Phil Bradford / Alison K. McHardy (eds.): Proctors for Parliament. Clergy, Community and Politics, c. 1248-1539 (The National Archives, Series SC 10) (= The Canterbury and York Society; Vol. CVII), Woodbridge / Rochester, NY: Boydell & Brewer 2017, LXII + 256 S., 8 s/w-Abb., ISBN 978-0-907239-80-2, GBP 35,00
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Quod omnes tangit ab omnibus tractari et approbari debet: was alle betrifft, soll von allen behandelt und gebilligt werden. Dieser auf den Codex Justinianus zurückgehende Rechtssatz wird von der Geschichtsforschung immer wieder als Erklärung angeführt, um den Wandel in der Herrschaftspraxis zu erklären, der sich ab der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts, dann zunehmend im 13. Jahrhundert in einigen europäischen Reichen vollzog. Vorrangig infolge einer erhöhten Steuererhebung durch die Krone, die auf diese Weise u. a. große militärische Unternehmungen zu finanzieren plante, kam es in bestimmten oft als Musterstaaten gepriesenen Reichen zur regelmäßigen Einberufung von Parlamenten, auf denen die Großen oder ihre Vertreter mit dem König über das Ausmaß und die Bedingungen ihrer finanziellen Beteiligung verhandeln und über den status regni beraten konnten. Eine Vorreiterrolle wird dabei traditionell England und Aragon zuerkannt. Auch im Lichte der späteren, frühneuzeitlichen Entwicklung hat vor allem das englische Parlament ab dem 19. Jahrhundert die Aufmerksamkeit der Forschung massiv auf sich gezogen, wobei the Parliament hauptsächlich als Ort of critic of the crown oder, gemäß einer Tendenz der letzten Jahrzehnte, als a crown's instruments of government gedeutet wurde. Auf weniger Interesse scheint hingegen die Zusammensetzung der einzelnen im Parlament vertretenen Gruppen gestoßen zu sein, was in besonderem Maße für den Klerus gilt. Dieser Umstand ist vor allem darauf zurückzuführen, dass es in England, anders als zum Beispiel in Frankreich, nie zu einer formellen Herausbildung eines geistlichen État kam, da hier der Klerus in den beiden Houses von Lords und Commons saß. Soll das heißen, dass die englische Geistlichkeit weniger als andere soziale Gruppen in der Lage war, vor der Krone als Stand aufzutreten, um die eigenen Interessen zu wahren? Es liegt auf der Hand, dass die Beantwortung dieser Frage das Vorhandensein von Studien und Repertorien voraussetzt, die uns erstmals über die Identität und die effektive Teilnahme von Geistlichen an parlamentarischen Versammlungen in Kenntnis setzen. Durch die Veröffentlichung des vorliegenden Bandes, des ersten eines zweibändigen Publikationsprojektes, haben Phil Bradford und Alison McHardy ohne Zweifel einen bedeutenden Schritt auf dem Weg zur Klärung dieser und weiterer offener Fragen gemacht.
Das Projekt setzt sich zum Ziel, ein vollständiges Repertorium der Vollmachten zur Vertretung auf Sitzungen des englischen Parlaments vorzulegen, die im gesamten Spätmittelalter (1248-1539) von unterschiedlichen Geistlichen an Prokuratoren (proctors) erteilt wurden. Die Grundlage dafür bildet eine homogene archivalische Sammlung, die Series SC 10 (Special Collections: Parlamentary Proxies) des britischen Nationalarchives, in der über 2600 Vollmachten englischer Kleriker überliefert sind. Durch die Berücksichtigung von weiteren, in anderen Beständen überlieferten Materialien steigt die Anzahl der infrage kommenden Briefe auf ca. 2800.
