Rezension über:

Randall B. Smith: Reading the Sermons of Thomas Aquinas. A Beginner’s Guide, Steubenville: Emmaus Academic 2016, XXXIV + 342 S., ISBN 978-1-941447-97-0, USD 44,95
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Rezension von:
Ralf Lützelschwab
Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fischer
Empfohlene Zitierweise:
Ralf Lützelschwab: Rezension von: Randall B. Smith: Reading the Sermons of Thomas Aquinas. A Beginner’s Guide, Steubenville: Emmaus Academic 2016, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 12 [15.12.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
/2018/12/31105.html


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Randall B. Smith: Reading the Sermons of Thomas Aquinas

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Thomas Charland, der 1936 eine äußerst wirkmächtige Geschichte der mittelalterlichen Predigtlehren vorlegte, hielt mit seiner Meinung über die sich seit dem 13. Jahrhundert entfaltende neue Form der Predigt (sermo modernus) nicht hinter dem Berg: "Il fallait savoir prodigieusement pour prêcher si mal". [1] Mit Blick auf den Protagonisten der vorliegenden Monographie dürfte sich wohl niemand finden, der ernsthaft Zweifel an seinem immensen Wissen anmelden könnte. Und nach der Lektüre von knapp 200 Seiten Text dürften die Verächter seines Predigtstils ihre bisherige Meinung zumindest überdenken. Die Rede ist von einem der intellektuellen Superstars des 13. Jahrhunderts, dem Dominikaner Thomas von Aquin (†1274). Zu seinen Aufgaben als Magister an der Universität Paris gehörte neben gelehrtem Disputieren auch das Predigen. Und darin brachte er es wohl zu einiger Meisterschaft - einer Meisterschaft, die (glaubt man Zeitgenossen wie Guillelmus de Tocco oder Bernard Gui) darin bestand, nicht nur Gelehrte, sondern auch das einfache Volk anzusprechen. Späterhin sorgte das "Namens-Branding" dafür, dass eine Vielzahl von Predigten Thomas von Aquin zugeschrieben wurde. Erst mit dem Erscheinen der kritischen Edition seiner Predigten im Rahmen der Editio Leonina der Opera omnia wurde deutlich, zu welch grotesken Verzerrungen diese Zuschreibungen im Laufe der Jahrhunderte geführt hatten. Louis Bataillon (†2009), der hochgelehrte Dominikaner und zuständige Editor, beseitigte im Laufe jahrzehntelanger Kärrnerarbeit den Wildwuchs und reduzierte die Anzahl der sicher Thomas zugeschriebenen Predigten auf einen Bruchteil des bisher bekannten Bestandes, genauer: auf 23 Sermones. [2] Dies stieß innerhalb der Forschungen zum Aquinaten nicht überall auf rückhaltlose Begeisterung.

Randall Smith geht es nun darum, sich den Predigten "with a particular and cultural sensitivity and, thus, with greater understanding and a deepened appreciation for the message they were crafted to communicate" (xxi) anzunähern. Dieses Ansinnen ist aller Ehren wert - und deshalb wird zunächst breit kontextualisiert und in die Spezifika der im 13. Jahrhundert neu entstehenden Form des sermo modernus eingeführt. Die Kapitel 2-4 tragen unter Rückgriff auf zeitgenössische Predigtlehren diesem Ansinnen Rechnung (II. Thomas Aquinas and the Sermo Modernus; III. Divisio: Approaches to Dividing the Opening Thema; IV. Dilatatio: Methods of "Unfolding" a Sermon). Dem avisierten Zielpublikum ("A Beginner's Guide") wird mittels einer grundsätzlichen Beschäftigung mit der Predigttheorie vor Augen geführt, wie sich auf deren Grundlage nicht nur die Predigten des Thomas von Aquin, sondern "of pretty much any other preacher" (xxiii) von 1250-1300 leichter durchdringen lassen.

Und auch dies sei angemerkt: nicht nur "Anfänger" profitieren von der Lektüre. Besonders eindrücklich geraten diejenigen Seiten, auf denen Smith beschreibt, wie Thomas das Predigtthema eben nicht zum Ausgangspunkt einer theologischen Exegese macht, die sich ausschließlich auf die zitierten Predigtverse bezieht, sondern darin vielmehr eine "mnemonic structuring device" (2) sieht. Mit anderen Worten: das Thema wird nur in den seltensten Fällen erschöpfend ausgedeutet, sondern fungiert als strukturierendes Element, das es dem Leser sehr viel leichter ermöglicht, sich an Predigtinhalte zu erinnern. Dem spezifisch mittelalterlichen Umgang mit der memoria widmet Smith einen lesenswerten Abschnitt, nach dessen Lektüre es wohl vielen Verächtern mittelalterlicher Predigt nicht mehr ganz leicht sein dürfte, die zugegebenermaßen gewöhnungsbedürftige Struktur vieler Sermones als wucherndes Zufallsprodukt abzutun.

Smith führt knapp durch die einzelnen Strukturelemente, die einen sermo modernus charakterisieren, vom Thema, über das Prothema (14 von 20 Sermones des Aquinaten verfügen über ein solches) und der declaratio thematis bis hin zur divisio und dilatatio.

