Rezension über:

Anders Rydell: Hitlers Bilder. Kunstraub der Nazis - Raubkunst in der Gegenwart. Aus dem Schwed. von Andreas Brunstermann, Frankfurt/M.: Campus 2014, 365 S., ISBN 978-3-593-50163-5, EUR 24,90
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Rezension von:
Johannes Gramlich
Institut für Zeitgeschichte München - Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Annemone Christians im Auftrag der Redaktion der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Gramlich: Rezension von: Anders Rydell: Hitlers Bilder. Kunstraub der Nazis - Raubkunst in der Gegenwart. Aus dem Schwed. von Andreas Brunstermann, Frankfurt/M.: Campus 2014, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 4 [15.04.2016], URL: https://www.sehepunkte.de
/2016/04/27477.html


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Anders Rydell: Hitlers Bilder

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Seit den 1990er Jahren hat die Forschung zum nationalsozialistischen Kunstraub in der Wissenschaft und in öffentlichen Museen Auftrieb erhalten - insbesondere seit sich 1998 in der Washingtoner Erklärung 44 Staaten moralisch verpflichteten, ihre Sammlungen auf NS-Raubkunst zu überprüfen. Spektakuläre und medial begleitete Auseinandersetzungen um hochwertige Kunstgegenstände rücken die Thematik zudem immer wieder in den Fokus der Öffentlichkeit und machen weithin sichtbar, dass die Restitutionsbemühungen in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg längst nicht ausreichend gewesen sind. Auf diesem Weg ist auch der schwedische Journalist und Schriftsteller Anders Rydell auf das Themenfeld Raubkunst und Restitution aufmerksam geworden. Der langjährige Rechtsstreit zwischen dem Moderna Museet in Stockholm und den Erben des Kunstsammlers Otto Nathan Deutsch um Emil Noldes Gemälde Blumengarten, der internationale Aufmerksamkeit erregte und 2009 zu einer gütlichen Einigung kam, hatte sein Interesse geweckt. Rydell machte sich in der Folge auf die Suche nach den "Ursachen für den wohl größten Kunstraub in der Geschichte" und nach "ein paar Erklärungen, die verdeutlichen, warum er noch keine Geschichte ist" (9). Das Ergebnis seiner Recherchen präsentiert er auf 365 Seiten in 15 Kapiteln. Die deutsche Übersetzung des schwedischen Originals stammt von Andreas Brunstermann.

Rydells Ausgangsfragen sind längst Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen, denen er kaum etwas Neues hinzufügen kann. Dies ist allerdings auch nicht sein Ziel. Rydells Studie ist kein Beitrag zum akademischen Diskurs; sie richtet sich an eine interessierte Öffentlichkeit. Davon zeugt auch Rydells Bemühen um eine literarische Erzählform, die er im Wechsel mit analytischen Passagen kultiviert. Auf Anmerkungen und Belege verzichtet er gänzlich. Dafür liefert er zu jedem Kapitel eine Auswahl an gedruckten Quellen und Forschungsliteratur, die recht willkürlich erscheint. Einen Anspruch auf Vollständigkeit kann sie nicht im Ansatz erheben. Rydell bediente sich vor allem englischsprachiger Forschungsbeiträge, auch einige deutsche und schwedische Texte hat er rezipiert.

Auf dieser Materialgrundlage bemüht sich Rydell darum, das Ausmaß des nationalsozialistischen Kunstraubs in all seinen Facetten abzubilden. Er rekapituliert die antisemitische Gesetzgebung, die jüdische Kunstsammler und -händler im Deutschen Reich zunehmend unter Druck setzte und ihre Enteignung legalisierte. Ausführlich behandelt er die Auseinandersetzung innerhalb der NS-Elite um die Kunst der Moderne und die Beschlagnahme von Kunstwerken aus deutschen Museen, die den Nationalsozialisten als "entartet" galten. Ferner widmet er sich den Raubzügen der Nationalsozialisten während des Zweiten Weltkriegs in den von Deutschland besetzten Gebieten West- und Osteuropas, geht auf die chaotische Organisation der staatlichen Raubzüge und auf die Konkurrenz in der NS-Elite bei ihrem Wettlauf um die wertvollsten Kunstwerke ein. All dies verbindet er mit grundlegenden Überlegungen zu den Ursachen dafür, dass den Werken bildender Kunst im NS-Staats und bei dessen Eliten eine solch überragende Bedeutung zukam. Die enge Verknüpfung von Kunst und Ideologie, von Kultur und Rasse beschreibt Rydell als Teil der europäischen Ideengeschichte, die sich infolge des sogenannten deutschen Sonderwegs zunehmend radikalisiert habe. Zugleich betont er den sozialen und ökonomischen Wert von Kunstgegenständen, die auch als Macht- und Statussymbole, als Investitionsgüter und Devisenbringer begehrt waren.

