Jill Bepler / Svante Norrhem (eds.): Telling Objects. Contextualizing the role of the consort in early modern Europe (= Wolfenbütteler Forschungen; Bd. 153), Wiesbaden: Harrassowitz 2018, 269 S., 60 Farb-, 18 s/w-Abb., ISBN 978-3-447-10935-2, EUR 68,00
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Was verbindet über Europa verstreute Porträts der englischen Königin Anne mit einer Sammlung englischer Bücher der Kurfürstin Sophie von Hannover im Bestand der Gottfried Wilhelm Leibniz-Bibliothek oder gar modischen Vorlieben einer Medici-Großherzogin? Was hat über Museen in aller Welt verstreutes Meißner Porzellan mit einer Devotionalie aus der Schatzkammer der Kathedrale Notre-Dame in Paris oder mit einem Goldenen Horn aus dem Dresdner Grünen Gewölbe gemeinsam? Was teilen ein Kräuterbuch aus der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek und ein zur königlichen Sammlung in Schloss Amalienburg gehörendes 'Überraschungsei', das sich als Vorbild für das berühmte Fabergé-Ei entpuppt, sowie eine prunkvolle Hochzeitskutsche aus dem portugiesischen Museu Nacional dos Coches? Nach Lektüre des von Jill Bepler und Svante Norrhem herausgegebenen Sammelbandes "Telling Objects" ahnt man zumindest: Es schlummert in ihnen allen reichlich Erkenntnispotential für den Beitrag fürstlicher Gemahlinnen zum Kulturtransfer im Europa der Frühen Neuzeit.
Die Frauen der höfischen Gesellschaft - und allen voran jene auf der obersten Sprosse der sozialen Hierarchie - ziehen schon seit geraumer Zeit das wissenschaftliche Interesse auf sich. Im Speziellen beschäftigte sich zwischen 2013 und 2016 ein "Marrying Cultures" betiteltes Forschungsprojekt mit der Rolle von fürstlichen Gemahlinnen als Vermittlerinnen, Werkzeuge und Katalysatoren für den Kulturaustausch zwischen frühneuzeitlichen Höfen. In den Blick genommen wurden dabei eher wenig beachtete Dynastien aus Nord- und Osteuropa sowie Portugal. [1]
Dem Umgang von Museen mit Sammlungsgut, das im Zusammenhang mit dem Leben fürstlicher Gemahlinnen steht, widmete sich im Rahmen dieses Projekts der Workshop "The Lasting Effects of Early Modern Cultural Encounters". [2] Bei dem nun vorliegenden Sammelband handelt es sich jedoch nicht um eine Verschriftlichung der dort gehaltenen Referate. Vielmehr bündelt er Fallbeispiele, die generelle Muster des Kulturtransfers, an denen fürstliche Gemahlinnen beteiligt waren, erhellen sollen (10).
Nicht von ungefähr haben die Herausgeber/innen den Titel "Telling Objects" gewählt. Dieser ist einem anregenden und häufig rezipierten Aufsatz der Kulturtheoretikerin Mieke Bal aus dem Jahr 1994 entlehnt. Der Ansatz des "material turn" (für den neben Bal hier noch explizit Igor Kopytoff mit seinem Terminus "Objektbiographie" steht) ist der methodische rote Faden, den die Herausgeber/innen für die Lektüre an die Hand geben. Auch lenken sie in ihrer Einleitung, von der anthropologischen Forschung inspiriert, die Aufmerksamkeit auf die Kultur des Schenkens und das damit verbundene soziale Handeln.
Für die insgesamt elf Beiträge zeichnen Autorinnen und Autoren unterschiedlicher Fachrichtungen verantwortlich, die an Forschungseinrichtungen, Museen und Bibliotheken in Deutschland, Großbritannien, Italien, Polen und Portugal, aber auch in Australien und den USA wirken.
Als eher wenig aussagekräftiges Gliederungsgerüst dienen die Eigenschaften der Objekte. Den Kapiteln "Genres and Materials", "Individual Objects Transformed" sowie "Gift Culture" ist ein einführender Abschnitt "Cultural Transfer and Exchange" mit zwei mehr theoretisch-methodischen Beiträgen vorangestellt.
