Monika Faber / Agnes Husslein-Arco (Hgg.): Inspiration Fotografie. Von Makart bis Klimt. Eine Materialiensammlung, Wien: Belvedere 2016, 272 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-903114-07-4, EUR 39,00
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Das 19. Jahrhundert ist ganz maßgeblich geprägt vom technischen Fortschritt, der vor keinem Bereich des Lebens und Arbeitens Halt machte. Auch die Kunst blieb davor nicht verschont und erfuhr ab den 1850er-Jahren mit dem Aufkommen der Fotografie erst sukzessive, dann jedoch in großer Geschwindigkeit und vielfältiger Ausformung eine neue Prägung.
Der Katalogband "Inspiration Fotografie. Von Makart bis Klimt" zur gleichnamigen, vom 17. Juni bis 20. Oktober 2016 in der Orangerie des Belvedere Wien gezeigten Ausstellung, rekonstruiert die Anfänge der Fotografie und ihre Bedeutung für die Malerei in Österreich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und zeichnet anhand der damaligen Protagonisten der Kunstszene ein faszinierendes, in seinem Facettenreichtum gleichwohl wenig bekanntes Bild. Das Werk Hans Makarts sowie weiterer namhafter Künstler Österreichs im 19. Jahrhundert, darunter Friedrich von Amerling und Mihály Munkácsy, dient als Quelle für Fragen nach der Zusammenarbeit zwischen Malern und Fotografen, nach der fotografischen Sammlungstätigkeit von Malern sowie nach den Möglichkeiten, die der Einsatz der neuartigen Technologie bei Konzeption und Fertigung malerischer Werke bot.
Konzept und Aufmachung des Kataloges folgen der Intention, einen Einblick in die Bestände des Research Centers für österreichische Kunst im Belvedere zu gewähren und präsentieren eine Materialiensammlung, wie es der Untertitel der Publikation bereits andeutet. Dies führt zu einem auffälligen Auftritt des Bandes: Eine Spiralbindung umschließt kräftige Papierseiten sowie trennende Pappeinlagen mit dazwischen liegenden Nachdrucken zeitgenössischer Publikationsorgane, deren Eindruck des Authentischen ergänzt wird durch wie eingeklebt wirkende Notizen, Illustrationen sowie Blätter aus Fotoalben. Dies evoziert zwar beim Leser das Gefühl, mit originalem Arbeitsmaterial zu hantieren, erschwert zugleich aber die Handhabung des Bandes, dessen Kapitel zahlreiche Querverweise beinhalten und damit zum häufigen Blättern veranlassen.
Ausgehend von der Erkenntnis, dass "seit der Einführung der Fotografie dieses Medium alle Bereiche der Metiers der Maler durchdrungen hatte" (8), fragt Monika Faber, Urheberin von Ausstellung und Katalogband, nach Interaktionen zwischen dem technischen Medium und dem tradierten Handwerk und sucht nach Belegen für einen fruchtbaren Austausch zwischen beiden. Bekannt ist, dass Fotografie und Malerei mit dem Aufkommen der neuen Technologie um die Mitte des 19. Jahrhunderts zunächst einander kritisch gegenüber standen: Zu groß war die Furcht, das neuartige Verfahren zur Bildherstellung könne die Malkunst ihrer Berechtigung berauben. Schnell jedoch offenbarten sich dessen Vorzüge, und das Agieren mit dem Medium Fotografie vollzog sich nicht verstohlen, sondern erfolgte als bewusste Indienstnahme des Fortschritts. Bereits 2011 hatte sich im Rahmen eines Kooperationsprojekts zwischen Belvedere Wien und Wiener Stadtmuseum zum Schaffen Hans Makarts [1] Uwe Schlögl mit dem Umgang des Künstlers mit der neuartigen Technologie befasst. Obschon zunächst die Realisten, dann die Impressionisten das von der Kamera erzeugte Bild ohne Berührungsängste in ihren Schaffensprozess aufnahmen, differierten Art und Umfang sowie "die Bereitschaft der einzelnen Künstler, ihre fotografischen Quellen und Anregungen offen zu nennen". [2] Dieses Phänomen der gegenseitigen Inspiration und Interaktion vermag der vorliegende Band nun in anschaulicher Breite zu vermitteln. Er zeichnet den Weg von den heute unbeholfen anmutenden Anfängen der Fotografie; von starren Porträtansichten bis hin zur technisch anspruchsvollen Aufnahme von Bewegungssequenzen und Mikrofotografien und schließlich bis zur formalen Annäherung zwischen fotografischen und malerischen Arbeiten zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Der Einsatz der Fotografie, so der Tenor des Bandes, war mit Aufkommen der neuen Technologie um 1840 aus der Malerei nicht mehr wegzudenken: Sie fungierte als Erinnerungsstütze und bei Vorstudien, konservierte Inszenierungen für beliebte Historienthemen und diente nicht zuletzt dem mit der Technologie vertrauten Maler als Mittel zur Selbstinszenierung sowie zur Vermarktung seines Œuvres mittels Reproduktionen.
