Anne Huijbers: Zealots for Souls. Dominican Narratives of Self-Understanding during Observant Reforms, c. 1388-1517 (= Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens. Neue Folge; Bd. 22), Berlin: De Gruyter 2018, XIV + 388 S., 20 Farb-, 2 s/w-Abb., ISBN 978-3-11-049525-6, EUR 99,95
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In ihrer aus einer Dissertation hervorgegangenen Arbeit Zealots for souls. Dominican narratives of self-understanding during observant reforms, c. 1388-1517, stellt Anne Huijbers anhand der vom Orden selbst erstellten Erzählungen die Frage nach dem Selbstverständnis der Dominikaner. Methodisch geht sie dabei von Paul Ricoeurs Konzept der narrativen Identität aus und verknüpft dies mit Giddens Vorstellung von kollektiven Identitäten, die sich aus der Verbindung von Einzelereignissen zu einer Identität formen. Mit Schillebeeckx definiert sie den Dominikanerorden als eigene Erzähl-Gemeinschaft, in der mithilfe der Historiographie eine Identität für die Gemeinschaft der Brüder und Schwestern entstand.
Ihre Arbeit unterteilt sich in drei große inhaltliche Abschnitte. Während der erste Teil sich mit der Form und dem Vorgehen institutioneller Ordensgeschichtsschreibung auseinandersetzt, geht der zweite gezielt auf observante Strategien ordenseigener Identitätsbildung mittels Erzählungen ein. Der letzte Teil der behandelt die Flexibilität des dominikanischen Selbstverständnisses am Beispiel des Humanismus.
Der erste Teil ihrer Arbeit widmet sich einführend der Gattung der Chronik. Gemeinsame Topoi sowie einzelne Beispiele von Ordenschroniken und Klosterchroniken werden besprochen und eine klare Unterscheidung zur Vitentradition des Ordens gezogen, die sich am Leben von Predigern, Reformern und Beichtvätern ausrichtete. Da es aber zwischen Chroniken und Viten zu inhaltlichen Überschneidungen kam, sieht Huijbers die Intention des Ordens im Bezug auf Identität klar in der Suche nach Vorbildern, um Standards aufrechtzuerhalten und Autoritäten zu begründen. Huijbers kann feststellen, dass selbst ordensübergreifende Chroniken eine starke Ortsgebundenheit aufwiesen und dem Leser nur ein eingeschränktes Blickfeld eröffneten. Zumeist war auch ihre Verbreitung regional beschränkt. Die Autorin widerspricht in ihrer kurzen Untersuchung regional begrenzter männlicher und weiblicher Klosterchroniken Heike Uffmann, dass sich klare Unterschiede zwischen beiden Typen der Geschichtsschreibung definieren lassen, denn sie kann durch Ausweitung des Untersuchungsgegenstandes feststellen, dass auch Dominikaner wie Jean Martin von Valenciennes und Thomas von Sienna in der Muttersprache und nicht auf Latein schrieben, um ihre Leserschaft zu erreichen. Auch den für die Frauenklöster typischen Formenreichtum an Textgattungen kann sie sowohl bei männlicher als auch bei weiblicher intendierter Leserschaft feststellen.
Haupttopos und identitätsstiftend für den Orden ist der Autorin zufolge das Bild von der Weinrebe, deren Früchte die Dominikaner selbst sind. Mit Matthäus 7,19 sollten sich die nachfolgenden Generationen an Dominikanern an den von den Chronisten vorgegebenen Beispielen orientieren und sie nachahmen. Nicht die Inquisition, sondern Predigt, ein Leben für Gott und das Märtyrertum für den Glauben begründeten Identität.
Im zweiten Part der Dissertation widmet sich Anne Huijbers der Observanz und ihren Folgen für die Identität des Ordens. Sie kann feststellen, dass die Dominikaner eine Spaltung in einen observanten und konventualen Zweig wie bei den Franziskanern verhindern wollten und deshalb eine Beschreibung von Konflikten zwischen beiden Gruppierungen unterlassen wurde, wobei der observante Teil des Ordens mit der Mehrheit der Klöster die Deutungshoheit über die Auslegung von Geschichte gewann. Die (Wieder-)Einhaltung der Bestimmungen des Dominikus, die Errettung der Seelen durch Predigt und pastorale Fürsorge wurden in den Chroniken nun wieder verstärkt in den Blick genommen. Huijbers identifiziert die anschauliche Schilderung des Verfalls der Konvente durch Pest und Nichteinhaltung der Gelübde vor der Einführung der Observanz eindeutig als Topoi, die die Reform rechtfertigen sollten und identifiziert unterschiedliche Foci der Schriftsteller, um von der Observanz als richtigem Weg zu überzeugen. Während Johannes von Mainz das perfekte Verhalten eines Konvents innerhalb der Klostermauern betonte, legte Johannes Meyer größeren Wert auf die Wirkungen des reformierten Konvents in die Stadt hinein. Die Autorin kann ebenfalls feststellen, dass die Chronisten nicht immer für die Observanz ideale Dominikanerviten verfassten, sondern auch - wie am Beispiel des Thomas de Leuco feststellbar - arrogante und ehrgeizige Dominikaner beschrieben, an denen sich die nachfolgenden Generationen nicht orientieren sollten.
In einer Art Nachgang schließt sich ein Kapitel über den Humanismus an, in dem anhand der Beispiele von Tommaso Schifaldo, Giovanni Caroli und Leandro Alberti konstatiert wird, dass viele observante Viten zwar wieder aufgenommen und umgeformt, deren observante Spezifika aber nicht mehr betont wurden. Dominikanische Themen wurden in humanistische Kontexte versetzt. So idealisierte der Humanist Caroli seinen florentinischen Konvent zu einer kleinen, in sich funktionalen, gerechten und freien Republik. Mit der durch den Buchdruck veränderten Leserschaft generalisierte sich die Thematik der Chronistik hin zu der allgemeinen Darstellung der Schwierigkeiten bei der Einführung der Observanz.
Insgesamt handelt es sich bei Huijbers Arbeit um ein gelungenes Überblickswerk über die dominikanische Identitätsfindung im späten Mittelalter auf der Grundlage ausgewählter Beispiele aus der Geschichtsschreibung. Die Autorin warnt vor Generalisierungen der gemeinsamen Ziele der Chronisten und weist immer wieder mit Einzelbeispielen die Individualität und Originalität der Schreiber nach. Sie nimmt nicht nur Ordenschroniken und Klosterchroniken, entstanden für männliche und weibliche Leserschaften, in den Blick, sondern untersucht auch Identitätsveränderungen durch die Observanz und den Humanismus. Ihre Arbeit besticht durch Beispiele aus dem italienischen, französischen, niederländischen und deutschen Raum, die von ihr zum ersten Mal aufeinander bezogen werden. Sie benennt viele Chroniken, bleibt bei manchen aber an der Oberfläche und setzt sich nicht weiter mit ihrer Genese und ihrer Wirkung auf besondere Gruppen innerhalb des Ordens auseinander. Durch ihre Grenzen übergreifende Arbeit eröffnet sie jedoch neue Horizonte für die Historiographie des Dominikanerordens, die in der weiteren Forschung Berücksichtigung finden sollten.
Stefanie Neidhardt