Kim Phillips-Fein: Fear City. New York's Fiscal Crisis and the Rise of Austerity Politics, New York 2017, XII + 411 S., 12 s/w-Abb., ISBN 978-0-8050-9525-8, USD 32,00
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New York galt lange Zeit als Inbegriff des sozialreformerischen Amerika, das jedem seiner Einwohnerinnen und Einwohner unabhängig von Herkunft, Hautfarbe und Geschlecht den Zugang zu medizinischer Versorgung, bezahlbarem Wohnraum und kostenfreier Bildung ermöglichte. Mit der globalen "Finanzkrise" der 1970er Jahre erlebten die Stadt und mit ihr der Traum vom "New Deal Liberalism" eine tiefgreifende Erschütterung. In nur wenigen Jahren wurde New York zu einer Stadt, die heute "among the most unequal" (7) in den USA ist. Sinnbildlicher Ausdruck dieser Transformation ist der Trump Tower, dem 1980 ein in die Jahre gekommenes Kaufhaus weichen musste und der zugleich den Machtanspruch, das Distinktionsbedürfnis und den exklusiven Lebensstil einer in dieser Zeit emporgekommenen neuen globalen Elite symbolisiert. Hier, auf lokaler Ebene, praktizierten Donald Trump und seinesgleichen eine rassistische Ausgrenzungspolitik, die durch die Wahl Trumps zum Präsidenten 2016 eine neue nationale Dimension erlangt hat. Kim Phillips-Feins Buch Fear City erzählt von den lokalen Wurzeln dieser Entwicklung und leistet damit auch einen Beitrag zum Verständnis gegenwärtiger Konflikte in den USA.
Phillips-Fein macht diese Wurzeln in der "Finanzkrise" der 1970er Jahre aus. Sie sieht diese als "disorienting event[...]" (7), der die Machtverhältnisse zwischen der Stadt, dem Staat New York und der Zentralregierung in nur wenigen Jahren neu ordnete. Sichtbar werden diese Neuordnungsprozesse in den Budgetdebatten, deren Analyse den Kern der Arbeit bilden. Es ist dabei die große Stärke des lokalhistorischen Zugriffs, dass New Yorks Transformation nicht als einseitige Geschichte der Verdrängung "alter" durch "neue" Eliten geschrieben wird. Vielmehr wird deutlich, dass selbst Alt-Liberale wie der von 1974 bis 1977 amtierende demokratische Bürgermeister Abraham Beame zu Verteidigern der Austeritätspolitik wurden.
Bevor Beames Regierungszeit ausführlich beleuchtet wird, geht die Autorin intensiv auf vorgelagerte Entwicklungen ein, die sich Mitte der 1970er Jahre zu einem toxischen Gemisch vermengten. Die Durchsetzung der "New Right" innerhalb der Republikaner und ihr Eintreten für eine strikte Austeritätspolitik ist dabei nur eine Flanke. Auch die demokratischen Kommunalregierungen trugen ihren Teil bei. Im Glauben an den scheinbar in Stein gemeißelten Konsens zwischen den Mittel- und Kreditgebern der Stadt, die New York niemals fallen lassen würden, verschleppten sie politische Probleme, sahen der Abwanderung mittelständischer Unternehmen hilflos zu und ließen die Infrastruktur verfallen. Um die steigenden Sozialausgaben zu finanzieren, nahmen sie Kredite auf und bedienten sich kurzfristiger Anleihen. Mit dieser riskanten Politik sollte auch Druck auf übergeordnete Regierungsebenen ausgeübt werden, die rund 40 Prozent der städtischen Einnahmen verantworteten und über die Genehmigung neuer Steuern entschieden. New York, so Phillips-Fein prononciert, "was constantly overestimating its revenues and underestimating its obligations" (64).
