Tobias Daniels: Diplomatie, politische Rede und juristische Praxis im 15. Jahrhundert. Der gelehrte Rat Johannes Hofmann von Lieser (= Schriften zur politischen Kommunikation; Bd. 11), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2013, 581 S., ISBN 978-3-8471-0092-8, 69,99
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Dem gelehrten Rat Johannes von Lieser (de Lysura) hat Tobias Daniels in seiner 2011 eingereichten Dissertation eine eindrucksvolle Biographie gewidmet. Sie zeichnet erstmals dessen Wirken als Diplomat, Redner und Jurist unter Einbeziehung aller Quellen nach und leistet damit einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der politischen Kultur im späten Mittelalter.
Nach einer instruktiven Einführung in das Forschungsthema behandelt der erste Hauptteil die diplomatische Karriere. Daniels setzt mit Überlegungen zur Familie ein, die er als wohlhabend charakterisiert. Vermutlich verfügte sie zudem über gute Kontakte, die für die spätere Karriere eine gewisse Rolle spielten, etwa zur Familie des großen Rechtsgelehrten und Philosophen Nikolaus von Kues. Neben den bekannten Studien in Heidelberg, Erfurt und Leipzig kann Daniels nun auch einen Aufenthalt in Wien im Jahr 1427 wahrscheinlich machen, ehe Johannes 1429 in Siena im Kirchenrecht promoviert wurde.
Eigentliches "Karrieresprungbrett" (98) wurde dann das Basler Konzil, wo sich Lysura zunächst gemeinsam mit Nikolaus von Kues im Trierer Bistumsstreit engagierte. Bald schon traten andere Dienstherren an ihn heran, zunächst der Erzbischof von Mainz. Johannes wurde Mainzer Generalvikar, wickelte für den Erzbischof wichtige Geldgeschäfte an der Kurie ab und vertrat ihn als Gesandter auf dem Konzil. Hier engagierte er sich außerdem in der Glaubensdeputation und wirkte als Auditor an der Konzilsrota. In den späteren 1430er Jahren gehörte er zu denjenigen, welche die neutrale Haltung der Kurfürsten im Streit zwischen Papst und Konzil vermittelten. Als Mainzer Gesandter in Basel und Ferrara betrat er damals die Bühne der europäischen (Kirchen-)Politik.
Bald bezog Lysura Position zu Gunsten des Papsttums, was nicht zuletzt seine Marginalien in einer Pariser Handschrift verraten, die Daniels erstmals umfassend interpretiert. Sie beziehen sich auf die Schriftfassung von Reden, in denen auf dem Frankfurter Tag von 1442 der Erzbischof von Palermo die Superiorität des Konzils verteidigte, während Nikolaus von Kues für eine Aussöhnung mit dem Papst stritt. Vor allem die propäpstliche Argumentation des Cusanus vollzog Johannes in zahlreichen Randnotizen nach, was seine Parteinahme deutlich erkennen lässt. Möglicherweise kann man die glossierende Lektüre auch als Vorarbeit zu einer Denkschrift interpretieren, in welcher der König zur Anerkennung des Papstes aufgefordert wurde. Sie ist anonym überliefert, doch bringt Daniels gute Gründe dafür vor, sie als Gemeinschaftswerk des Nikolaus von Kues und Lysuras zu sehen. Bald darauf wurde Johannes in Geheimverhandlungen über die Anerkennung Papst Eugens IV. einbezogen und gehörte 1446/47 der Gesandtschaft an, die im Namen der Kurfürsten die Obödienz in Rom leisten sollte. Im Gegenzug nahm, dank päpstlicher Unterstützung, sein Pfründenbesitz deutlich zu. Für den Verlust des Richteramts in Basel wurde er durch die Verleihung des Ehrentitels eines päpstlichen Auditors entschädigt.
