Rezension über:

Steffi Brüning: Prostitution in der DDR. Eine Untersuchung am Beispiel Rostock, Berlin und Leipzig von 1968 bis 1989 (= Diktatur und Demokratie im 20. Jahrhundert; Bd. 7), Berlin: BeBra Verlag 2020, 319 S., ISBN 978-3-95410-217-4, EUR 28,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Michael Schwartz
Institut für Zeitgeschichte München - Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Dierk Hoffmann / Hermann Wentker im Auftrag der Redaktion der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte
Empfohlene Zitierweise:
Michael Schwartz: Rezension von: Steffi Brüning: Prostitution in der DDR. Eine Untersuchung am Beispiel Rostock, Berlin und Leipzig von 1968 bis 1989, Berlin: BeBra Verlag 2020, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 6 [15.06.2025], URL: https://www.sehepunkte.de
/2025/06/34869.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Steffi Brüning: Prostitution in der DDR

Textgröße: A A A

Das Thema ist spannend, doch wird es nicht umfassend aufgearbeitet. Steffi Brüning nimmt in ihrer historischen Studie zur Prostitution in der DDR vor allem den Zeitraum von 1968 bis 1989 in den Blick, während die Vorgeschichte nur sehr knapp behandelt wird. Zudem beschränkt sich diese Geschichte der Prostitution in der DDR auf heterosexuelle, von Frauen ausgeübte Prostitution. Die mannmännliche Prostitution im SED-Staat bleibt dadurch völlig ausgeblendet, obwohl sie bis 1968 sogar mit härteren Strafen bedroht war als die weibliche und weiterhin ebenfalls sanktioniert werden konnte. Weshalb die Fokussierung auf heterosexuelle weibliche Prostitution erfolgt, wird nicht begründet. Aus der von Brüning genutzten Definition ergibt sich das nicht: "Prostitution wird in dieser Arbeit definiert als das regelmäßige Anbieten und Ausüben sexueller Dienstleistungen gegen materielle Bezahlung." (20) Das entspricht dem DDR-Strafrecht von 1968 und hätte eigentlich einen umfassenden Blick gerechtfertigt.

Sieht man von diesen Beschränkungen im Zugriff einmal ab, bietet Brünings Studie auch gewichtige neue Erkenntnisse. Das hängt nicht zuletzt mit ihrer Methodenkombination zusammen. Als Quellen werden nicht nur Ressortüberlieferungen der DDR-Regierungszentrale genutzt (Inneres, Gesundheit, Justiz, Staatssicherheit), sondern auch die lokalen Bestände in der Hauptstadt Ost-Berlin, der Messestadt Leipzig und der Hafenstadt Rostock. Ergänzt werden die Schriftquellen durch vier lebensgeschichtliche Interviews mit Zeitzeuginnen, die die Betroffenenperspektive hinzufügen. Hinzu tritt ein Interview mit einem früheren Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS).

Im ersten Kapitel interessant sind die Beobachtungen über die Erziehung zur sexuellen Norm (38) anhand gängiger Ratgeberliteratur. Abweichungen von der Norm wurden zwar - anders als zuvor - nicht mehr moralisierend aufgeladen, aber weiterhin pathologisiert. Prostitution wurde konkret jedoch entweder gar nicht erst thematisiert oder aber normativ gebrandmarkt - als unvereinbar mit Würde und Gleichberechtigung der Frau, als Überrest kapitalistischer Tradition, als Ursache von Geschlechtskrankheiten - woraus dann der DDR-spezifische Begriff der "HwG-Personen" entstand (HwG = Häufig wechselnder Geschlechtsverkehr; 44). Gerade diese heterogene Gruppe sexueller Abweichlerinnen, unter denen Prostituierte nur eine Minderheit darstellten, wurde zur idealen Projektionsfläche für vermischte gesundheits-, gesellschafts- und strafrechtspolitische Ansätze, wie sie im 1961 geprägten DDR-Begriff der "dringend Krankheitsverdächtigen" (60) zutage traten. Das 1968 in Kraft gesetzte sozialistische Strafrecht der DDR definierte ausdrücklich "'Asozialität' als Straftat"; auch Prostituierte und "Zuhälter" fielen unter diesen Sammelbegriff, wobei die DDR deutliche Kontinuitäten zur NS-Diktatur im Vorgehen gegen soziale Randgruppen erkennen ließ. Hier folgt Brüning den wegweisenden Forschungsergebnissen von Sven Korzilius.

