Todd H. Hall: Emotional Diplomacy. Official Emotion on the International Stage, Ithaca / London: Cornell University Press 2015, XII + 248 S., ISBN 978-0-8014-5301-4, USD 39,95
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Angesichts der medialen Präsenz wütender Präsidenten, streitender Politiker und Freundschaft beschwörender Staatsoberhäupter verwundert es fast, dass die Beziehung zwischen Emotionen und Außenpolitik erst seit Kurzem intensiver untersucht wird. Der Politikwissenschaftler Todd H. Hall tritt an, das Theoriearsenal der International Relations entsprechend zu erweitern und unterstützt sein Plädoyer mit einer eigenen Begriffsprägung: Emotional diplomacy. Seine Studie ist Teil einer jüngeren Strömung in den Politik- und Geschichtswissenschaften, Emotionen wie Angst, Zorn, Vertrauen oder Schuld stärker bei der Untersuchung politischer Beziehungen zu berücksichtigen. Der Ansatz der emotional diplomacy leistet dafür einen wertvollen Beitrag.
Unter emotional diplomacy versteht Hall "co-ordinated state-level behavior that explicitly and officially projects the image of a particular emotional response toward other states" (2). Diese Form der Diplomatie erfordert Arbeit und bedeutet aufeinander abgestimmtes Teamwork staatlicher Akteure. Ob sie die Emotion selbst fühlen, die sie als Vertreter eines Staates zeigen, ist unerheblich - es geht um das gezielt eingesetzte Spiel auf der Klaviatur der Emotionen, nicht um das Gefühlsleben einzelner Personen oder Personengruppen. Die Studie soll zeigen, wie Staaten gezielt emotionsgeladenes Verhalten zeigen, um Politik zu machen, ob zur Imageverbesserung, der Veränderung des Deutungsrahmens oder der Neujustierung zwischenstaatlicher Beziehungen.
Um die Reichweite seiner Theorie zu belegen, wählt Hall drei Fallbeispiele. Unter den Schlagworten Zorn, Mitleid und Schuld sollen sie die Funktionsweise der jeweiligen Diplomatie sowie den theoretischen Mehrwert des Ansatzes einer emotional diplomacy exemplarisch zeigen. Mit "diplomacy of anger" beschreibt Hall erstens die Politik Chinas gegenüber Taiwan und den USA, nachdem der taiwanesische Präsident Lee Teng-hui 1995 die USA besucht hatte. Die Volksrepublik warf Taiwan und den USA vor, im Widerspruch zur "Ein-China-Politik" des Landes zu handeln, und reagierte mit Zorn auf die wahrgenommene Verletzung ihrer Interessen. Neben einer entsprechenden Rhetorik zeigte sich der Zorn Chinas beispielsweise in Militärmanövern und der Absage bereits vereinbarter Treffen. Nur die Demonstration von Zorn, so Halls Schlussfolgerung, schien der chinesischen Regierung geeignet, um unmissverständlich klarzumachen, dass hier eine rote Linie überschritten war und dass China nicht gewillt war, die Verletzung seiner Interessen zu dulden.
Als "diplomacy of sympathy" untersucht Hall zweitens das Verhalten Russlands und Chinas gegenüber den USA nach den Anschlägen des 11. September 2001. Beide Staaten kontaktierten die US-Regierung umgehend, sprachen ihr Mitgefühl aus, verurteilten den Anschlag aufs Schärfste und versicherten, jedwede Hilfe und Unterstützung leisten zu wollen. Was zuvor kaum denkbar gewesen war - die Präsenz des US-Militärs in den Interessens- und Einflussgebieten beider Staaten - war im Nachgang zu 9/11 möglich, und auch in anderer Hinsicht zeigte sich insbesondere Putins Russland bemüht, die USA zu unterstützen, ohne eine Gegenleistung zu fordern. Hall zufolge ging es den beiden Staaten darum, das Verhältnis zu den USA auf neue Füße zu stellen und langfristig Verbesserungen zu erreichen - eine Taktik, die nicht aufging.
