Bruno Laurioux / Agostino Paravicini Bagliani / Eva Pibiri: Le Banquet. Manger, boire et parler ensemble (XIIe-XVIIe siècles) (= Micrologus Library; 91), Firenze: SISMEL. Edizioni del Galluzzo 2018, XVI + 341 S., zahlr. s/w-Abb., ISBN 978-88-8450-871-3, EUR 65,00
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Eva Pibiri / Fanny Abbott (éds.): Féminité et Masculinité altérées. Transgression et Inversion des Genres au Moyen Âge, Firenze: SISMEL. Edizioni del Galluzzo 2016
Bisher hat sich die kulturhistorische Forschung überwiegend bloß mit der materiellen Seite des Festessens beschäftigt, Rezepte ausgegraben, die Festveranstaltungen in den Blick genommen oder speziell die musikalische Seite von solchen Festen betrachtet. Man darf aber nicht, wie die Beiträger zu diesem Buch sorgfältig betonen, die konkreten performativen Aspekte des Essens und Trinkens vernachlässigen, womit einerseits die formalen, andererseits die physischen Komponenten einer solchen Veranstaltung berücksichtigt werden müssen. Auch die Terminologie kommt hier zur Sprache, denn das Bankett ist nicht einfach ein Synonym für ein Fest (festin). Sehr viel kommt auf die spezifischen Bedingungen an, wie sie sich uns aus den einschlägigen Dokumenten erschließen. Der vorliegende Band hat sich also zum Ziel gesetzt, die Welt des festlichen Essens und Trinkens vom Mittelalter bis zum Barock durch Einzelstudien sozialhistorisch in den Griff zu bekommen.
Das Buch umfasst zwölf Aufsätze, die meisten auf Französisch, aber einer auf Englisch (Benjamin Müsegades) und einer auf Italienisch (Antonella Campanini). Für diejenigen, die sprachliche Schwierigkeiten haben, sind stets kurze Abstracts auf Englisch angefügt, die recht unterschiedlich im Umfang gestaltet sind. Zum Schluss folgen noch ein Index mit Personen- und Ortsnamen und ein Index der zitierten Handschriften. Das thematische Spektrum erstreckt sich, wie schon der Titel anzeigt, vom zwölften bis zum siebzehnten Jahrhundert, und den Herausgebern ist es gelungen, ein thematisch solides Bündel zusammenzustellen und tief in vorhandenes Quellenmaterial zu greifen. Vorausschauend wäre aber zugleich festzuhalten, dass die vorgestellten Ergebnisse oftmals recht parallel ausschauen, denn das Fest ist immer schon, und dies in praktisch allen Kulturen, intim mit Essen, Trinken, Musik, Festkleidung und Unterhaltung verbunden und hat also stets eine performative, ja politische Funktion innegehabt. Die Beiträge gewähren somit wichtige Einblicke in kulturelle Veranstaltungen an verschiedenen Höfen Europas vom hohen Mittelalter bis zur Barockzeit, aber die Unterschiede, speziellen Anliegen, Strategien und Intentionen kommen dabei nicht so recht zur Sprache.
Agostino Paravicini Bagliani präsentiert z.B. die Ausrichtung von päpstlichen Festveranstaltungen vom 11. bis zum 13. Jahrhundert, was teilweise dem chronologischen Rahmen des Bandes widerspricht, im Wesen aber nicht viel an den Resultaten verändert, handelte es sich ja stets um wichtige Zeremonien öffentlicher Art. Auf Banketten kommt es sehr leicht zur Überschreitung des Normalmaßes, denn die Fülle der Gerichte verleitet zur Gefräßigkeit, was satirische Literatur schon immer gerne aufgegriffen hat, wie uns Jean-Claude Mühlethaler anhand der Satiren von Raoul de Houdenc in seinem Werk Le Songe d'enfer, dann des Roman de Fauvel von Gervais du Bus oder auch der Condamnation de Banquet und vieler anderer Texte vor Augen führt.
Nicolas Bock geht auf die politische Dimension von Festessen am Hof der Anjou in Neapel anhand visueller Quellen ein: behandelt werden das Grabmonument der Königin Sancia von Mallorca, Frau von Robert dem Weisen, und die Ritterstatuen, abgebildet in der Handschrift, die den "Knotenorden" darstellt, also im Ordre des Chevaliers du Saint-Esprit au Droit Désir, kurz Ordre du Nœud. Es geht Bock vor allem um das Arrangement der Tafelordnung, was ja bis zum heutigen Tag eine höchst politische Angelegenheit darstellt.