Rydells Ausführungen zur Restitution von NS-Raubkunst beziehen sich in internationaler Perspektive vor allem auf die Gegenwart. Er führte Interviews mit amerikanischen Anwälten sowie weiteren Interessenvertretern und beschreibt exemplarisch zwei langwierige Prozesse um die Herausgabe geraubter Kunst in Schweden und Ungarn. Rydell hebt insbesondere auf die international unterschiedliche Rechtsprechung und divergierende Interessenlagen ab, welche die Rückerstattung von Kunstwerken häufig zu einem langwierigen, komplizierten und konfliktreichen Prozess machen. Während er Deutschland, Großbritannien, Österreich und den Niederlanden ein "einigermaßen funktionierendes System für die Bearbeitung von Restitutionsfällen" (312) attestiert, bestehe in weiten Teilen Osteuropas noch Nachholbedarf. Das "größte Hemmnis" sei dort "der offenbar immer noch weitverbreitete Antisemitismus" (265). Zu Recht weist Rydell außerdem darauf hin, dass Privatsammlungen ein großes Problem für die Rückerstattung von NS-Raubkunst seien, da diese nicht von der Washingtoner Erklärung betroffen sind. Der sogenannte Schwabinger Kunstfund, dessen Chronologie Rydell abschließend rekonstruiert, gehört zu den wenigen Fällen, in denen mit Cornelius Gurlitt ein privater Kunstbesitzer freiwillig, allerdings unter gehörigem öffentlichen Druck einer unabhängigen Überprüfung seiner Sammlung zustimmte.

Insgesamt gelingt es Rydell, seinen umfangreichen Untersuchungsgegenstand in einen weiteren politischen und kulturellen Kontext einzubinden und ihm damit eine gewisse analytische Tiefe zu geben. Der ordentlich komponierte Text ist allerdings nicht frei von Schwächen. Rydells Ausführungen geraten oftmals zu holzschnittartig und undifferenziert, Forschungskontroversen reflektiert er nicht. Während sich ein paar falsche Daten als Flüchtigkeitsfehler verschmerzen lassen, finden sich im Text zudem einige ärgerliche inhaltliche Mängel. Dies gilt insbesondere für die Rekonstruktion der antisemitischen Gesetzgebung im Deutschen Reich. So waren die Nürnberger Gesetze von 1935 keineswegs die ersten antisemitischen Gesetze der Nationalsozialisten. Die Gründung der Reichskammer der bildenden Künste, die das zentrale Instrument war, um jüdische Händler vom deutschen Kunstmarkt auszuschließen, missachtet Rydell vollständig. Die Konfiszierung von Werken "entarteter Kunst" in deutschen Museen - hier griff der Staat auf seinen eigenen Besitz zu - grenzt er nicht ausreichend von der Enteignung und Erpressung jüdischer Sammler und Händler ab. Überhaupt differenziert Rydell die unterschiedlichen Methoden, mit denen jüdische Sammler oder besetzte Staaten um ihren Kunstbesitz gebracht wurden, zu wenig. Dass Kunstwerke, die unter dem Druck der Verhältnisse notverkauft werden mussten, ebenfalls als NS-Raubkunst gelten, reflektiert er beispielsweise nicht. Dies zeigt sich auch in seinen Ausführungen über die Restitutionsbemühungen der Alliierten nach 1945. Die gesellschaftliche Dimension des Kunstraubs kommt insgesamt nur beiläufig zur Sprache; die Bedeutung von Privatsammlern, Händlern und Museen für die Dynamik dieses Prozesses bleibt weitgehend unberücksichtigt. Auch die Reihenfolge, in der Rydell seine Informationen ordnet, erschließt sich nicht immer auf Anhieb.

Trotz dieser Schwächen hat Anders Rydells Werk seine Berechtigung für eine Leserschaft, die einen breiten und gut lesbaren Überblick über NS-Raubkunst und Restitution sucht. Für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Themenfeld kann der Autor hingegen keine neuen Impulse liefern.

Johannes Gramlich