Konstantinos Kapparis: Prostitution in the Ancient Greek World, Berlin: De Gruyter 2018, VIII + 501 S., ISBN 978-3-11-055675-9, EUR 77,95
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Mit seiner Monographie "Prostitution in the Ancient Greek World" legt K. Kapparis das Ergebnis seiner langjährigen Auseinandersetzung mit der Prostitution in der griechischen Antike vor. Bereits in der Einleitung betont er die Relevanz des Themas für die Gegenwart [1] und spricht sich für einen umsichtigen Umgang mit den Quellen aus.
Er greift dabei besonders auf antike Texte zurück, verweist jedoch auch auf Graffiti und Vasenbilder. In Bezug auf letztere rät er berechtigterweise zur Vorsicht: Sie ermöglichen im Grunde keine neuen Erkenntnisse zum Thema, ihre Interpretation verleitet jedoch in besonderem Maße zu einer Projektion eigener Vorstellungen in die Bilder (9).
Ein kurzer Abriss über die Forschungsgeschichte fasst die wichtigsten Meilensteine der kontroversen Diskussion zusammen. Umfassender wird sie dann später jeweils themenbezogen abgehandelt. Das Buch vermittelt sowohl einen chronologischen als auch einen thematischen Überblick über Prostitution in der griechischen Antike. Dadurch kommt es zwar in manchen Bereichen zu Wiederholungen bzw. Überlagerungen, die einzelnen Kapitel lassen sich auf diese Weise aber auch gut für sich stehend lesen.
Kapitel 1 geht den Ursprüngen der Prostitution in der Archaik nach, wobei sowohl die Lieddichtung als auch die Solon zugeschriebenen Gesetze thematisiert werden. Die Akteursperspektive der Dichter wird dabei in geringerem Maße berücksichtigt als dies später bei der ausführlichen und quellenkritischen Behandlung der Gerichtsreden (etwa in Kapitel 4) der Fall ist. Tatsächlich bleibt die Quellenlage zur Prostitution innerhalb der Archaik problematisch:
Der von Kapparis postulierte Nachweis der vollen Bandbreite organisierter Prostitution von "upper end Corinth" bis zu "billiger Straßenprostitution" (34) erscheint im Detail nicht immer überzeugend (was nicht heißen soll, dass es deshalb keine Prostitution gegeben haben muss). Durch die fragmentarische Überlieferung erschließen sich häufig aber weder die konkreten Absichten der Dichter noch lässt sich immer sicherstellen, dass tatsächlich Prostitution thematisiert wird. Das wird etwa bei der Beschreibung einer sich vornüberbeugenden Frau deutlich, die so gierig sauge wie ein Thraker oder ein Phryger an seiner Pfeife (Archilochos 42 West): Kapparis betrachtet die Stelle als einen der ersten Belege für organisierte Prostitution, sie ließe sich aber auch als derbe Beschimpfung verstehen.
Das Problem betrifft auch andere Stellen wie das enigmatisch bleibende Fragment 327 West. In dem jungen Mann, der Schwerter (oder vielmehr Eisen?) mag und ebenso gerne aufrechtstehend penetriert wird, erkennt Kapparis einen "billigen" Prostituierten (17-18), da das Eisen auf ein prämonetäres Zahlungsmittel verweise. Auch hier erscheint aber im Hinblick auf die kontroverse Diskussion von Obeloi, deren Gebrauch als Zahlungsmittel in der Archaik letztlich nach wie vor kaum nachzuweisen ist [2], Vorsicht angebracht.
Das 2. Kapitel setzt sich mit Aspekten wie der Erziehung, Schönheit und bestimmten Ausstattungsmerkmalen von SexarbeiterInnen auseinander, die bislang in besonderem Maße mit dem ab Herodot (Mitte des 5. Jhs.) für Prostituierte nachzuweisenden Begriff der "hetaira" assoziiert wurden (Kapparis folgt der häufig vollzogenen Trennung zwischen "hetaira" und "porne" aus guten Gründen nicht, differenziert aber durchaus unterschiedliche Karrieren und Betätigungsfelder). Nachfolgend wird in Kapitel 3 das Verhältnis von Prostituierten und ihren Kunden erörtert, bevor Hinweisen auf die rechtliche Stellung der Prostitution nachgegangen wird (Kapitel 4) - darunter auch Aspekten wie Gewalt und Missbrauch.
