Nils Fehlhaber: Netzwerke der "Achse Berlin - Rom". Die Zusammenarbeit faschistischer und nationalsozialistischer Führungseliten 1933-1943 (= Italien in der Moderne; Bd. 25), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2019, 343 S., 32 s/w-Abb., ISBN 978-3-412-51393-1, EUR 45,00
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Nein, das Schlaraffenland erwartet den Leser nicht. Wenn er den methodischen Grießbrei (fast 50 Seiten) aus Kulturgeschichte, Praxeologie, neuer Diplomatiegeschichte und altem Intentionalisten-Strukturalisten-Streit durchdrungen hat, stößt er aber auf eine nicht uninteressante These, die der Debatte über die "Achse Berlin - Rom" Auftrieb geben kann. Die These lautet: Hitler und Mussolini trafen 1935/36 eine eher vage Grundsatzentscheidung für ein Bündnis zwischen dem faschistischen Italien und dem nationalsozialistischen Deutschland. Die Umsetzung überließen sie ihren Mitstreitern, die untereinander um Macht und Einfluss rangen und selbst bei Bündnisfragen selten einer Meinung waren. Auch die "Achse" wurde "zu einer Arena polykratischer Machtkämpfe innerhalb beider Regime". Das Engagement für sie bot hier wie dort Profilierungs- und Aufstiegschancen. Dabei gewann die "Achse" im Widerstreit der Interessen und in der Kooperation ähnlich tickender Faschisten und Nationalsozialisten nicht nur Kontur und Kohärenz, sondern auch eine Rissfestigkeit, die sich sogar in großen Krisen bewährte. Ideologische Verwandtschaftsgefühle und imperiale Träume spielten bei der Herausbildung dieser Netzwerke eine untergeordnete Rolle. Den Ausschlag gaben der neue politische Stil, die neue Formensprache und insbesondere gemeinschaftsstiftende Interaktionen wie Besuchsreisen und Jagden.
Diese These versucht der Autor anhand von fünf Fallbeispielen zu belegen. Das erste bezieht sich auf die Zusammenarbeit der Propagandachefs Joseph Goebbels und Galeazzo Ciano bzw. Dino Alfieri, das zweite auf Joachim von Ribbentrops Rolle beim Antikominternpakt, das dritte auf Baldur von Schirachs und Renato Riccis Zusammenspiel bei der bilateralen Jugendarbeit, das vierte auf Franz von Papens Initiativen zur Anbahnung des ersten Italienbesuchs Hitlers 1934 und das fünfte schließlich auf die Akademie für deutsches Recht in den deutsch-italienischen Beziehungen (und hier namentlich auf Hans Frank).
Vieles davon ist nicht ganz unbekannt, alles wird aber durchgängig in einem neuen Licht dargeboten. Das überzeugendste Fallbeispiel hat Goebbels als Hauptfigur. Der Propagandaminister befand sich 1933 in einer "prekären Machtposition" und tat deshalb alles, um seine Stellung in Partei und Regierung zu festigen. Eines der Felder, auf denen er sich zu profilieren suchte, war die Außenpolitik und hier vor allem die Italienpolitik, der Hitler höchste Priorität beimaß. Dass daraus Konflikte mit dem Auswärtigen Amt unter der Führung Konstantin von Neuraths und später von Ribbentrops resultierten, versteht sich von selbst. Goebbels ließ sich davon aber nicht beirren, zumal sich auf faschistischer Seite kongeniale Kooperationspartner (wie Ciano und Alfieri) fanden, die sich aus ähnlichen Motiven für eine Zusammenarbeit mit dem Deutschen Reich begeisterten. Auch ihnen ging es primär um Machtfestigung und -ausbau im polykratischen System des Faschismus.