Entsprechend deutlich grenzt sie sich von allzu idyllischen Thesen von der DDR als "Schlaraffenland" für Prostituierte (Uta Falck) ab, denen schon Korzilius widersprochen hat. Denn auch wenn Prostitution keinen hohen Stellenwert in der Kriminalitätsbekämpfung des SED-Regimes gehabt habe und "quantitativ nur eine geringe Zahl von Prostituierten registriert" worden sei, sei doch "der psychische Druck" infolge der jederzeit möglichen Repression bei betroffenen Frauen hoch zu veranschlagen (85). Zugleich aber zeigt Brüning im zweiten Kapitel über Formen staatlicher "Erziehung und Kontrolle" deren begrenzte Wirksamkeit auf. Faktisch stuften die örtlichen Behörden in Ost-Berlin oder Rostock um 1970 nur sehr wenige Frauen als "Prostituierte" innerhalb eines größeren Kreises von "Gefährdeten" ein (124 f.). Mitte der 1970er Jahre stiegen die Zahlen der in den Fokus geratenden "Gefährdeten" zwar an, doch zugleich wurde deutlich, dass "Untertauchen" jede "lückenlose Erfassung" verhinderte - wie soziale Vernetzung in bestimmten Altbauvierteln auch das obrigkeitliche Bemühen um "Umerziehung" konterkarierte (127 f.). Brüning kommt zu dem Schluss, dass bis 1989 "die rechtlichen und ideologischen Vorgaben für die Kontrolle Abweichender innerhalb der lokalen Verwaltung" der DDR "insgesamt nur mangelhaft umgesetzt" worden seien. Hierfür seien Personalmangel und fehlende Qualifikation in den Innen-Abteilungen ebenso verantwortlich gewesen wie die mangelhafte Koordination mit anderen Institutionen und "die mangelnde Mitarbeit der "Gefährdeten" selbst". (130 f.)

Das Ausmaß der strafrechtlichen Verfolgung von Prostituierten in der DDR zwischen 1968 und 1989 bleibt im Dunkeln, da keine Statistiken geführt wurden. Brüning ermittelt nur wenige überlieferte Einzelfälle in den drei ausgewählten Großstädten. In Leipzig scheint die Volkspolizei auffällige Frauen weniger kriminalisiert als psychiatrisiert zu haben - durch Einweisung in eine geschlossene Anstalt. In Rostock unterschied die Polizei zwischen Duldung von Prostitution, wenn die auffälligen Frauen zusätzlich berufstätig waren, und zwischen einem harten Vorgehen gegen Nicht-berufstätige. Gelegentlich - wie anlässlich der Ost-Berliner Weltfestspiele 1973 - kam es zu massiven Repressionsaktionen, die sich gegen sogenannte Asoziale allgemein richteten, doch wiederum faktisch relativ wenige als Prostituierte eingestufte Frauen erfassten. Es ging eher um zeitweilige Eindämmung von Sichtbarkeit als um vollständige Repression.