Im ersten Beitrag skizziert Volker Bauer die Bedeutung des höfischen Kulturtransfers entlang von "W-Fragen" ("Was", "warum", "wie" wurde ausgetauscht) und anhand grundlegender Literatur zum Wettbewerb zwischen den frühneuzeitlichen Höfen. Auf einen an den Universitäten Münster und Konstanz entwickelten Ansatz bezugnehmend stellt Bauer diesen Kulturaustausch als eine Form der für die Hofgesellschaft spezifischen und konstitutiven Kommunikation vor. Allerdings fokussiert sich der mit dem Sujet bestens vertraute Autor auf die im Kontext des Sammelbands 'randständigen' Höfe des Heiligen Römischen Reichs. Auch verliert er die "selbstverständlich" als Agentinnen des höfischen Kulturaustausches wichtigen Fürstinnen (20) leider weitgehend aus den Augen.
In einem zweiten Einführungsbeitrag streicht Almut Bues den Quellenwert von Inventaren heraus. Eine nur scheinbar trocken-spröde Quellengattung, wie die Verfasserin am Beispiel der zahlreichen Verzeichnisse zeigt, die anlässlich von Heirat, Witwenschaft und Tod sowie von Erbschaften der nach Braunschweig-Wolfenbüttel verheirateten Jagiellonen-Prinzessin Zofia (1522-1575) angefertigt wurden. Almut Bues entlockt ihnen Informationen über die Provenienz und die 'Lebensgeschichte' von (auch verloren gegangenen) Objekten sowie über deren 'Migration' zwischen Kulturen. Nicht zuletzt zieht sie daraus Rückschlüsse auf soziale Strukturen und familiäre Beziehungen.
Wie hilfreich "klassische" Quellenarbeit für die Entschlüsselung von "telling objects" ist, wird auch in den folgenden Fallstudien deutlich. Beispielsweise hätte sich ohne einen schriftlichen Hinweis der dänischen Prinzessin Wilhelmine Marie (1808-1891) auf die Herkunft eines ihr gehörenden, kunstvoll gefertigten 'Überraschungseies' kaum dessen Geschichte als kostbares und absichtsvolles Geschenk der Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans an die aus dem Haus Brandenburg-Ansbach stammende britische Königin Caroline überliefert. Und ohne die überbordende Korrespondenz der "Liselotte von der Pfalz" wäre Joanna Marschner wohl nicht einem intensiven Kontakt zweier Fürstinnen auf die Spur gekommen, der mittels dieses Geschenks gefestigt wurde und politische Bande knüpfte.
Nicht zuletzt sei in diesem Zusammenhang auf den Beitrag von Katrin Keller hingewiesen. Er mäandriert von einem dem Kurfürsten August von Sachsen im Jahr 1563 gewidmeten Pflanzenbuch zu der sich in Briefen niederschlagenden Sammelleidenschaft der Kurfürstin Anna von Sachsen (1532-1585) und mündet in Einblicke in das Rollenverständnis eines fürstlichen "Arbeitspaares". Heide Wunders Erkenntnisse zu frühneuzeitlichen Geschlechtervorstellungen lassen hier grüßen.
Diese Rezension vermag die zahlreichen Facetten nur anzudeuten, die im vorliegenden Band bei der Entschlüsselung von Objektgeschichten über die Existenzbedingungen und Handlungsspielräume fürstlicher Gemahlinnen zutage treten. Als 'Propagandistinnen' fürstlichen Selbstverständnisses und dynastischen Anspruchs, als 'Netzwerkerinnen' und politische Akteurinnen oder als selbstbewusste Thronanwärterinnen stellen sie sich in der vorliegenden Publikation dar.
Zwar handelt ein Sammelband wie der vorliegende das vorgegebene Thema nicht umfassend ab, er regt aber dazu an, einen Methodentransfer zwischen den Wissenschaften zu wagen und damit die Rolle der fürstlichen Gemahlinnen in einem neuen Zusammenhang zu betrachten. Besonders aber gibt er Anstöße für eine zeitgemäße, der gesellschaftlichen und kulturellen Rolle der fürstlichen Gemahlinnen gerecht werdende Interpretation und Präsentation von musealem Sammlungsgut.
Anmerkungen:
[1] Vgl. die Homepage des aus Mitteln des europäischen Förderprogramms HERA (Humanities in the European Reserach Area) finanzierten Projekt unter http://www.marryingcultures.eu.
[2] Vgl. unter http://www.marryingcultures.eu/news/conference-report-lasting-effects-early-modern-cultural-encounters.
Sybille Oßwald-Bargende