Mary Ann Fay (ed.): Slavery in the Islamic World. Its Characteristics and Commonality, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2019, XIV + 206 S., ISBN 978-1-349-95354-7, EUR 74,89
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Auf dieses Buch hat die Gemeinde der zu starken asymmetrischen Abhängigkeiten forschenden (Islam-)Wissenschaftler lange gewartet - und zwar im Wortsinne. Möglicherweise ist es der etwas längeren Entstehungsgeschichte des Bandes geschuldet, dass Palgrave McMillan auf dem Umschlag eine Rezension zitiert, die das Werk unter einem anderen Namen zu kennen scheint als dem, der auf dem Cover steht: nämlich als "Slavery in Islamic Lands". Auch in der Einleitung ist diese terminologische Inkongruenz noch vorhanden. Sie verwendet "Islamic World" und "Islamic Lands" synonym mit einer dritten Fassung, "Muslim Societies". Leider wird an keiner Stelle der Einleitung thematisiert, was genau in dem vorliegenden Sammelband nun unter "Islamic", "Muslim" oder den globalen Bezeichnungen World/Lands/Societies verstanden werden soll. Lediglich eine geographische Eingrenzung im ersten Satz der Einleitung definiert den betrachteten Raum als "Islamic world of the Middle East and North Africa" - während ein Blick in das Inhaltsverzeichnis genügt, um weitere im Band vertretene Regionen wie West- und Ostafrika, Südafrika sowie Iran ausfindig zu machen.
In ihrer Einleitung gibt Fay einen kurzen Abriss zum Forschungsstand der Sklavereiforschung, beginnend mit Orlando Patterson und endend mit Moses I. Finley's Konzept der societies with slaves. Sie definiert "islamische" Gesellschaften als solche, also als Gesellschaften, in denen Sklaverei nur einen unter vielen Faktoren der gesellschaftlichen Produktivität ausmachte und Sklaven nur "marginal" für den zentralen Produktionsprozess der Gesellschaft anzusehen waren. Auf dieser Basis kündigt die Herausgeberin als Ziel der Beitragenden an, "to elucidate where and how in the Middle East, a society with slaves, had certain characteristics that defined it as Islamic" (Introduction, 3). Verglichen werden sollen z. B. "slavery in the Islamic world" (an anderer Stelle auch "Islamic slavery") mit "slavery in Africa". Dabei wird "afrikanische Sklaverei" als mögliche Urform postuliert, von der sich "islamische Sklaverei" möglicherweise als Variation ableite. Es solle auch der Frage nachgegangen werden, ob "islamische Sklaverei" dadurch "islamisch" werde, dass ein gemeinsames, religiös begründetes Rechtssystem auf Freie wie Sklaven gemeinsam Anwendung findet, oder dass kanonische Schriften des Islam "humanes" Verhalten gegenüber Sklaven einfordern. Die Einleitung postuliert abschließend als Ergebnis der hier versammelten Studien, dass der Islam im Gegensatz zu Sklavereisystemen der Neuen Welt ein "universal template" böte, das die Sklave - Eigner Beziehung strukturiere. Somit werden offenbar unter dem Oberbegriff "Islamic slavery" sämtliche Formen starker asymmetrischer Abhängigkeit versammelt, die durch "islamische" Rechtsvorstellungen geprägt ist. Unter dieser Voraussetzung verwundert es ein wenig, dass kein Beitrag die Thematik mit Schwerpunkt auf islamische Rechtsnormen betrachtet. Vielmehr liegt ein Schwerpunkt auf den Themenkomplexen gender und race.
Die Beiträge selbst bilden ein breites Spektrum methodischer und theoretischer Zugänge ab und versprechen interessante Zugänge. So befasst sich E. Ann McDougall im ersten Beitrag gezielt mit der Grundfrage "What is Islamic about slavery in Muslim societies?" Diese geht sie über die vergleichende Lesung von case studies aus der eigenen ethnologischen Forschung und in älteren Studien dokumentierten Interviews an. Sie identifiziert als prägende Faktoren für "Sklaverei"-Konzepte in Nord- West- und Ostafrika lokale Traditionen sowie kinship-Bindungen, die ihrerseits beide zu einem gewissen Grad von "islamischen" Vorstellungen und Konzepten geprägt sind. Sklaverei identifiziert sie als eine Form sozialer Beziehungen, die die Versklavten, aber auch die Freigelassenen und deren Nachfahren durch walā oder ähnliche Patronageverbindungen an die Familien der Besitzer binden. Der Beitrag stellt interessante Falldokumentationen vor und beleuchtet lokale und überregionale Beziehungen, in denen Sklaverei bzw. Abhängigkeit vom ehemaligen Besitzer von den betroffenen Akteuren nicht ausschließlich negativ bewertet werden, sondern sogar auch heute noch zum (positiv konnotierten) Selbstverständnis der Nachfahren ehemaliger Sklaven gehört. Es zeigt sich hier, ähnlich wie in der Einleitung, dass eine Durchdringung der Thematik von einem methodischen Ansatzpunkt aus, offenbar nicht ausreicht, um solch komplexe Sachverhalte zu analysieren. Die Analyse der Selbstzeugnisse hätte durch eine begleitende Betrachtung islamischer Rechtsnormen ebenso gewinnen können wie durch eine semantische Betrachtung der verwendeten emischen Begriffe.
