Peter Wolf / Evamaria Brockhoff / Fabian Fiederer u.a. (Hgg.): Ritter, Bauern, Lutheraner. Katalog zur Bayerischen Landesausstellung 2017 (= Veröffentlichungen zur Bayerischen Geschichte und Kultur; 66), Stuttgart: Theiss 2017, 392 S., 360 Farbabb., ISBN 978-3-8062-3496-1, EUR 29,95
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In der kaum noch zu überblickenden Literaturflut des zurückliegenden Lutherjahrs vertritt der vorliegende Ausstellungskatalog den Beitrag des Hauses der Bayerischen Geschichte zum Jubiläum. Er dokumentiert die bayerische Landesausstellung von 2017. Diese fand auf der Veste Coburg statt - im 16. Jahrhundert der südlichste Zipfel Sachsens. Hier hielt sich Luther während des Augsburger Reichstags 1530 auf, da er wegen der Reichsacht außerhalb Sachsens nicht sicher gewesen wäre, trotzdem aber dem Geschehen so nahe wie möglich sein wollte. Mit der Veste wurde also eine "Lutherstätte" par excellence bespielt. Der Katalog kann als Beitrag von programmatisch landesgeschichtlicher Ausrichtung gelten. Sein Ergebnis darf sich sehen lassen: Der bibliophil gestaltete Band besticht durch anspruchsvolle Ästhetik. Im Aufsatz- und Objektteil zeichnet er sich zudem durch ein in sich stimmiges Grundkonzept aus.
Die methodische Herausforderung, vor der die Ausstellungsmacher standen, war keine geringe: In Altbayern gehörten die Wittelsbacher zu den entschiedenen Gegenspielern Martin Luthers. Ihr Verhältnis zur Reformation bietet daher kaum Stoff für eine harmonisierende oder gar affirmative Gedenkhistorie, wie sie mitunter für den Umgang mit dem Reformationsjubiläum in den (ehemals) mehrheitlich protestantischen Teilen Nord- und Mitteldeutschlands zu beobachten ist. Und in den "neubayerischen" Gebieten des Freistaats gibt es zwar zahlreiche historische Referenzpunkte für die lutherische Bewegung. Man braucht nur an die schwäbischen und fränkischen Reichsstädte, an die Reichsritterschaft oder an Territorien wie Pfalz-Neuburg und die Hohenzollernfürstentümer (Ansbach, Kulmbach-Bayreuth) zu denken. Dennoch bleiben hier die Verhältnisse zu disparat, um sie auf einen gemeinsamen landesgeschichtlichen Nenner zu bringen - etwa analog zum Reformationsgeschehen in Württemberg, Sachsen oder Brandenburg.
Mit seinem lebensweltlichen Ansatz verlässt sich der Katalog auf ein ebenso bewährtes wie flexibles Präsentationsprinzip. Das trifft vor allem auf den Objektkommentar zu: Die Beschreibung der Exponate erfolgt auf sieben kategorialen Ebenen. Nach einem einführenden Abschnitt über die territoriale Umwelt und den größeren historischen Rahmen (117-136) wendet sich die Betrachtung unter den Leitbegriffen "Leben auf dem Land - Leben in der Stadt" (137-178) sowie "Ritter, Tod und Teufel" (179-232) dem sozial- und mentalitätsgeschichtlichen Kontext zu. Der etwas erratische Titel "Bewahren und Verteidigen" (233-326) zielt auf die Biografie einzelner Reformatoren ab. Jene Lebensphasen Martin Luthers, die mit seinem zeitweiligen Zufluchtsort Coburg im Zusammenhang stehen, sind in den Vordergrund gerückt. Die beiden letzten Kapitel nehmen die lokalen Ereignisräume in den Blick: die "Lutherveste" (327-344) und die Morizkirche (345-367) in Coburg.
Die Fokussierung auf das heute oberfränkische, einstmals sächsisch-wettinische Coburger Kolorit ist also kaum zu übersehen. Dennoch wäre es falsch, den Band allein als lokalgeschichtliche Bestandsaufnahme zur Hand zu nehmen. Die Themen- und Objektauswahl ist breit angelegt; sie steht in interregionaler und konfessionsübergreifender Perspektive. Um nur einzelne Beispiele herauszugreifen: Das Prinzip der Augsburger Parität ist berücksichtigt, nicht weniger die Rolle Münchens als katholischer Gegenpol ("Roma secunda"). Der aufmerksame Betrachter (und Leser) kann sich über die ausgiebig dokumentierte Kontroverspublizistik auf protestantischer wie katholischer Seite informieren, womit die Ausstellungskonzeption Erkenntnisse der jüngeren mediengeschichtlichen Forschung systematisch aufgreift. Besonders zu begrüßen ist, dass sich der Rezipient auch ein "plastisches" Bild von der konfessionellen Ausdifferenzierung des zeitgenössischen Kircheninterieurs machen kann. Die gerade in den evangelischen Territorien Frankens weit verbreiteten (insbesondere im Barock beliebten) Kanzelaltäre finden hier umfassend Beachtung. Die komplexen theologischen Unterschiede zwischen altkirchlichem und neugläubigem Sakramentsbegriff (vor allem bezüglich der Eucharistie) können so "augenfällig" hervortreten. Damit bietet sich eine wertvolle historische Orientierungshilfe - insbesondere für ein modernes Publikum, das mit der ökumenischen "Einebnung" der konfessionellen Unterschiede seit den 1960er-Jahren aufgewachsen ist.
Während der voluminöse Katalogteil das phänomenologische Interesse anreizt, setzt der wesentlich kleinere Aufsatzteil auf programmatische Querschnitte und Einzelansichten. Man kann hier zu (mehr oder minder skeptischen) Deutungsversuchen der Reformation als Moment menschlicher Autonomiegeschichte fündig werden, so etwa bei Anselm Schubert oder Thomas Laubach. Man kann aber auch zwischen Detailstudien und Synthesen auswählen. Für das erste Genre wäre auf eindringliche Beobachtungen zur lutherischen Frömmigkeitspraxis (Hartmut Kühne), zu Liturgie und Sachkultur in Franken (Andrea K. Thurnwald) oder zur konfessionellen Intention heraldischer Freskenprogramme (Karl Möseneder) zu verweisen. Das zweite Genre ist mit Sondierungen zum reformationszeitlichen Kunstmarkt (Andreas Tacke), zur konfessionsgeschichtlichen Entwicklung im Herzogtum Bayern (Dieter J. Weiß) oder im Hochstift Bamberg (Günter Dippold) vertreten.
Gewiss lassen sich in diesem Panorama Lücken entdecken; der Vorwurf des Rhapsodischen ist nicht immer von der Hand zu weisen. Dennoch würde eine solche Kritik am Grundzweck der Publikation vorbeigehen. Die Aufgabe dieses Ausstellungskatalogs ist es zu zeigen, zu vermitteln, zu erklären - seinem Format ganz gemäß. Das ist ihm hervorragend gelungen. Hier öffnet sich ein repräsentativer Ausblick auf die Ereignis- und Objektwelt der Reformation im heutigen Bayern. In der Publikationsflut zum Reformationsjubiläum kann der Band daher seinen spezifischen Platz beanspruchen.
Rainald Becker