Bridget Wells-Furby: Aristocratic Marriage, Adultery and Divorce in the Fourteenth Century. The Life of Lucy de Thweng (1279-1347), Woodbridge: Boydell Press 2019, XI + 246 S., 1 Kt., 5 Tbl., ISBN 978-1-78327-367-6, GBP 60,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Julia Burkhardt: Von Bienen lernen. Das Bonum universale de apibus als Gemeinschaftsentwurf. Analyse, Edition, Übersetzung, Kommentar, Regensburg: Schnell & Steiner 2020
Anne Huijbers: Zealots for Souls. Dominican Narratives of Self-Understanding during Observant Reforms, c. 1388-1517, Berlin: De Gruyter 2018
Montserrat Herrero / Jaume Aurell / Angela C. Miceli Stout (eds.): Political Theology in Medieval and Early Modern Europe. Discourses, Rites, and Representations, Turnhout: Brepols 2017
In den letzten Jahren widmete sich die Forschung gezielt Fragen nach politischer Macht von Frauen wie Kaiserinnen, Königinnen und einflussreichen Adeligen. Untersuchungen der Mechanismen von Macht und der Handlungsmöglichkeiten von Frauen in der vormodernen Gesellschaft eröffneten neue Perspektiven auf komplexe politische und soziale Beziehungen. Der Aspekt der Übertragung von familiärem Vermögen qua Heirat und daraus resultierende Möglichkeiten und Handlungsräume für das junge Paar, aber auch für Mann oder Frau alleine bietet dazu neue Einblicke in Entscheidungsmöglichkeiten von (Adels-)familien.
Bridget Wells-Furbys Buch über die englische Adelige Lucy de Thweng (1279-1347) reiht sich in diesen Forschungsstrang ein. Ausgehend von der Erbin aus Yorkshire schreibt die Autorin höchstens im weiteren Sinne eine Biographie, denn jedes Kapitel ist nach der gleichen Struktur aufgebaut: erforscht wird in einem ersten Teil Lucys Leben, um dieses danach in den gesellschaftlichen Kontext einzuordnen und in einem dritten Schritt im Vergleich dazu andere adelige Damen und ihre sozialkulturelle Stellung im England des 13. Jahrhunderts zu erörtern. Ausgangspunkt für diese Betrachtungen sind Lucys Ehen und die daraus resultierenden Konsequenzen für die Adelige.
So folgt Wells-Furbys Arbeit Lucy de Thweng: Ihr Leben, ihre erste Ehe als unmündige Erbin, die Aufhebung des Eheversprechens, ihre gewaltsam erzwungene zweite Eheschließung, die Zeit als Witwe und die dritte Ehe sowie ihr Tod werden in den Blick genommen. Da die Quellenlage für Lucy de Thwengs Leben mit zwei Urkunden, einem Testament und keinerlei Briefen oder Haushaltsbüchern eher mager ist, bietet sich dieses Vorgehen an. Bridget-Furby geht mit ihrem Werk anschaulich und gezielt gegen die ältere Historiographie vor, in der Lucy de Thwengs Charakter als "berüchtigt" bewertet und ihr Leben als "thrice-married, twice-abducted, once-divorced disregarder of the moral conventions" abgetan wurde.
Lucy war das einzige überlebende Kind Robert de Thwengs, des ältesten Sohnes Marmaduke de Thwengs und seiner Frau Lucy de Brus. Da Robert vor seinem Vater starb, wurde Marmadukes zweiter Sohn Marmaduke Alleinerbe, während das Vermögen seiner Frau an Lucy de Thweng ging. Im Jahr 1294 heiratete Lucy William Lord Latimer, um 1300 wurde ein Sohn geboren. Drei Jahre später verließ Lucy ihren Mann mit Hilfe ihres Onkels und die Ehe wurde 1312 endgültig geschieden. In der Zwischenzeit begann Lucy eine Beziehung mit Nicholas Meinill. Aus dieser Beziehung gingen ein Sohn und vermutlich eine Tochter hervor. Im Januar 1313 heiratete Lucy - vermutlich aus Zwang durch Entführung und Vergewaltigung - Robert de Everingham. Nach dessen Tod ging Lucy im Februar 1327 ein drittes und letztes Mal mit Sir Bartholomew de Fanacourt ein Eheversprechen ein.
Im Zentrum des Buches steht die Frage, inwiefern zeitgemäße Konventionen von Ehe und sexuellem Verhalten von Männern und Frauen missachtet oder ignoriert werden konnten. Dazu gehört die Aufhebung von Lucys Ehe, ein Prozess, der ab 1305 eingeleitet wurde. Anhand anderer adeliger Frauen wie Alice de Lusignan und Margaret Marshal zeigt die Autorin anschaulich, dass eine Annullierung von Ehen keine Ausnahme war, aber immer der letzte Ausweg bleiben sollte, denn die Ehe sollte - wenn irgendwie möglich - intakt bleiben. Ausschlaggebende Faktoren für Lucys erfolgreiche Trennung waren ihre Rolle als Erbin sowie die Unterstützung ihrer Familie. Damit eng verwoben ist der Vorwurf des Ehebruchs mit Meinill in der Zeit zwischen der Trennung von Latimer und ihrer Scheidung.
Wells-Furby untersucht anhand zahlreicher Beispiele die Häufigkeit von Ehebruch bei Mann und Frau auch über Standesgrenzen hinweg. Variierende Elemente von sozialer Stellung, Besitz und Familienstand begünstigten oder vereitelten spätere Eheschließungen oder Anerkennungen der Kinder als Erben. Präzise untermauert durch Quellen und chronologische Kontextualisierung zeigt die Autorin, dass es sich bei der Beziehung zwischen Meinill und Lucy nicht um eine kurze sexuelle Verbindung handelte, sondern Meinill sie unter seinen Schutz stellte und beide die Unterstützung von Lucys Familie hatten.
Immer beeinflussten Entscheidungen in Bezug auf Beziehungen und Ehe einer Frau Vermögen, Erbe und Möglichkeiten nachfolgender Kinder. Weltliches und kirchliches Recht unterstellten die Frau physisch und rechtlich dem Mann, boten aber auch seltene Möglichkeiten, ihre Unabhängigkeit zu schützen. Mit diesen Thesen begründet die Autorin die nach der erfolgreichen Scheidung von Latimer nicht erfolgte Ehe mit Meinill. Da Lucy als Witwe mit erheblichem Land attraktiv für eine Ehe war, fiel sie vermutlich Robert de Everingham zum Opfer, der die Ehe zu seiner Sicherheit mit Gewalt vollzog. Everinghams größerer Einfluss sicherte die Ehe auch nach einer Entführung Lucys durch Meinill.
Wells-Furby nimmt mit ihrem Werk Lucy de Thweng ihre berüchtigte Rolle als weibliches Negativbeispiel in der Geschichte, indem sie ihr Leben vergleichend in den Gesamtzusammenhang der Zeit einordnet. Ihr gelingt eine genaue und detailreiche Studie der Situation der Frau in England im beginnenden 14. Jahrhundert: als Erbin abhängig von den Entscheidungen der Verwandten, als Ehefrau durch weltliches und kirchliches Recht dem Willen ihres Ehemannes unterworfen, als Witwe mit finanzieller und rechtlicher Unabhängigkeit. Dem nicht-englischen Historiker bietet sich anhand ihrer Studie die Möglichkeit der Einordnung der englischen mittelalterlichen Ehepraxis in Bezug auf Gender, Frauen und Recht.
Stefanie Neidhardt