Maria Schubert: "We Shall Overcome". Die DDR und die amerikanische Bürgerrechtsbewegung (= Sammlung Schöningh zur Geschichte und Gegenwart), Paderborn: Ferdinand Schöningh 2018, XI + 443 S., ISBN 978-3-506-78769-9, EUR 89,00
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Weder für Washington noch für Ost-Berlin waren die Beziehungen zum jeweils anderen Staat von besonderer Bedeutung, und auch die Kontakte zwischen der ostdeutschen und der US-amerikanischen Gesellschaft hielten sich in engen Grenzen. Gleichwohl widmet sich Maria Schubert in ihrer Dissertation einem noch kleineren Ausschnitt aus diesem Komplex: dem Verhältnis zwischen der DDR und der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Von einer Ausnahme abgesehen, handelte es sich nicht um ein Massenphänomen; gleichwohl waren diese Beziehungen, wenn man die wechselseitige Rezeptions- und Wirkungsgeschichte analysiert, wichtiger, als es auf den ersten Blick erscheint.
Im Mittelpunkt stehen die Besuche der afroamerikanischen Bürgerrechtler Paul Robeson, Martin Luther King, Ralph Abernathy und Angela Davis in der DDR. Dabei nutzt die Autorin einen Methodenmix: Sie geht kulturhistorisch vor, fragt nach transnationalen Kontakten, nach interkultureller Kommunikation, nach Fremdwahrnehmungs- und Transferprozessen. Die Arbeit beruht auf einer gründlichen Archivrecherche; Schubert hat sowohl staatliche als auch nichtstaatliche Überlieferungen in Deutschland und den USA herangezogen und außerdem fünf Zeitzeugeninterviews durchgeführt.
Der Besuch des Sängers Paul Robeson und seiner Frau Eslanda im Oktober 1960 war für die DDR primär ein Propaganda- und Medienereignis. Beide waren dezidierte Linke, die für die Bürgerrechte der Afroamerikaner sowie für die Farbigen in aller Welt kämpften; eingebettet waren diese Bemühungen für sie in den Kampf der Arbeiter gegen Faschismus und Imperialismus. Daher wurden sie von der SED hofiert; die Robesons wiederum idealisierten die Zustände in der DDR und sahen, obwohl sie die Missachtung von Menschenrechten sowie den Rassismus in den USA kritisierten, über die Schattenseiten der ostdeutschen Diktatur hinweg. Dort wurden ihre Spirituals und Freiheitslieder breit rezipiert, sowohl von der FDJ als auch von der kirchlich-oppositionellen Szene. Die SED-Kulturpolitik befürwortete diese Protestform gegen den Imperialismus; die DDR versuchte, sich damit auf die Seite der Bürgerrechtsbewegung und der Gegner des Vietnamkriegs zu stellen. Jedoch rezipierten auch andere die Spirituals, wie etwa Pfarrer Theo Lehmann im Rahmen der christlichen Jugendarbeit, indem er zu deren Melodien eigene Texte schrieb, in denen implizit die DDR kritisiert wurde. Den Hintergrund dafür bildete, wie Schubert zutreffend hervorhebt, der "emanzipatorische Kern afroamerikanischer Musik" (199). Daher wurde auf den Demonstrationen im Herbst 1989 das Lied "We shall overcome" sehr häufig angestimmt.
Auch der östlich der Mauer wohl populärste Amerikaner seiner Zeit, Martin Luther King, stattete Ost-Berlin am 13. September 1964 eine Stippvisite ab - die der Stasi weitgehend entging. In seinen Gottesdiensten in der Marienkirche und in der Sophienkirche betonte er die grenzsprengende und weltumfassende Gemeinschaft der Christen. Seine Predigten enthielten Plädoyers für Gewaltlosigkeit, aber auch für die Beilegung des Ost-West-Konflikts. Rezipiert wurde er vor allem in Publikationen der Ost-CDU - warum ausgerechnet von dieser Blockpartei und nicht von der SED, schreibt Schubert leider nicht. Gerade in der christlichen Bevölkerung der DDR stand King in hohem Ansehen, da er eine Antwort auf die Frage lieferte, wie Christen mit staatlichem Unrecht umgehen sollten. Denn er hatte mit seinen Bürgerrechtsprotesten gezeigt, wie dieser Weg aussehen konnte; außerdem war er bereit gewesen, für seine Ideale den Tod auf sich zu nehmen. Wenn Schubert allerdings die Gewaltlosigkeit der Demonstranten in der friedlichen Revolution auf Kings Einfluss zurückführt, vernachlässigt sie, dass dies auch andere, situative Gründe hatte, obwohl das Ideal der Gewaltlosigkeit zweifellos bei den demonstrierenden Christen eine Rolle spielte.
Der Besuch des Baptistenpfarrers Ralph Abernathy im September 1971 in der DDR war wieder ein von staatlicher Seite perfekt orchestrierter Besuch. Anders als King, stand Abernathy dem Ostblock nahe und prangerte in seinem Gottesdienst in der Ost-Berliner Marienkirche die Politik der US-Regierung, nicht aber die Menschenrechtsverletzungen in der sozialistischen Welt an. Das war ganz auf der Linie der DDR-Führung, die den Besuch auch dazu nutzen wollte, das Renommee ihres Staates unter den Christen zu vergrößern. Das gelang zum Teil bei Bischof Albrecht Schönherr, der allerdings die christlichen Grundlagen des Bürgerrechtskampfs betonte. Eigenen Bekundungen zufolge versuchte Abernathy, mit seinen Reisen in Mittel- und Osteuropa die dortigen Kirchen zu stärken; ob er dieses Ziel erreichte, erscheint angesichts seiner Vereinnahmung durch die DDR jedoch äußerst fraglich. Schubert bringt viel Verständnis für den Geistlichen auf, der die DDR positiv bewertete, weil ihm der tiefere Einblick gefehlt habe. Das mag zutreffen; vorzuwerfen ist ihm aber, dass er seinen Gastgebern keine kritischen Fragen stellte.