Während die ersten Kapitel des Bandes der Etablierung des neuen Mediums in der Kunstszene Österreichs, vornehmlich Wiens, nachspüren und Künstler und Wissenschaftler vorstellen, die mit der Fotografie befasst waren, eröffnen sich im folgenden neue Blickwinkel auf unvermutete Interaktionen zwischen fotografischer Vorlage und malerischer Umsetzung. "[V]erblüffende Ähnlichkeiten" (211) werden nicht nur bei der Porträtmalerei offensichtlich, sondern beispielsweise auch bei Gustav Klimt zwischen dessen Aktstudien und zeitgenössischen Aktfotografien Otto Schmidts.
Zahlreiche Maler der Zeit verfügten über umfängliche Fotosammlungen, die gerade bei langwierigen Landschaftsdarstellungen oder der Wiedergabe von Tiermotiven eine willkommene Erleichterung und Beschleunigung des Arbeitsprozesses mit sich brachten. All jene Motive, die er auf Reisen hatte selbst skizzieren müssen, standen dem Maler nun "plötzlich in geballter Fülle als verlässliches Bildmaterial zur Verfügung" (125). Nicht selten verführt der Katalog zu einem amüsanten Blick gewissermaßen hinter die Atelier-Kulissen auf "eine geradezu absurd wirkende Szenerie", wenn sich bei Carl Peyfuss' Deckenbild im Wiener Palais Schoeller die Trompete blasenden Engel in der fotografischen Vorlage lagernd auf "zerschlissenen Matratzen - die in der Malerei zu Wolken mutieren" (208) entpuppen.
Ein Blick in die Fotosammlung der Akademie der bildenden Künste in Wien verdeutlicht, dass das Ringen dieser frühen Fotografen um die Anerkennung des künstlerischen Anspruchs in ihrem Werk durchaus seine Berechtigung hatte. Ansichten wie die des in Vollendung befindlichen Kölner Doms von Johann Franz Michiels oder des oberösterreichischen Traunsees von Viktor Angerer verfügen nicht nur über einen hohen dokumentarischen Wert, sondern zeugen auch von dem beachtlichen kompositorischen Können der Fotografen. Dieses sowie ein hohes Maß an Kreativität bei der Akquise weiterer Geschäftsfelder neben der Porträtfotografie war besonders ab den 1870er-Jahren mit der steigenden Zahl an Berufsfotografen gefragt. Von eindringlicher Faszination sind hier die Baum-, Pflanzen-, Stein- und Felsstudien Otto Schmidts, die dieser 1895 im "Illustrirten Katalog des Kunstverlages Otto Schmidt / Wien" veröffentlichte, sowie die Vorlagenwerke Martin Gerlachs, dessen Mikrofotografien von Pflanzen als Vorlagen für Grafiken vieler Jugendstil-Werke, darunter jene von Koloman Moser, dienten.
"Inspiration Fotografie" spannt damit einen weiten thematischen Bogen, der mit einer Fülle an Quellenmaterialien den Weg der Fotografie in Österreich anschaulich darlegt. Der Vielzahl an Beispielen mag es geschuldet sein, dass zahlreiche Aspekte lediglich gestreift werden und manchmal in eine Reihung von Namen münden. Es ist dem Potential des Themas zuzuschreiben, dass man sich an manchen Stellen eine Vertiefung wünschen würde, die mit weiteren Trouvaillen aus dem Forschungscenter aber vielleicht erfolgen wird.
Anmerkungen:
[1] Agnes Husslein-Arco / Alexander Klee (Hgg.): Makart. Maler der Sinne, Wien 2011; Ralph Gleis (Hg.): Makart. Ein Künstler regiert die Stadt, München / London / New York 2011.
[2] Uwe Schlögl: Hans Makart und die Fotografie, in: Makart. Maler der Sinne, Wien 2011, 211.
Maximiliane Buchner