Danach verlagerte sich Lysuras Tätigkeitsschwerpunkt nach Trier, wo ihn Erzbischof Jakob von Sierck für seine territorial- und reichspolitischen Ziele einsetzte. Dafür galt es zunächst, Kontakt mit dem Kaiser aufzunehmen, weshalb Johannes 1452 nach Wiener Neustadt entsandt wurde. Die Mission nach Rom 1452/53 stand ebenfalls mit den Planungen des Trierer Erzbischofs in Zusammenhang, wobei Daniels hier die besondere Fähigkeit zum kurialen "Networking" (246) hervorhebt. Lysuras Rolle auf den Reichsversammlungen in Regensburg und Frankfurt 1454 kann er ebenfalls noch genauer bestimmen. Viel Neues macht Daniels für die Jahre 1455 bis 1458 bekannt, in denen sein Protagonist eine Rechtsprofessur in Löwen innehatte. Zuletzt engagierte sich Johannes für Friedrich den Siegreichen von der Pfalz, ehe er im Sommer 1459 verstarb.
Die folgenden Abschnitte sind systematisch angelegt und erschließen in sehr gelungener Weise die Tätigkeitsfelder des gelehrten Rats, zunächst das der politischen Oratorik. Daniels führt kompetent in die Thematik ein und entwirft ein eigenes Analyseraster, um die beiden im Volltext erhaltenen Ansprachen Lysuras zu diskutieren. Schon im Fall der bislang unedierten Ansprache, die Johannes auf dem Frankfurter Tag von 1454 für den Deutschen Orden hielt, erweist sich dieser Ansatz als äußerst fruchtbar. Selbst bei der in der Forschung wegen ihrer frühnationalen Rhetorik viel diskutierten Rede über die Reichsreform, die im selben Jahr auf dem Regensburger Tag vorgetragen wurde, kann Daniels eine Reihe neuer Erkenntnisse präsentieren. Überzeugend wird das deutsche Redemanuskript als originär, die lateinische Redaktion in einem Brief des italienischen Humanisten Enea Silvio Piccolomini als sekundäre Bearbeitung gedeutet. Eine frühere Redaktion von Piccolominis Brief lässt zudem Rückschlüsse auf die unmittelbare Wirkung des Vortrags zu. Aufschlussreich ist auch die weitere Rezeption des Vortrags, die Daniels umfassend rekonstruiert hat. Er kann zeigen, dass nicht nur andere deutsche gelehrte Räte darauf rekurrierten, sondern sogar Piccolomini selbst in seiner wohl berühmtesten Rede mit dem Incipit "Constantinopolitana clades".
Der letzte Abschnitt der Studie widmet sich dem juristischen Wirken Lysuras, seinen bislang wenig oder gar nicht beachteten Gutachten und einer Rechtsvorlesung. Das wichtigste Gutachten verfasste Johannes in Basel in Zusammenhang mit dem Trierer Bistumsstreit, wobei Daniels hier vor allem das Zusammenwirken mit anderen großen Rechtsgelehrten der Zeit wie Nikolaus von Kues hervorhebt. Mit der Analyse der Gutachten, die im Zusammenhang mit Prozessen an der Basler Konzilsrota entstanden, leistet er wertvolle Grundlagenarbeit in einem noch wenig beachteten Forschungsfeld. Den Gutachten aus der Zeit in Löwen gewinnt Daniels spannende Einblicke in die Alltagswelt ab und analysiert schließlich noch die erhaltene "Repetitio", was das Wissen um den Rechtsunterricht an der Universität erheblich erweitert. Anders als die parteiischen Gutachten lässt sie zudem etwas von Lysuras Rechtsdenken erkennen, das sich auch in seinen Plänen zur Reichsreform niederschlug.
Unter den "gelehrten Räten" kommt Johannes aus Lieser sicher eine besondere Bedeutung zu. Dieses Urteil lässt sich auch auf die Studie von Tobias Daniels übertragen, bei der schon die Menge des verarbeiteten Materials beeindruckt - das Verzeichnis der ungedruckten Quellen führt 72 Archive und Bibliotheken in ganz Europa auf. Immer wieder gelingt es Daniels zudem, auf zentrale Quellentexte oder Sachverhalte, die seit langem bekannt sind und scheinbar abschließend diskutiert wurden, noch einmal ein neues Licht zu werfen. Seine Studie wird damit zur unverzichtbaren Lektüre für alle, die sich mit der Politik- und Bildungsgeschichte des 15. Jahrhunderts befassen.
Georg Strack