Der Beitrag von Gabeba Baderoon fokussiert auf die vielfältigen Verbindungen zwischen Islam und Sklaverei in Südafrika. Er fokussiert sowohl auf die ambigue Wahrnehmung des Islam in Südafrika heute als auch die historische Entwicklung der islamischen Präsenz in Südafrika, wo der Islam als Religion der ersten in der Kolonialzeit dort ankommenden Sklaven seinen Ursprung findet. Das Setting ist hier also ein ganz anderes als im ersten Beitrag, wo Islam als die Gesellschaft prägende Größe sowie gemeinsame Religion von Sklaven und Besitzern vorausgesetzt werden konnte. Baderoons Beitrag könnte damit eine willkommene neue Perspektive beisteuern, in der der Islam Teil einer eignen "slave culture" in Abgrenzung zur niederländisch geprägten Kultur der Sklavenhändler und -besitzer wurde. Der Beitrag ist jedoch eher als Reflexion über die heutige Erinnerungskultur an Sklaverei und die spätere Apardheid in Südafrika gebaut und berührt die Themen Religion, Rasse, Versklavung und sexuelle Gewalt gegen Versklavte gleichmäßig, jedoch aufgrund der Kürze des Beitrags nur oberflächlich. Eine Antwort auf die vom Sammelband programmatisch gestellte Frage ist hieraus nicht zu erwarten. Trotzdem ist der Beitrag einer der lesenswertesten im Band, zeigt er doch die engen Intersektionen zwischen historischen Diskriminierungsmarkern einerseits und kontemporären gesellschaftlichen Entwicklungen und Problemen auf und bietet damit auch Denkanstöße für die Annäherung von geschichtswissenschaftlicher Forschung und Gesellschaftswissenschaften.
Der Beitrag von Diane Robinson-Dunn wendet sich nun einer feministisch motivierten Schau der Forschungs- und Rezeptionsgeschichte zu "islamischer Sklaverei" in Verbindung mit der Aufarbeitung westlicher orientalistischer Sichtweisen zu. Die Autorin befasst sich dabei exemplarisch mit 'orientalistischen' Haremsdarstellungen. An dieses Thema schließt der Beitrag von Sarga Moussa an, der sich am Beispiel der Repräsentation von Eunuchen in den lettres persanes der Stereotypisierung von Alteritätserfahrungen durch orientalistisch inspirierte Schreiber widmet. Zurück zur Erforschung der Auswirkungen von Formen starker asymmetrischer Abhängigkeiten auf "islamische" Gesellschaften führt der Beitrag der Herausgeberin, die darin Einblicke in ihre Forschung zu Stiftungsurkunden aus dem Ägypten des 18. Jahrhunderts gibt. Anhand dieser Dokumente lassen sich Hinweise auf die wirtschaftlichen Aktivitäten ehemaliger SklavInnen, bzw. von Sklaven abstammender Frauen und Männer ziehen. Fay weist nach, dass weibliche freigelassene Stifterinnen das waqf-Wesen häufig zum Aufbau und zur Stärkung von kinship- oder pseudokinship-Verbänden nutzten, deren Gruppenkonzepte sich häufig auf die gemeinsame Anbindung an einen ehemaligen Besitzer bezogen. Sie isoliert als hauptsächliche Identifikationsmarker, die von freigelassenen Stifterinnen gewählt wurden: nichtmuslimische Geburt, Hautfarbe, Identifikation als frühere Sklaven eines bestimmten Hauses oder Herrn, sowie im Falle der Heirat Identifikation über die neue kinship-Bindung an den Ehemann.
Anthony A. Lees Beitrag zu abhängigen Frauen im qajarischen Harem ist eine willkommene Ergänzung zur Erforschung von "Sklaverei" im iranischen Raum und im Kontext des Indik als Mobilitätsraum. Mit dem Fokus auf weibliche "Elitesklaven" weist der Beitrag darüber hinaus auf eine weitere spezielle Form der starken asymmetrischen Abhängigkeit hin, die gerne als "milder" beschönigt wird - wie eine ganze Reihe starker asymmetrischer Abhängigkeitsformen im Kontext islamischer Gesellschaften.