Und auch hier wird deutlich, dass weder divisio noch dilatatio Produkte des Zufalls sind oder - noch schlimmer - einer ungezügelten Phantasie des Predigers entspringen, sondern im Gegenteil (auf der Grundlage der in den Predigtlehren vorgegebenen Methoden) Resultat bewussten Räsonierens sind. Eher theoretisch wird hierbei zunächst auf die Predigtlehren des Bonaventura (Ars concionandi) und Robert of Basevorn (Forma praedicandi) verwiesen, um das Ganze dann an konkreten Predigten aus der Feder des Thomas von Aquin zu exemplifizieren.

Um die grundlegende Systematik noch weiter zu entschlüsseln, vergleicht Smith die Unterteilung bzw. Strukturierung (divisio) ein und desselben Bibelverses (Homo quidam fecit cenam magnam et vocavit multos). Mit Blick auf den Aquinaten wird dabei deutlich, wie ein "complex interweaving of themes and sub-themes" (92) funktionieren kann. Um hier in der Sprache der Musik zu sprechen: während Predigtanfänger höchstens darauf hoffen konnten, sich im Äquivalent eines dreistimmigen Cantionalsatzes zu beweisen, entwarf Thomas dichte polyphone Kompositionen.

Erstaunlich ist die herausragende Stellung, die in vorliegender Monographie die Arbeit von Charles Smyth spielt [3], der 1940 sicherlich ein brauchbares Grundlagenwerk zur Geschichte der Predigt geschaffen hat, über das jedoch inzwischen Jahrzehnte intensiver Forschungstätigkeit hinweggegangen sind. Smith setzt sich mit den positiven, vor allem aber den negativen Wertungen des sermo modernus durch Smyth auseinander. Dieser hatte sich vor allem am oberflächlichen und rein formalen Gebrauch der Bibel, am "proof-texting" (d. h. der Aneinanderreihung von Autoritäten), den Syllogismen und logischen minutiae aus divisiones und distinctiones gestoßen. Smith zeigt, dass all dies Bestandteil mittelalterlicher Predigten sein konnte und auch die Meister ihres Fachs - dazu gehörte Thomas - durchaus darauf zurückgriffen. Sie brachten es in der Verbindung der einzelnen Elemente aber zu einer solchen Meisterschaft, dass das, was isoliert zum Ärgernis bald auch Teil eines in sich stimmigen, organischen Ganzen werden konnte. Das Predigtpublikum mit seinem Verlangen nach der neuen Predigtform war anspruchsvoll: "It was a taste they developed, not an order of healthy vegetable puree forced down their throats every Sunday." (210)

Wer sich unsicher ist, ob das, was auf 200, sorgfältig lektorierten Seiten entfaltet wird [4], wirklich nützt, möge auf die knappe Zusammenfassung (218-225) zurückgreifen, die sich als konzise Rekapitulation des zuvor Gesagten versteht. Kommt man nach dieser Lektüre zu dem Schluss, der Band könne wertvolle Informationen enthalten, sollte man (um den Ertrag noch zu steigern) parallel aber zu zwei weiteren Büchern greifen: der Edition der lateinischen Predigten und einer der neueren Übersetzungen. Derart gewappnet erschließt sich der Inhalt von Smiths Buch sehr viel bequemer.

Im fast 100 Seiten umfassenden Appendix I (229-325) bietet Smith eine schematische Inhaltsangabe und (zumindest in Ansätzen) -analyse von 21 Predigten. Ein zweiter Appendix listet die Predigten, den jeweiligen Anlass und die diesen Sonntagen im dominikanischen Lektionar zugeordneten Epistel- und Evangelienlesungen mit der Angabe an, ob Thomas dabei den liturgischen Vorgaben folgt. In der "Selected Bibliography" am Ende des Bandes wurde das Adjektiv "selected" außerordentlich stark gewichtet, findet sich dort doch fast ausschließlich Englischsprachiges - die wenigen französischen Titel bestätigen nur diesen Befund. Misstraut man den Sprachkenntnissen der im Haupttitel aufscheinenden "Beginners" derart stark?

Smith demonstriert in konstanter Rückbindung an die Predigten des Thomas von Aquin, wie sich im sermo modernus eine neue Form der Rhetorik manifestierte, die sich nicht mehr nur an der klassischen Tradition eines Cicero oder Quintilian orientierte. Die im Mittelalter gepflegte rhetorische Praxis hatte sowohl Anfang als auch Ende in der Heiligen Schrift und verfolgte das Ziel, den Gläubigen eine effektivere Aufnahme des Gotteswortes zu ermöglichen, um so besser zu leben: "I would argue that the medieval sermon style - as practiced by its best preachers - succeeds admirably in communicating clearly and, above all, memorably the basic elements of Christian faith." (213)


Anmerkungen:

[1] Thomas Charland: Artes praedicandi. Contribution à l'histoire de la rhétorique au Moyen Âge, Paris, Ottawa 1936, 224.

[2] Sancti Thomae de Aquino Opera Omnia, vol. 44.1, ed. Louis J. Bataillon, Rom 2014. Die Authentizität von zwei in der Edition mitaufgenommenen Predigten bleibt umstritten (sermo 10: Petite et accipietis; sermo 17: Lux orta est). Randall geht von 20 authentischen Sermones aus, vgl. xxvii.

[3] Charles Smyth: The Art of Preaching. A Practical Survey of Preaching in the Church of England, 747-1939, New York 1940.

[4] S. 38: promthemata : prothemata; S. 175: Tractatus de diversis materiis praedicalibus: Tractatus de diversis materiis praedicabilibus; S. 328: Das Thema von sermo 5 (Ecce rex tuus) ist Mt 21,5 und nicht Rom 21,5 entnommen.

Ralf Lützelschwab