Bereits Mitte der 1960er Jahre organisierten sich lokale Wirtschaftseliten, um für ein "neues" New York zu werben, dessen Stadtzentrum ein Konzentrationspunkt von (Finanz-)Dienstleistungen, Tourismus und Entertainment werden sollte. Zudem drohten sie mit dem Weggang aus New York, würde die Stadt neue Steuern erheben. An die Spitze des Weißen Hauses und auch des Staates New York gelangten seit Ende der 1960er Jahre dezidierte Gegner des linksliberalen Großprojektes der Johnson-Ära, der "Great Society", wobei Parteizugehörigkeiten hierbei immer weniger eine Rolle spielten. Bereits Präsident Richard Nixon knüpfte finanzielle Zuweisungen stärker an die Verbrechensbekämpfung. Auch Nixons Nachfolger Gerald Ford, obgleich nicht als ideologischer Hardliner unter den Republikanern geltend, sprach sich für eine striktere Sparpolitik als Bedingung für staatliche Hilfen aus, genauso wie der im November des Jahres gewählte Gouverneur des Staates New York, der Demokrat Hugh Carey. Hierbei wirkte die Watergate-Affäre verstärkend. Die Deregulierung des internationalen Finanzmarktes eröffnete schließlich den Banken neue und attraktivere Renditemöglichkeiten. Sie verloren bald das Interesse an den städtischen Bonds, die ohnehin zunehmend als zu risikobehaftet erschienen. In diesem politischen Klima sorgten sich vor allem die städtischen Rechnungsprüfer um die Handlungsfähigkeit der Stadt, wenn diese ihre Zahlungsunfähigkeit erklären müsse. Keine neoliberalen Ideologeme, sondern das Schreckgespenst der "bankruptcy" prägte seither die öffentlichen wie internen Debatten.
Dies veränderte die politische Kultur in New York und den USA nachhaltig. Die globalen Krisen der 1970er Jahre wirkten dabei als Verstärker der lokalen Konflikte. Für Bürgermeister Beame ging es in erster Linie um den Erhalt von Handlungsmacht und die Rückgewinnung von Vertrauen gegenüber Öffentlichkeit und Mittelgebern. Dies rechtfertigte letztlich Budgetkürzungen, die Entlassung städtischer Angestellter, die Schließung öffentlicher Einrichtungen und die Zustimmung zur Schaffung von Kontrollgremien, die nicht nur die städtische Haushaltspolitik bestimmten, sondern bald auch die Transformation New Yorks zu einer investorenfreundlichen Stadt einläuteten. Im Gegenzug gingen auch Carey und Ford Kompromisse ein, um den Bankrott abzuwenden. Selbst die anfangs kompromisslos auftretenden städtischen Gewerkschaften schwenkten bald auf diese Linie ein. Die Vertreter der "Great Society" bereiteten damit ihren Nachfolgern den Boden, in deren Vorstellungen New York zu einem "haven for entrepreneurs" (288) werden sollte. "[T]he threat of bankruptcy and its unknown consequences", so das Fazit, "could be used to make people do all kinds of things they had earlier insisted were completely out of question" (176).
Die Verlierer dieser Politik nahmen ihr Schicksal jedoch nicht klanglos hin. Vor allem in ärmeren, migrantisch geprägten Vierteln und unter den städtischen Angestellten kam es zu Ausschreitungen, deren lokale Bedingungen ebenso ausführlich entfaltet werden wie die Wahrnehmungswelten ihrer Akteure. Jedoch fällt Phillips-Feins Urteil am Ende gespalten aus. Auf der einen Seite steht eine starke Polarisierung zwischen Arm und Reich, auf der anderen Seite konnten auch die neuen Finanz- und Wirtschaftseliten nicht an gewachsenen Strukturen und Mentalitäten der "Great Society" vorbei, sondern mussten deren Persistenz akzeptieren. Die Verklärung des "alten" New York ist noch heute ein wirkmächtiger Faktor sozialer Mobilisierung.
Kim Phillips-Fein hat ein anregendes Buch auf der Basis einer beeindruckenden Materialfülle geschrieben. Ihr gelingt es, das schwer zu überblickende Geflecht von Akteuren zu entwirren und die verschiedenen Wahrnehmungen, vor deren Hintergrund diese ihre Handlungsmöglichkeiten ausloteten, miteinander in Beziehung zu setzen. Einzuwenden bliebe allenfalls, dass die Studie letztlich einer recht traditionellen politikgeschichtlichen Betrachtungsweise folgt, was an einigen Stellen Engführungen bedingt. So hätte die sprachliche Dimension der Transformation noch systematischer untersucht werden können. Akteure wie Ratingagenturen werden eher außerhalb des politischen Spektrums verortet und nur am Rande gewürdigt. Auch ist die implizite Gleichsetzung von Konservatismus und "New Right" vor dem Hintergrund neuerer kulturgeschichtlicher Forschungen zum Konservatismus zu hinterfragen. Diese Einwände sind aber Petitessen und sollen nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier ein innovatives Buch vorliegt, das mustergültig zeigt, wie eng globale und lokale Prozesse miteinander verflochten waren. Völlig zu Recht hat es Fear City auf die finale Liste des renommierten Pulitzer-Preises geschafft.
Christian Rau