Ein Verdienst des vorliegenden Bandes ist es, auf eine Tendenz in der Forschung zur Beschönigung "milderer" Formen von Abhängigkeit hinzuweisen, die gegebenenfalls auch in die Freilassung münden oder im Kontext privilegierter Lebensumstände, wie z. B. einem Herrschaftszentrum stehen. Tatsächlich sollte bei der Entscheidung, welche Abhängigkeitsformen als "stark" und damit erforschenswert eingestuft werden, die emische Perspektive - das heißt die der Betroffenen - im Blick behalten werden, ist es doch äußerst fragwürdig, aus der Perspektive der heutigen Wissenschaft, die sich häufig nur auf Textquellen aus dem Kontext und der Perspektive der slaver stützen kann, bestimmte Abhängigkeitsformen als 'zu wenig schlimm' aus dem Fokus der Forschung zu rücken. Diesem Trend entgegen wirkt die vorliegende Sammlung, die gerade mit der Diversität der behandelten Abhängigkeitsformen zeigt, dass auch die als "mild" angesehenen solchen nicht nur für den einzelnen Betroffenen schwerwiegende Folgen haben können, sondern auch langfristige Auswirkungen auf die jeweiligen Gesellschaften nach sich ziehen. Ganz anders als der Beitrag zu Südafrika zeigt dies auch der von Lee: Hier schreibt eine qajarische Prinzessin über ihre Kindheit, in der afrikanische Sklavinnen die einzigen wirklichen Bezugspersonen für sie waren und damit ihre frühe Entwicklung weitaus stärker beeinflussten als die königliche Mutter. Nicht nur in Bezug auf Einzelschicksale sind solche Aussagen hochinteressant, sondern auch mit Blick auf die sozialen Verflechtungen von höchsten Eliten und ihren versklavten Bediensteten, die die Lebenswege beider Gruppen stark beeinflussten.
Ähnliche Einblicke in die langfristige Prägung von sozialen Verbänden durch das Vorhandensein unterschiedlicher Abhängigkeitsformen, die offensichtlich als sozialer Makel empfunden werden, deutet auch der Beitrag von Rima Sabban an. Die Autorin berichtet ausführlich über ihre Schwierigkeiten, überhaupt Interviewpartner zu finden, die selbst Sklaverei durchlebt haben oder von Sklaven abstammen, und von Schwierigkeiten, das offensichtlich sensible Thema anzusprechen. Der Beitrag verfügt über einige theoretische und definitorische Abschnitte, was eigentlich als löblich anzumerken wäre: Die Autorin ist die erste im Band, die den Begriff "Sklaverei" überhaupt problematisiert. Allerdings schleichen sich hier sachliche Fehler ein, etwa die Behauptung, "im Islam" sei der Sklavenstatus nicht an einen Faktor der Fremdheit ("outsider status") gebunden gewesen, da SklavInnen stets innerhalb der Region in diesen Status hineingeboren worden wären. Der Beitrag zeugt wiederum von der langfristigen Prägung einer Gesellschaft durch Sklaverei, die auch lange nach der Abschaffung derselben anhält.
Die beiden letzten Beiträge des Bandes befassen sich unter unterschiedlichen Gesichtspunkten mit der Region des modernen Algerien: Christine E. Sears fokussiert auf Abhängigkeitsformen, die Seefahrer nach der Gefangennahme durch nordafrikanische Piraten im 18. und 19. Jahrhundert erwarteten. Sie geht darüber hinaus auf die zeitgenössische Terminologie und nicht stringente Unterscheidung zwischen "slaves" und "captives" in diesem Zusammenhang ein, leitet damit eine Diskussion der Herausforderungen ein, die aus dem Versuch erwachsen, Abhängigkeitsformen exakt zu definieren. Mit Suzanne Miers hält sie fest, dass die Suche nach einer "universally acceptable definition of slavery" ein unmögliches und nicht zielführendes Unterfangen sei. Diese Feststellung untermauert der Beitrag durch einen weiten vergleichenden Blick, der den algerischen Beispielfall mit Abhängigkeitsformen im Mediterraneum und global in Beziehung setzt.
Sarah Ghabrial schließlich beschäftigt sich mit weiblichen Abhängigkeiten, die an der Schnittstelle zwischen patriarchalischen Prägungen und Sklavereisystemen entstanden. Die Abhängigkeit von "slave wives" stand quer zum französischen Rechtssystem, da sie nicht eindeutig in die Dualität von "Sklaverei" und "Freiheit" eingeordnet werden konnte. Anhand der Aufzeichnungen der White Sisters-Missionarinnen bearbeitet der Beitrag die Abhängigkeit von Frauen und Kindern vor und nach dem Anti-Sklaverei-Dekret von 1906, das sechzig Jahre nach der formalen Abschaffung der Sklaverei durch Frankreich die Abhängigkeit und das Recht auf sexuelle Ausbeutung weiblicher Abhängiger fortschrieb.
Der vorliegende Band zeugt eindrücklich von enger Verflechtung von institutionalisierten und traditionellen Abhängigkeitsformen in Gesellschaften der betrachteten Region in diachroner Perspektive. Viele Beiträge weisen zudem auf den prägenden Einfluss historischer Gesellschaftskonzeptionen auf gegenwärtige Gesellschaften hin, wobei diese historischen Gesellschaftskonzeptionen die Sklaverei als selbstverständlichen Teil enthalten. Damit weist der Band in Richtung einer zunehmenden Verflechtung von historischer und gegenwartsbezogener Forschung auch im Bereich der Abhängigkeitsforschung.
Anna Kollatz