Jutta Hülsewig-Johnen / Henrike Mund (Hgg.): Schönheit und Geheimnis. Der deutsche Symbolismus - Die andere Moderne, Bielefeld: Kerber Verlag 2013, 300 S., 225 Farb-, 41 s/w-Abb., ISBN 978-3-86678-810-7, EUR 39,95
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Mit der Schau "Schönheit und Geheimnis" schließt die Kunsthalle Bielefeld an einen derzeitigen Trend an. In den letzten Jahren erlebt der Symbolismus eine Wiederentdeckung, die in zahlreichen Ausstellungen, unter anderem in Wien, München, Stuttgart und London zu verfolgen war. [1] Mit der Frage nach einem genuin deutschen Symbolismus wird nun an Untersuchungen zum belgischen, englischen sowie österreichischen Phänomen dieser Epoche angeknüpft.
Im Unterschied zu jenen Auseinandersetzungen mit dem Thema stellt die vorliegende, die gleichnamige Ausstellung begleitende Publikation also den deutschen Symbolismus in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen. Gleich auf den ersten Seiten des Buches wird dabei klar gemacht, dass er sich nicht als Kontrapunkt, sondern als - eine von vielen - Alternativen der Frühmoderne verstanden wissen will. Dies, so kann an dieser Stelle bereits vorgegriffen werden, hebt das Buch in seinem wissenschaftlichen Gehalt von anderen Veröffentlichungen zu dem Thema hervor und räumt dem Symbolismus in Deutschland einen wichtigen Platz ergänzend zur klassischen Moderne sowie anderen Strömungen der letzten beiden Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts ein.
Bereits in der Einleitung gibt uns die Herausgeberin des Bandes, Jutta Hülsewig-Johnen, eine Vorstellung von dieser "alternativen Moderne": Es handle sich bei der symbolistischen Strömung um eine "formal traditionellere Verbildlichung der neuen Ideen und Vorstellungen", deren Fokus nicht auf dem Ziel "Abstraktion" lag (10, 11). Damit ging es dem Symbolismus nicht um das "wie" der darzustellenden Bildinhalte, sondern um das "was".
Mögen angesichts einer oftmals betont spontanen Malweise und eines raschen Pinselduktus, wie er beispielsweise bei Leo Putz zu sehen ist, Gedanken an den in etwa zeitgleich anzutreffenden Impressionismus aufkommen, so wird beinahe vorsorglich - und keinesfalls überflüssiger Weise - der grundlegende Unterschied zwischen beiden erklärt. Dieser besteht, trotz häufig vorkommender stilistischer Parallelen, in den unterschiedlichen Bildmotiven und vor allem in ihrem inneren Gehalt.
Diese Diskrepanz zwischen äußerer Erscheinung und dargestelltem Inhalt entsteht aus der Aufladung mit einer tieferen Bedeutung, die jedes symbolistische Bildsujet erfährt. Geschickt werden in dem Band die bevorzugten Themengebiete des Symbolismus als roter Faden eingesetzt und führen kapitelweise durch das Buch. Der Leser wird an mystisch-stimmungsvollen Landschaften mit Mondschein auf stillem Wasser oder kargen Felsklüften vorbeigeleitet; er sieht Figuren des "Goldenen Zeitalters" und aus Mythologie und Sagenwelt sowie das überaus beliebte Bild der schönen und teils unheilbringenden Frau.
Die verbindende Klammer der symbolistischen Kunst, die sowohl in der Themenwahl als auch im künstlerischen Ausdruck mannigfaltiger fast nicht sein könnte, liege in der gemeinsamen Geisteshaltung der Künstler und nicht, wie dies beispielsweise beim die Spätzeit des Symbolismus überlappenden deutschen Expressionismus der Fall ist, in einem gemeinsamen Malstil. Die Suche nach neuen Ausdrucksformen erfolgt nicht über das Äußere, sondern über die Welt des Inneren, die sich mit den Begriffen Empfindung, Traum, Gefühl und Innerlichkeit umfassen lässt. Die von Friedrich Theodor Vischer begründete "Einfühlungsästhetik" dient dabei als theoretischer Hintergrund. Kern dieser Anschauung ist die Überzeugung, dass es eine Divergenz zwischen Form und Inhalt gebe sowie den grundsätzlichen Glauben an die "Beseeltheit des Gegenstandes" (56). Mit einem Seitenblick auf die Musikentwicklung im 19. Jahrhundert wird ein weiteres, vielleicht entscheidendes Kriterium genannt, das die Kunst des Symbolismus tatsächlich als eine "andere Moderne" rechtfertigt: Nämlich das Bestreben, "herkömmliche Gattungsgrenzen zu überwinden" (245) und sich der Begrifflichkeit aus Musik und Literatur zu bedienen. Dabei könne man letztlich in dem "Gedankenkosmos" eines Joseph Beuys die direkte Nachfolge eines symbolistischen, "ganz auf und aus sich selbst bezogenen Systems" sehen (245).
