Oliver Mallick: »Spiritus intus agit«. Die Patronagepolitik der Anna von Österreich 1643-1666. Inszenierungsstrategie, Hofhaltungspraxis, Freundschaftsrhetorik (= Pariser Historische Studien; Bd. 106), Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2016, 477 S., 20 s/w-Abb., ISBN 978-3-11-041518-6, EUR 49,95
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Michael Cramer-Fürtig (Hg.): Aus 650 Jahren. Ausgewählte Dokumente des Stadtarchivs Augsburg zur Geschichte der Reichsstadt Augsburg 1156 - 1806, Augsburg: Wißner 2006
Theresa Earenfight (ed.): Queenship and Political Power in Medieval and Early Modern Spain, Aldershot: Ashgate 2005
Sabine Brenner-Wilczek / Gertrude Cepl-Kaufmann / Max Plassmann: Einführung in die moderne Archivarbeit, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2006
"Anne d'Autriche était une sotte", meinte Robert Merle (1908-2004), Professor an der Universität Nanterre, in einem Interview anlässlich der Veröffentlichung des 10. Bands seiner erfolgreichen Saga 'Fortune de France'. [1] In seiner 2016 als co-tutelle in Freiburg im Breisgau und an der Sorbonne eingereichten Dissertation zeichnet Oliver Mallick allerdings überzeugend ein anderes Bild der Königin, die während der Minderjährigkeit Ludwigs XIV. als Regentin die Geschicke Frankreichs bestimmte. Um ein Ergebnis vorweg zu nehmen: Mallick weist nach, dass Anna von Österreich keineswegs eine Närrin war, sondern durchaus "ausreichend Intelligenz und Urteilsfähigkeit" (18) besaß, um Hof und Staat zu leiten.
Einleitend präsentiert der Verfasser zunächst den Forschungsstand. Seine Untersuchung verortet er in der jüngeren Patronageforschung, die angeregt von der Gender-Forschung inzwischen auch die Rolle von - (hoch-)adeligen - Frauen als Patroninnen und als Mittlerinnen stärker beachtet hat. Darüber hinaus skizziert er knapp die bisherigen Forschungen zu Anna von Österreich. Dann stellt Mallick seine überaus breite Quellengrundlage und den begrifflich-methodischen Ansatz seiner Untersuchung vor. Er hat erstmals alle bislang bekannten, teilweise noch unveröffentlichten Schreiben Annas ausgewertet. Darüber hinaus bilden Memoiren, Gesandtenberichte, Tagebücher, Reisebeschreibungen sowie Leichenpredigten, Hofstaatslisten, Rechnungsbücher und zeitgenössische Zeitungen, außerdem dem normativen Schrifttum zugerechnete rechtstheoretische, moral-philosophische und religionsspezifische Traktate Grundlage seiner Analyse. In Abgrenzung zu Mäzenatentum versteht Mallick Patronage als vielschichtige Formen ritualisierter interpersonaler Nahbeziehungen formellen oder informellen Charakters, die auf Gegenseitigkeit beruhten und durchaus von Freundschaft geprägt sein konnten. Um die unterschiedlichen Ausformungen und Interdependenzen von Annas Patronage-Beziehungen zu analysieren, unterscheidet Mallick zwischen den Aspekten "Inszenierung", "Hof" und "Freundschaft".
Unter dem Titel "Herrschaft und Repräsentation" diskutiert der Verfasser im ersten Teil seiner Studie Annas Strategien zur öffentlichen Inszenierung ihrer Person und ihrer Leistungen mittels verschiedener Medien wie Kunst, Literatur, Hofhaltung und Architektur. Er reflektiert zunächst das Konzept der "femme forte" in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, nach dem Standhaftigkeit im christlichen Glauben mehr Bedeutung als martialisch-amazonenhaftes Verhalten und Auftreten gehabt habe. Dieses Ideal machte sich seiner Ansicht nach die Königin bereits vor der Regentschaft zu eigen. Mallick arbeitet konzis heraus, dass die Regentin die Wahrnehmung ihrer Person und ihres Handelns in der Öffentlichkeit gezielt steuerte, indem sie zielgruppengenau unterschiedliche mediale Mittel einsetzte.
Ab 1643 war die Königin in die Lage versetzt, den Hofstaat selbst zu koordinieren. Die Beziehungsgeflechte am Hof beleuchtet Mallick im nächsten Teil seiner Untersuchung, der "Hofstaat und Hofhaltung" überschrieben ist. Gemäß ihrer Maxime, sich als moralisch integre Monarchin und Mutter zu inszenieren, wollte Anna seiner Erkenntnis nach den Hof zu einem 'Tugendtempel' formen. Dies spiegelt sich in ihrer Wahl der Amtsträger ebenso wieder wie in Zeremoniell und Festlichkeiten, die Mallick detailliert analysiert. Er stellt die hohen Amtsträger und insbesondere die Amtsträgerinnen vor, um an Einzelbeispielen Annas Patronagesystem zu illustrieren und zugleich nachzuweisen, dass Premierminister Mazarin bei Weitem nicht so großen Einfluss ausüben konnte, wie er ihm bislang von der Forschung zugesprochen wurde.
Mazarin galt bisher als omnipotente Figur, gar als Freund und Liebhaber der Königin. Im letzten Teil zum Thema "Freundschaft und Zuneigung" setzt Mallick sich mit der Frage auseinander, ob die Königin Freundschaften pflegte bzw. überhaupt pflegen konnte. Eine Liebesbeziehung mit dem italienischen Kardinal war Gerücht und üble Nachrede, wie Mallick betont, denn bereits der Anschein eines moralisch nicht einwandfreien Lebenswandels einer Herrscherin stigmatisierte ihre Herrschaft. Mallick differenziert zwischen symmetrischen und asymmetrischen Freundschaften, also Nahbeziehungen zu Verwandten und anderen Dynasten, bzw. zu Personen, die gesellschaftlich auf Annas Hierarchieebene standen sowie zu rangniederen Personen. Er analysiert darüber hinaus insbesondere Nahbeziehungen der Königin zu Frauen aus ihrem höfischen und aus dem geistlichen Umfeld.
Bisherige Forschungsmeinungen widerlegt Mallick schlüssig durch seine exakte Analyse des breiten Quellenkorpus. Er weist nach, dass Anna von Österreich das Spiel der Macht beherrschte, da sie sich zu inszenieren wusste und ihr politisches Profil strategisch und kalkuliert schärfte. Sie positionierte sich als treusorgende Mutter des Dauphins wie seines Reiches und konnte auf diese Weise ihre einflussreiche Stellung ausbauen und sogar über den Rücktritt von der Regentschaft hinaus erhalten. Mit seiner klar strukturierten und gut lesbaren Studie unterstreicht Mallick, dass die Regentschaft der Anna von Österreich in doppelter Hinsicht von Bedeutung war, nämlich zum einen hinsichtlich des Staatsbildungsprozesses zu einer starken Zentralgewalt und zum anderen hinsichtlich der Entwicklung der königlich-höfischen Patronage, die Ludwig XIV. konsequent fortführte. Die Monarchin legte den Grundstein für die umfassende Machtposition ihres Sohnes.
Anmerkung:
[1] Interview mit Didier Sénécal in: L'Express vom 01.09.1997, online https://www.lexpress.fr/culture/livre/robert-merle-sur-les-terres-de-dumas_800775.html [13.02.2018].
Pauline Puppel