Keine Frage, der Zusammenhang "zwischen einer prekären Machtposition der Akteure und einem ambitionierten Engagement" für die "Achse" tritt hier klar zutage. Ebenso einsichtig ist, dass das sich anbahnende Bündnis zwischen dem faschistischen und dem nationalsozialistischen Regime durch solche Initiativen (und deren demonstrative Inszenierungen namentlich bei ausgedehnten gegenseitigen Besuchen) neue Impulse erhielt. Die "Achse", das wird auch hier wieder deutlich, lebte - und zwar nicht nur, weil die beiden Diktatoren es wollten, sondern auch und vor allem, weil es auf beiden Seiten zahlreiche Rezeptoren und leidenschaftliche Propagandisten des Willens von "Führer" und "Duce" gab. Der "Achse entgegenarbeiten" und dabei selbst beträchtliche politische Dividenden einstreichen, hieß das Motto.
Das Projekt "Achse" profitierte von diesen vielfältigen Aktivitäten. Es avancierte allein schon durch die mit modernsten Mitteln publikumswirksam aufgezogenen Besuchstourneen zu einem Faktor der Innenpolitik, noch mehr aber der Außenpolitik, zumal auch das Konzert der Großmächte durch das Zusammenspiel zwischen Rom und Berlin aus dem Takt geriet. Aber: Gewann die "Achse" auch wirklich Kohärenz - eine der schier endlos wiederholten Lieblingsvokabeln des Autors? Wirkte die von oben in Gang gesetzte ostentative "Achsen"-Seligkeit in die Tiefe und Breite der deutschen und italienischen Gesellschaft hinein? Bildeten sich tatsächlich "rissfeste politische Netzwerke" heraus, die in Krisenzeiten eine "Havarie und damit ein Ende des Bündnisses verhinderten"? Nils Fehlhaber kann diese zentralen Fragen schon deshalb nicht beantworten, weil er nie nach den gesellschaftlichen Auswirkungen der von wem auch immer betriebenen "Achsen"-Politik fragt und weil seine Studie im Kern 1939/40 endet, als die "Achse" im Zeichen deutscher Siege und italienischer Niederlagen harten Bewährungsproben ausgesetzt war. Die kurzen Abschnitte über Robert Leys Rom-Besuch vom Dezember 1939, der das zu diesem Zeitpunkt ungefährdete Bündnis gerettet haben soll, und die paar Seiten über letztlich bedeutungslose, nur für die Galerie organisierten Frontbesuche ersetzen keine Analyse der "Achse im Krieg" und bieten so gut wie nichts, was die These von der Rissfestigkeit der zuvor geknüpften Netzwerke stützen könnte.
Dieses Defizit hat auch mit der Auswahl der Fallbeispiele zu tun, deren Protagonisten ausschließlich zu den höheren Chargen von Regierung und Partei gehören. Wirtschaft und Wissenschaft fehlen ebenso wie das Militär, das spätestens 1940 zunehmend größere Bedeutung erlangte. Entstanden auch hier belastbare deutsch-italienische Netzwerke? Und: Hielten sie und wie lange, als sich seit Herbst 1942 Niederlage an Niederlage reihte? Hier zeigen sich die Grenzen des von Nils Fehlhaber gewählten Methodenmixes, der durchaus innovatives Potenzial enthält, am Ende aber das in der Forschung konsolidierte "Achsen"-Bild doch nur partiell ergänzen kann. Ideologische Affinitäten, wirtschaftliche Zwänge und imperiales Kalkül müssen auch künftig als zentrale Faktoren in Rechnung gestellt werden, wenn es gilt, die Entstehung und Kohärenz der "Achse" zu erklären - der Wille von "Führer" und "Duce" sowieso. Aus polykratischen Strukturen resultierende "Initiativen von Akteuren aus der zweiten politischen Reihe" waren nie gegen den Kurs der beiden Diktaturen gerichtet, im Gegenteil oft bis ins Detail mit ihnen abgestimmt. Sie hatten ihre Bedeutung, so lange die "Achse" funktionierte, danach vermochten sie nichts mehr zu retten, weil nichts mehr zu retten war.
Hans Woller