Selbst wenn vielfach solche Bankette keinen schriftlichen Niederschlag gefunden haben, gibt es doch bemerkenswerte Ausnahmen, wie dasjenige, das der französische König Karl V. zu Ehren des deutschen Kaiser Karls IV. am 6. Januar 1378 ausrichtete. Bruno Laurioux diskutiert daher in seinem Aufsatz die breite Fülle an einschlägigen Texten, die uns einen guten Eindruck von diesem Ereignis vermitteln und klares Licht darauf werfen, wie man auf höchster Ebene um den politischen Einfluss rang, der durch solch ein Bankett strategisch gesteuert werden konnte.
Für die Humanisten erwies sich das Festessen als eine ideale Gelegenheit, Reden zu entwerfen und die kulinarische Gemeinschaft zu feiern, wie uns Cécile Caby darlegt. Sie greift u.a. auf die Reden des Girolamo Aliotti, des Leon Battista Alberti, Paolo Toscanelli, Bartolomeo Zabarella, Girolamo da Ronco und vieler anderer zurück und kann damit eine eigenständige literarische Gattung identifizieren. Welche Rolle das Festessen am Hof von Philipp dem Guten, Herzog von Burgund, spielte, das von Philippe de Commynes ausführlich beschrieben wurde, illustriert der Aufsatz von Yann Morel, der auch auf kritische Stimmen wie diejenige des Nicolas de La Chesnaye eingeht.
Von hier wandert der Blick ins Deutsche Reich, wo natürlich, wie uns Benjamin Müsegades informiert, an den verschiedenen Höfen (Marburg, Henneberg, Cleve, Braunschweig-Lüneburg, Urach, Amberg etc.) Bankette ebenfalls eine wichtige politische Rolle spielten, was freilich keineswegs überraschend wirkt, vor allem wenn eine Hochzeit gefeiert wurde (Landsberg). Thalia Brero widmet sich der Situation am Hof von Savoyen und geht speziell auf die dort aufgeführten Morisken- und Mummentänze ein. Antonella Campanini berücksichtigt Adelsfeste an Höfen in Norditalien, insbesondere in Bologna im Jahre 1487 anlässlich einer großen Hochzeit von Annibale Bentivoglio (dem späteren Annibale II.) mit Lucrezia d'Este, die detailliert von Cherubino Ghirardacci beschrieben wurde.
Als sehr ungewöhnlich erweist sich das Thema von François Quiviger, der die Frage verfolgt, wie Tischtücher oder speziell Servietten für Festessen vom 16. bis 17. Jahrhundert gefaltet wurden, was eine besondere Kunstform ausmachte, die ihren Niederschlag auch in relevanten textlichen und visuellen Beschreibungen gefunden hat. Er konzentriert sich hier auf die Renaissance, aber damit ergeben sich sofort Fragen danach, inwieweit sich mittelalterliche Traditionen nachweisen lassen, oder welche Formen diese Faltkunst im Barock und darüber hinaus angenommen hat. Schließlich sieht dies heute kaum anders aus, wenn eine festliche Tafel vorbereitet wird.
Zuletzt beschäftigt sich Florent Quellier mit der Musik, die solche Bankette im 17. Jahrhundert begleitete, was uns sofort darauf neugierig macht, wie die einschlägige Situation im Mittelalter oder im 18. Jahrhundert ausgesehen haben mag. Dazu liegt fraglos eine Fülle an musikwissenschaftlicher Forschung vor (etwa zu Innsbruck), die hier aber nicht adäquat konsultiert wird. Weiterhin bezieht er den gesamten auditiven Raum mit ein, der ein solches Festessen begleitete, wozu eben auch Reden, Gespräche, Rufe, das Klappern des Geschirrs und die Geräusche des Bestecks etc. gehörten. Hier bieten sich viele weitere Untersuchungen an, was auch auf die anderen Beiträge zutrifft, die jeweils für sich genommen ausgezeichnete Erkenntnisse liefern, uns aber metaphorisch hungrig auf weitere Ausblicke und Quellen machen, die das Thema erheblich ausweiten dürften.
Grundsätzlich freut man sich über diesen Band, der alltagsgeschichtlich ausgesprochen relevant ist und eine Menge an bisher nicht beachteten Materialien in die Betrachtung einbezieht. Trotzdem verdient festgehalten zu werden, dass relativ wenig innovative Einsichten geliefert werden, denn zu allen Zeiten wurden solche Festessen als Zeremonien gestaltet und von Musik, prächtigem Service, viel Dienerschaft, Tänzen und eleganter Kleidung begleitet. Die Einleitung hätte also etwas breiter ausgreifen und die genuin kulturhistorischen Bedingungen jener Epoche spezieller berücksichtigen können. Hilfreich wäre es auch gewesen, wenn die konkreten Gerichte und Getränke stärker zur Sprache gekommen wären. Aber all dies sind Themen für zukünftige Forschungen, und die Beiträger zu diesem Band haben gute Grundlagen dafür geschaffen.
Albrecht Classen