In der Einleitung gehen die beiden Verfasser auf Forschungsstand, Quellenlage sowie vor allem auf die Konzeption des Projektes ein. Gestreift werden zunächst die Gründe, weshalb Vertreter des englischen Klerus als the forgotten men of the medieval English parlament gelten können (xi-xv). Die Geschichte der Special Collections 10 vom Spätmittelalter bis heute bildet den Gegenstand eines weiteren Abschnittes (xvii-xxii): nachdem die in Original und Briefform an den König gerichteten Vollmachten fast drei Jahrhunderte lang regelmäßig archiviert wurden, kam es zur Zeit der Tudors und Stuarts zu einer Reform des Prokuratorenwesens, weshalb die alten Briefe in Vergessenheit gerieten, bis sie in den 1890ern wieder entdeckt und in der aktuellen Sammlung SC 10 geordnet wurden. In einem weiteren Abschnitt wird ein Überblick über den Überlieferungszustand und den allgemeinen Inhalt der Briefe (xxii-xxxiii) geboten. Die meisten Schreiben sind in Latein verfasst und an den König adressiert, der zuvor dem jeweiligen Geistlichen die Einladung zur Parlamentssitzung hatte zukommen lassen. Der Inscriptio und der Intitulatio folgt in der Regel der Hauptteil des Briefes, der die Entschuldigung und die Vollmacht an einen Prokurator enthält. Nur wenige Stücke richten sich an einen geistlichen Vorgesetzten oder direkt an einen Prokurator. In einem letzten Unterkapitel der umfangreichen Einleitung setzen sich die Verfasser mit den einzelnen in der Sammlung vertretenen Gruppen auseinander (Erzbischöfe und Bischöfe, Äbte und Klostervorsteher, Mitglieder des niedrigen Klerus). Der Großteil der überlieferten litterae geht auf Mitglieder des hohen Klerus zurück, wobei die Äbte 56% des Ganzen ausmachen und Kleriker aus dem Norden eindeutig mehr auf diese letters of appointments rekurrieren als ihre Amtskollegen aus dem Süden. Besonders auffallend ist der relativ niedrige Anteil des sogenannten lower clergy, was möglicherweise mit einer Auswahl der Materialien aufgrund des Ranges ihrer Aussteller erklärt werden könnte. Dem lower clergy gehörten auch die meisten Prokuratoren an. Ein bedeutender Teil von ihnen wird als king's und chanchery clerks bezeichnet. Auch die zeitliche Verteilung der Stücke erweist sich als ziemlich ungleichmäßig, da der Großteil der Überlieferung auf die Regierungszeit Edwards III. zurückgeht. Die Phasen der größten politischen und militärischen Spannungen fallen vielleicht nicht zufällig mit den Höhepunkten der Erteilung von Vollmachten zusammen: Dies könnte dahingehend gedeutet werden, dass eine Involvierung in die nationalen Konflikte für einen bedeutsamen Teil des Klerus alles andere als wünschenswert war.
Den Hauptteil des Bandes bildet der sogenannte Calender (3-214), ein Verzeichnis aller überlieferten Briefe aus der SC 10 (und zum Teil aus weiteren Beständen) von 1248 bis 1377. Ein Verzeichnis der Briefe aus dem Zeitraum 1378-1539 soll im zweiten Band vorgelegt werden. Die Materialien sind nach Königen und Parlamentssitzungen gegliedert und jeweils in vier Spalten angeführt. Angegeben werden zu jedem Schreiben die Signatur, der Aussteller, der bevollmächtige Prokurator und das Datum. Verzeichnet sind auf diese Weise über 1600 Vollmachten. Ein Verzeichnis aller Prokuratoren (233-250) und die Edition von neun exemplarischen Briefen (251-256) schließen den Band ab.
Bereits dieser erste Teil der Studie bildet eine regelrechte Fundgrube an Daten und Informationen, die einer systematischen Auswertung harren. Die Entscheidung der Verfasser, das Verzeichnis auf drei wesentliche Elemente (Aussteller, Prokurator und Datum) zu beschränken, mag Diplomatiker und Landeshistoriker ein wenig unbefriedigt lassen - Angaben zur formalen Struktur der Briefe und Orthographie von Orts- und Personennamen wären sicherlich willkommen gewesen -, doch die aktuelle Form kann im Hinblick auf die Erkenntnisziele der Studie und das Ausmaß der Materialien als ein guter Kompromiss bewertet werden, der den Ansprüchen der Forschung gerecht wird und weitere Untersuchungen über hier nicht berücksichtigte Aspekte anregen kann. Die Teilergebnisse werfen außerdem schon zahlreiche Fragen auf, die von den sozialen und politischen Netzwerken der Prokuratoren bis zur Nachhaltigkeit der hergestellten Verbindungen über politische Krisen hinausreichen. Das für den zweiten Band vorgesehenen Orts- und Personenregister wird dabei eine große Hilfeleistung darstellen. Das gleiche gilt für die angekündigte, erste eingehende Auswertung der Daten, worauf nicht nur das englische Publikum gespannt sein darf.
Étienne Doublier