Wiederholte Betonung findet in der Publikation der Austausch mit bzw. die Anregung durch französische Vorbilder, und dies nicht nur in Bezug auf eine häufig vorzufindende impressionistische Malweise. Der Hinweis auf die Wurzeln des Symbolismus in der französischen Literatur, darunter in der Gedichtsammlung "Fleurs du mal" von Charles Baudelaire, eröffnet in diesem Zusammenhang jedoch keine neue Erkenntnis, ebenso wenig wie die Feststellung, der Symbolismus sei eine "Kunstbewegung in Deutschland, jedoch nicht aus Deutschland" (244). In diesem Zusammenhang wäre eine Positionierung des deutschen Symbolismus im innereuropäischen Kontext wünschenswert gewesen; der Blick auf Länder wie Belgien, England oder die damalige österreichische Doppelmonarchie und das Aufzeigen ähnlicher Strukturen bleiben aus.
Hervorzuheben ist dagegen das Thema Plastik im Symbolismus, dem ein eigenes Kapitel gewidmet ist. In diesem liegt das Augenmerk auf Skulpturen im Raum Bielefeld; Ausgangspunkt ist die Figur des Denkers von Rodin, von dem die Kunsthalle einen vor dem Haupteingang platzierten Abguss besitzt. Mit dieser als "Inbegriff der modernen Skulptur" (243) bezeichneten Arbeit, die dem symbolistischen Ideal entsprechend einem literarischen und bildnerischen Gesamtkunstwerk, nämlich Rodins Höllentor, entspringt, wird kunstvoll die Wechselwirkung zwischen Literatur, überhöhtem Künstler-Selbstbewusstsein (wie bei Franz von Stuck zu beobachten) und symbolistischer Stoffauswahl erklärt.
Ein weiterer interessanter Aspekt eröffnet sich mit der Frage nach den ersten Sammlern symbolistischer Kunst aus Deutschland. Zugleich spürt der Verfasser des Beitrages der Motivation dieser ersten Besitzer nach, die er als "ungemeine Lust an der Motivwelt der Décadence" sieht (283). Der historische Kontext des Symbolismus und die ihn begleitenden "tiefgreifenden Veränderungen der Lebensverhältnisse durch Industrialisierung und Technisierung" (17) mögen die Vorliebe für vermenschlichte Göttergestalten verständlich machen. Sie sind besonders bei Arnold Böcklin, dem frühen Vertreter des deutschen Symbolismus, zu sehen. Auch Ausblicke auf unheimliche, vom Menschen unberührte Endzeit-Landschaften, auf satanische Bläser und unheilbringende Sphingen fügen sich in das Bild des daseinsentfremdeten Menschen im 19. Jahrhundert und seiner Sehnsucht nach traumhaften und der Wirklichkeit entzogenen Seh-Eindrücken ein.
Abschließend betrachtet, stellt die Kunsthalle Bielefeld mit diesem großzügig bebilderten und klar strukturierten Band einen spannenden Aspekt einer "anderen Moderne" vor, die sich, mit Hermann Bahr gesprochen, in dem Ziel, "das Eigene aus sich zu gestalten, statt das Fremde nachzubilden" charakterisieren lässt (125). Erfreulich groß ist dabei die Vielfalt der in kompakten Biografien reflektierten Künstlerpersönlichkeiten und deren Werken, von denen einige in Vergessenheit geraten sind und hier mit ihrem Beitrag zum Entstehen einer modernen Kunstauffassung nun Würdigung finden.
Anmerkung:
[1] Genannt seien in diesem Zusammenhang die Ausstellungen "Der Kuß der Sphinx. Symbolismus in Belgien", Bank Austria Kunstforum 2007; "Edward Burne-Jones. Das irdische Paradies", Staatsgalerie Stuttgart 2009; "Schlafende Schönheit. Meisterwerke viktorianischer Malerei", Belvedere Wien 2010; "The Pre-Rahaelites. Victorian Avantgarde", Tate Gallery London 2012; "Hammershøi und Europa", Hypo Kunsthalle München 2012; "Dekadenz - Positionen des österreichischen Symbolismus", Belvedere Wien 2013.
Maximiliane Buchner