Wirkung aus ihrer eurozentrischen Verkrustung löst und in globale Bedeutungszusammenhänge setzt. Diese kompakte Studie bietet daher sowohl dem fachkundigen Leser als auch jedem, der sich in die globalen Verstrickungen und Themenfelder der Katholischen Aufklärung, ihrer Vertreter und Gegenspieler eingeführt wissen will, eine überaus anregende, informative und auch spannende Lektüre.
Anmerkungen:
[1] Ulrich L. Lehner: The Catholic Enlightenment. The Forgotten History of a Global Movement, London 2016.
[2] Martin Mulsow: Vor Adam. Ideengeschichte jenseits der Eurozentrik, in: Zeitschrift für Ideengeschichte IX/1 (2015), 47-66, hier 48.
[3] Hubert Wolf: Katholische Aufklärung?, in: Albrecht Beutel / Martha Nooke (Hgg.): Religion und Aufklärung. Akten des Ersten Internationalen Kongresses zur Erforschung der Aufklärungstheologie (Münster, 30. März bis 2. April 2014), Tübingen 2016, 81-95.
[4] Jürgen Osterhammel: Globalifizierung. Denkfiguren der neuen Welt, in: Ders.: Die Flughöhe der Adler. Historische Essays zur globalen Gegenwart, München 2017, 42-53.
Andreas Oberdorf