Eng an diese Fragen schließt das Folgekapitel 5 an, das sich mit der Ökonomie der Prostitution auseinandersetzt. Unter anderem werden dabei Themen wie die Bezahlung oder die Probleme der Nachweisbarkeit von konkreten Schauplätzen, etwa Bordellen, im archäologischen Befund erörtert. Anschließend kommen Monumente zur Sprache, die mit berühmten Prostituierten assoziiert wurden, darunter die Stiftung der Rhodopis in Delphi oder einige mit der Figur der Phryne verbundene Skulpturen des Praxiteles.
Vor einer Zusammenfassung und einem kurzen Ausblick auf Prostitution in der hellenistischen und römischen Antike (Kapitel 7) werden schließlich noch die in diesem Zusammenhang vielfach angeführten Vasenbilder zur Diskussion gestellt. Auf eine Abbildung der besprochenen Darstellungen wurde leider verzichtet. Die Verortung der Argumente setzt daher eine sehr gute Kenntnis der Bilder oder die Zuhilfenahme zusätzlicher Bücher voraus. Kapparis steht zwar dem Versuch, Vasenbilder als Nachweis für Prostitution oder gar Abbildungen von Hetären zu betrachten, kritisch gegenüber. [3] Dennoch setzt er bei expliziten Darstellungen vielfach einen realen Kern voraus: So schließt er, dass Frauen, die in gewaltsame Sexszenen und/oder Orgien involviert sind, nichts anderes als Prostituierte darstellen könnten (349, siehe auch 325). Damit wird die Möglichkeit, dass diese Bilder gar nicht auf reale Kontexte Bezug nehmen, gänzlich ausgeblendet: Bewusste Überzeichnungen oder Verzerrungen und der Aufgriff fiktiver Verhaltensformen (etwa im Sinne von Karikaturen) sollten aber zumindest in Betracht gezogen werden.
Insgesamt legt Kapparis nicht nur eine beeindruckende Sammlung antiker Quellen und seine Interpretationen davon vor, sondern geht stets auch auf die Überlieferungssituation und wissenschaftliche Diskussion ein. Auf diese Weise stellt das sehr flüssig geschriebene Buch auch dann eine große Bereicherung dar, wenn man den angebotenen Schlüssen nicht ins letzte Detail folgen möchte.
Das Buch enthält zudem zwei Appendices - eine Prosopographie bekannter Prostituierter und eine Sammlung von obszönem Humor - sowie eine Auswahlbibliographie und Indices.
Anmerkungen:
[1] Vgl. dazu auch das offene Plädoyer für legale Prostitution im Blogeintrag K. Kapparis: Why Prostitution Should be Legal As in Ancient Greece, https://blog.degruyter.com/prostitution-legal-ancient-greece/ (27.10.18).
[2] Kapparis verweist hier besonders auf den Aufsatz M. Kostoglou: Iron and Steel Currency Bars in Ancient Greecee, Mediterranean Archaeology and Archaeometry 3 (2003), 63-68. Das ist insofern problematisch, als Kostoglou nur eine einzige Evidenz für einen unfertig ausgearbeiteten Spieß aufführt, der wohl für die Verhandlung und Weiterverarbeitung bestimmt war. Unter einem Verweis auf P. Haarer: Obeloi and Iron in Archaic Greece (Dissertation Oxford 2000), bes. 52-56. 79-104 kommt sie zu dem Schluss, dass sich diese Rolle für Obeloi aber nicht nachweisen lässt. Bei diesen handelte es sich daher wohl primär um Gebrauchsgegenstände im Zusammenhang mit dem (rituellen) Konsum von Fleisch (dazu unter anderem auch A. Furtwängler: Zur Deutung der Obeloi im Lichte samischer Neufunde, in: H. A. Cahn / E. Simon (Hgg.): Tainia. Festschrift Roland Hampe, Mainz 1980, 81-98. Auch beim später thematisierten (316-321), von Herodot beschriebenen Weihgeschenk der Rhodopis in Delphi ließen sich die Bratspieße plausibel in ihrem ursprünglichen Sinne und damit als Hinweis auf eine umfangreiche Stiftung von Opferfleisch erklären.
[3] Er stützt sich dabei besonders auf U. Kreilinger: Anständige Nacktheit. Körperpflege, Reinigungsriten und das Phänomen weiblicher Nacktheit im klassischen Athen, (= Tübinger Archäologische Forschungen; 2), Rahden 2003.
Veronika Sossau