Im dritten Fallbeispiel nimmt Hall unter dem Stichwort "diplomacy of guilt" die deutsch-israelischen Beziehungen zwischen dem Luxemburger Abkommen von 1952 und der Aufnahme diplomatischer Beziehungen Mitte der 1960er Jahre in den Blick. Zahlungen, Waren- und Waffenlieferungen: zu keiner dieser Leistungen wäre die Bundesrepublik rechtlich verpflichtet gewesen, so Hall, und gerade die Waffenlieferungen widersprachen westdeutschen Interessen, gefährdeten die doch die Beziehungen Westdeutschlands zu den anderen Staaten des Nahen Ostens. Doch die Bundesrepublik verfolgte ein anderes Interesse. Sie wollte ihr internationales Image verbessern, und nichts machte eine Abkehr von Nazi-Deutschland glaubwürdiger als eine "diplomacy of guilt", die mit Worten, aber eben auch mit substanziellen Gesten vermittelt wurde.
In allen drei Beispielen gelingt es Hall, seinen Punkt überzeugend zu verdeutlichen, auch wenn gerade das letzte Beispiel sehr deutlich zeigt, dass das, was hier emotional diplomacy verhandelt wird, häufig auch einfach als Interessenspolitik gefasst werden kann. Doch Halls Theorie einer eigenständigen emotional diplomacy ist vor allem wichtig, um Emotionen dauerhaft in den Theorien der International Relations zu verankern. Als ausformulierter Ansatz zeigt er das Potenzial einer solchen Herangehensweise auf. Während Funktionsweisen, Folgen und Dynamiken der emotional diplomacy ausführlich und manchmal redundant dargelegt werden, wäre es wünschenswert gewesen, mehr über die Verzahnung der etablierten Theorien mit Halls Ansatz zu erfahren. Unterbelichtet bleibt auch das Zusammenspiel mehrerer emotionaler Ebenen, denn leicht ließe sich zeigen, dass Zorn, Mitleid und Schuld jeweils nur eine - wenngleich auch vorherrschende - von mehreren Emotionen im Mix waren, dem auch Gefühle wie Angst oder Misstrauen angehörten.
Aus Sicht der Historikerin ist schließlich zu bedauern, dass die Historizität von Emotionen und auch die Historizität des jeweiligen Kontextes nicht einmal erwähnt werden. Die geschichtswissenschaftliche Forschung hat gezeigt, dass Emotionen nicht statisch sind, sondern selbst eine Geschichte haben, dass sie "kulturell geformt und sozial erlernt werden". [1] Daher ist auch Halls Kunstgriff, von einem zumindest auf einer basalen Ebene global geteilten Idee emotionalen Verhaltens auszugehen, nur bedingt überzeugend. Hall gibt nicht an, für welche Zeiträume sein Ansatz einer emotional diplomacy Erklärungskraft beansprucht, und es bleibt weiterer Forschung vorbehalten, hier Potenziale auszuloten. Dazu gehört auch eine umsichtigere Quellenarbeit. Hall verwendet überwiegend gedruckte Quellen, die Tagespresse und Interviews, ohne die unterschiedlichen Funktionslogiken dieser Quellengattungen und die Lücken, die sich durch die Auswahl ergeben, zu thematisieren. Auch die unterschiedlichen medialen Settings spielen keine Rolle. Als das Luxemburger Abkommen geschlossen wurde, besaß noch kaum ein Haushalt einen Fernseher; als 2011 die Flugzeuge in das World Trade Center flogen, verfolgten Menschen auf aller Welt die Ereignisse in Endlosschleife im Fernsehen und über Internet - Kanäle, die auch Politiker für sich nutzten.
Trotz dieser Kritikpunkte, die zum Teil auch den unterschiedlichen fachlichen Herangehensweisen entspringen, bleibt zu betonen, dass Hall einen wichtigen Beitrag leistet, um unerklärlich erscheinendes Verhalten (besser) zu erklären und die Analysemöglichkeiten internationaler Beziehungen um eine wichtige Facette zu ergänzen.
Anmerkung:
[1] https://www.mpib-berlin.mpg.de/de/forschung/geschichte-der-gefuehle
Reinhild Kreis