Wolfgang F. Stammler (Hg.): Die Autobiographie Karls IV. Vita Caroli Quarti. Einführung, Übersetzung und Kommentar von Eugen Hillenbrand, Essen: alcorde Verlag 2016, 307 S., ISBN 978-3-939973-66-9, EUR 42,00
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Im Jahr 2016 wurde der 700. Geburtstag des römischen Kaisers und böhmischen Königs Karl IV. begangen. Während die Öffentlichkeit in Tschechien mit Publikationen und Ausstellungen, von denen die größte in der Prager Nationalgalerie stattfand, geradezu überflutet wurde - fast jedes regionale Museum hatte mindestens eine kleinere Aktion zu diesem Jubiläum vorbereitet -, wurden in Deutschland (in Nürnberg und Potsdam) zwei Ausstellungen präsentiert - jene in Nürnberg stellt allerdings die zweite (leicht veränderte) Variation der Prager Wanderausstellung dar.
Mit diesem Jubiläum hängt auch das vorliegende Werk zusammen, das den Text einer außerordentlichen Quelle enthält, die in enger Beziehung zu Karl IV. steht: die Vita Caroli Quarti - die Lebensbeschreibung des Kaisers, größtenteils durch ihn selbst verfasst. Wir haben es hier mit der zweiten Ausgabe einer Edition aus dem Jahr 1979 zu tun. Das Buch gliedert sich in zwei Teile: Der erste bildet eine Einführung in die Problematik dieser Quelle, der zweite stellt die eigentliche Edition dar.
In der Einführung behandelt Eugen Hillenbrand knapp Karls Bild in der historischen Erinnerung, das jedoch in Deutschland und in Tschechien diametral unterschiedlich ausfällt. Als pars pro toto wird der Kontrast zwischen den zwei Gedenkjahren zum 500. (1878) und 600. (1978) Todestag dargestellt. Dem ersten Jubiläum wurde (im Unterschied zum zweiten) im deutschsprachigen Raum fast keine Aufmerksamkeit gewidmet. Nachfolgend wird die Quelle selbst vorgestellt, einschließlich ihrer Überlieferungsformen und zahlreichen Übersetzungen sowohl ins Tschechische als auch ins Deutsche. Diese Angaben müssen jedoch ergänzt werden. Hillenbrand spricht im Falle der lateinischen Texte der Vita von zwölf Handschriften und weist dabei auf die Edition von Josef Emler [1] hin. Emler behandelt allerdings nur elf lateinische Handschriften. In Wirklichkeit sind heute 13 Handschriften der lateinischen Fassung der Vita bekannt. Keine von ihnen befindet sich jedoch, wie von Hillenbrand behauptet, in Berlin oder in Militsch (gemeint ist wahrscheinlich die sogenannte "Milich'sche Bibliothek", die 1945 aus Görlitz in die Breslauer Universitätsbibliothek gebracht wurde). Die tschechische Übersetzung ist nicht in vier, sondern in sieben Handschriften überliefert (das älteste Bruchstück stammt aus dem 14. Jahrhundert, fünf Handschriften aus dem 15. Jahrhundert und eine Handschrift vom Anfang des 17. Jahrhunderts).
Für die Schlüsselfrage der Forschung, wann Karl seine Lebensbeschreibung eigentlich verfasst hat, die auch im Rahmen der europäischen Literatur eine fast einzigartige Schöpfung darstellt, kommt Hillenbrand zu einem eigenen Datierungsversuch: Karl IV. habe angefangen die Vita Caroli zu schreiben, als er im Herbst 1350 schwer erkrankt war. Die Erkrankung habe ihn körperlich (aber nicht geistig) gelähmt. Dies steht im Einklang mit dem allgemein anerkannten Befund, dass die Kapitel 15-20 schon von einer anderen Person niedergeschrieben wurden. Das sei wahrscheinlich in der Zeit gewesen, als Karl gesund wurde und sich nicht mehr dieser Tätigkeit habe widmen können. Als datum ante quem der Entstehung dieser Quelle sieht der Verfasser den Augenblick, als Karl die Reichsinsignien erwarb. Er stellt eine ganze Reihe von Wechselbeziehungen zwischen kurzen biblischen Zitaten auf der Reichskrone und einigen Textpassagen in der Vita fest. Als datum post quem postuliert er die Kaiserkrönung Karls IV., da der Kaisertitel an keiner Stelle der Vita auftaucht. Man muss hinzufügen, dass dieser Datierungsvorschlag seit seiner Veröffentlichung in der ersten Auflage inzwischen von der einschlägigen Forschung mehr oder weniger akzeptiert worden ist.
Weitere Textabschnitte thematisieren die Selbstwahrnehmung Karls und das Abbild seiner realen Erlebnisse in der Autobiografie - darunter die Betonung der königlichen Abstammung, die Selbstinszenierung als idealer Herrscher, erste Erfahrungen mit der praktischen Politik in Italien sowie sein politisches Programm.
Hillenbrand präsentiert eine kurze Übersicht der Publikationen, die im Zusammenhang mit dem 600. Todestag 1978 entstanden und die wesentlich zum Verständnis Karls IV., seiner Persönlichkeit und seiner Verwaltungs- und Kunstaktivitäten beigetragen haben. Daraufhin befasst er sich mit Karls Berücksichtigung in ausgewählten europäischen Nachschlagewerken und Enzyklopädien. Diesem Abschnitt folgt noch eine Schilderung der Beziehungen Karls IV. zu Frankreich, die aber nicht recht zur übrigen Einführung passt.
Danach folgt die eigentliche Edition in synoptischer Bearbeitung, die sowohl den Originaltext als auch seine Übersetzung in moderne deutsche Sprache bietet. Den Band beschließen Stammtafeln der Luxemburger und Přemysliden. Die Publikation wird durch zahlreiche farbige Abbildungen u.a. aus den illuminierten Handschriften der Vita (sowohl des lateinischen Textes als auch der tschechischen Übersetzung) und der Goldenen Bulle aufgelockert.
Karls Autobiografie kann sich also dank dieser gelungenen Publikation weiterer Aufmerksamkeit gewiss sein. Obwohl es sich lediglich um eine ergänzte Ausgabe der Edition von 1979 handelt, gelangt Karls Vita so erneut in die Buchläden und kann nicht nur Historiker, sondern auch eine breitere Öffentlichkeit ansprechen. Eine Nachfrage nach der Vita Caroli Quarti ist zweifellos nicht nur in Tschechien, wo parallel zu dieser Veröffentlichung eine Übersetzung ins moderne Tschechische herausgegeben wurde, sondern auch in den deutschsprachigen Ländern vorhanden.
Anmerkung:
[1] Josef Emler (Hg.): Život císaře Karla IV., in: Fontes rerum Bohemicarum, Bd. 3, Praha 1878, 323-417.
Tomáš Velička