Eine Sonderrolle im Bereich Prostitution spielte - so das dritte Kapitel - die Staatssicherheit als staatlicher Akteur, ging es ihr doch um Instrumentalisierung zu geheimdienstlichen Zwecken, nicht um Repression oder Umerziehung. Nach Auswertung einschlägiger MfS-Personalakten gelangt Brüning zu dem Schluss, dass die wenigsten Frauen, die zu einer Tätigkeit als Inoffizielle Mitarbeiterinnen (IM) bereit waren, dies aus Überzeugung getan hätten. Auch wenn Frauen zur Mitarbeit erpresst wurden, blieben die Relationen komplex: Entweder musste trotz Erpressung Vertrauen aufgebaut oder die Einschüchterung immer wieder auf die Spitze getrieben werden; beides sei offenbar nicht durchgehend gelungen. Die Prostituierten-IM dienten zur Überwachung des eigenen Milieus und als "Honigfallen" für westliche Ausländer. Quantitativ waren solche Fälle überschaubar - in Ost-Berlin gab es neun solche Personen, in Rostock hingegen 21. Die Zusammenarbeit endete aus unterschiedlichen Gründen, nicht selten durch Ausreise in den Westen, einmal aber auch durch Suizid. Anhand der untersuchten Fälle macht Brüning "deutlich, dass die geheimdienstliche Arbeit der Frauen vom MfS nicht vollständig planbar war". (220)

Schon im dritten Kapitel scheint auf, was im vierten systematisch thematisiert wird - Handlungsstrategien und Alltag von Prostituierten (232). Brüning betrachtet Prostituierte als eigenständige, durchaus eigensinnige Akteurinnen und verweist auf die Bedeutung ihrer sozialen Netzwerke für die Organisierung ihres Alltags. "Kontaktanbahnung" konnte an öffentlichen Treffpunkten stattfinden, vollzog sich aber ergänzend oder alternativ alsbald auch über nichtöffentliche Kommunikation (246). Gleichzeitig entwickelten sich Strukturen von Zuhälterei und Vermittlung (247), etwa durch Hotel- oder Restaurantpersonal. Auch die freiwillige "gegenseitige Vermittlung von Freiern" war nicht selten (248). Wohnungen - auch illegal genutzte - dienten als "Bordellersatz". (253) Die in der DDR-Gesellschaft florierende Aktfotografie - Ersatz für kaum vorhandene pornografische Medien - konnte als "Zuverdienst" genutzt werden (257). Wichtig erscheinen Brünings Beobachtungen zur Etablierung einer "abweichende[n] Kultur" (260) durch Prostituierte in der DDR-Gesellschaft, insbesondere durch demonstrativen "westliche[n] Lebensstil", der ihnen infolge ihrer Westkontakte möglich war. Dabei war das von Brüning analysierte soziale Milieu insgesamt allerdings überaus heterogen, es reichte "vom Interhotel zum Straßenstrich". (275)

Die Zusammenfassung bündelt die skizzierten Ergebnisse: Demnach konzentrierten staatliche Instanzen ihre Kontrollanstrengungen auf Frauen, woraus Brüning schließt, dass "die Norm der Monogamie" offenbar "insbesondere für DDR-Bürgerinnen" gegolten habe (297). Da sie - wie oben kritisch angemerkt - männliche Prostitution und den staatlichen Umgang damit aber systematisch ausgeblendet hat, ist diese Schlussfolgerung nur mit Einschränkungen zu akzeptieren. Tragfähiger ist die Beobachtung, dass die "disziplinierenden Akteure" vorrangig solche Frauen fokussiert hätten, "die in verschiedenen Bereichen von der Norm abwichen" und dadurch den gängigen Vorstellungen von "Asozialität" nahekamen, während Prostituierte, die gut gekleidet waren und einer Erwerbsarbeit nachgingen, sich "häufig unter dem Radar der staatlichen Behörden bewegen" konnten (298). Neben dem gut belegten Teilresultat, dass das MfS "in Bezug auf Prostitution nicht allmächtig" gewesen sei (299), ist der Blick auf die "eigen-sinnige" Akteurs-Eigenschaft der Prostituierten ein Pluspunkt von Brünings Arbeit: Denn dadurch werden "Handlungsstrategien" und Strukturbedingungen für den "Alltag von Prostituierten" in der DDR offengelegt (300 f.).

Michael Schwartz