Den Höhepunkt der Begeisterung für die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung stellte die Solidaritätskampagne für die zwischen 1970 und 1972 in den USA inhaftierte Angela Davis dar. Davis hatte bereits 1966 die DDR besucht, engagierte sich in der Black Panther Political Party und trat 1968 der Kommunistischen Partei der USA bei. Das Rassenproblem konnte, so Davis, nur durch einen weltweiten Sieg des Sozialismus gelöst werden. Wegen einer Schießerei, bei der auch auf sie registrierte Waffen eingesetzt wurden, wurde sie im Oktober 1970 verhaftet, im Juni 1972 jedoch freigesprochen. Während ihrer Inhaftierung organisierte die DDR eine gigantische Solidaritätskampagne, die Schubert eingehend darstellt. In deren Mittelpunkt stand die FDJ-Aktion "Eine Million Rosen für Angela Davis", in deren Rahmen Tausende Briefe und Postkarten mit aufgemalten Rosen die Inhaftierte erreichten. Kern der Solidaritätspost war eine Anprangerung der amerikanischen Justiz und Politik sowie die Forderung nach Freilassung der prominenten Bürgerrechtlerin. Davis, so schreibt Schubert aufgrund von Zitaten aus zahlreichen Solidaritätsschreiben, sei zum Vorbild für viele ostdeutsche Frauen geworden, die nun gelobten, durch Planerfüllung "unsere DDR allseitig zu stärken" (347). Hier nimmt die Autorin jedoch Propagandaformeln für bare Münze: Solche Selbstverpflichtungen waren oft alles andere als freiwillig und Teil des Versuchs, auf propagandistische Weise in der DDR einen gesellschaftlichen Konsens vorzutäuschen, den es nie gab. Und wenn sie den Freispruch von Davis "ohne den öffentlichen Druck und das weltweite Interesse" für unwahrscheinlich hält (353), überschätzt sie den Einfluss von Post aus dem Ostblock auf ein amerikanisches Schwurgericht.
Nach ihrem Freispruch reiste Davis im September 1972 und danach mehrmals in die DDR und andere Staaten des Ostblocks. Ihr wurde dabei nicht nur orchestrierte, sondern auch spontane Begeisterung zuteil. Angela Davis ließ sich zu Lobeshymnen auf die DDR und das sozialistische Gesellschaftskonzept hinreißen und setzte dort die weißen Eliten in den USA mit den Nationalsozialisten weitgehend gleich. Es waren jedoch "weniger ihre politische Agenda [...] als der allgemeine Eindruck einer schönen und mutigen Afroamerikanerin, die Aufbegehren und Protest verkörperte", die vielen Jugendlichen in Erinnerung blieb (367). Diese waren vor allem von Davis' Äußerem, insbesondere von ihrer Frisur beeindruckt, was Schubert zu Recht auf die Popularität dieses "westlichen" Lebensstils zurückführt. Die Euphorie für Angela Davis ging folglich auch auf die Sehnsucht großer Teile der Jugend nach einem selbstbestimmten Leben zurück, das diese verkörperte.
In ihren resümierenden Betrachtungen geht die Autorin zunächst auf die Perspektive der Bürgerrechtler ein. Diese kontrastierten ihre Beobachtungen in der DDR mit der Lage in den USA und waren positiv überrascht über das scheinbare Fehlen von Rassismus und Menschenrechtsverletzungen im Osten, so dass die meisten von ihnen in der Sowjetunion und der DDR Verbündete in ihrem Freiheitskampf erblickten. Leider vernachlässigt die Autorin auch in ihrer Zusammenfassung die Tatsache, dass sich die Bürgerrechtler - außer Martin Luther King - damit von der östlichen Seite propagandistisch vereinnahmen ließen. Die Interessen der SED-Führung überschnitten sich im Kampf gegen den Rassismus partiell mit denen der Bürgerrechtler. Außerdem verfolgte diese das Ziel, eine Lobby in den USA aufzubauen; innenpolitisch setzte sie die Helden des "anderen Amerika" für die Erziehung der sozialistischen Jugend ein. Überdies nutzte sie den Aufenthalt ihrer Gäste, um sich gegenüber dem Ausland als das bessere Deutschland zu präsentieren. Von diesen Zielen grenzt Schubert die eigensinnige Deutung der Bürgerrechtler durch die Ostdeutschen deutlich ab. Denn die Besucher waren als Amerikaner Teil des Sehnsuchtsorts, der vor allem junge DDR-Bürger faszinierte. Verschiedene ostdeutsche Gruppen ergänzten die staatlichen Informationen durch Berichte aus dem Westen und entwickelten daraus eigene Deutungen. Deren Amerika-Euphorie bezog sich auf das "andere Amerika", und der Protestgeist aus dem afroamerikanischen und linksrevolutionären Amerika wurde zum Vorbild für manche, die sich gegen den DDR-Sozialismus wandten. Schuberts Verdienst besteht vor allem darin, diese unterschiedlichen Wertungen und Wirkungen der afroamerikanischen Bürgerrechtler durch die ostdeutschen Systemträger und die Gesellschaft aufgezeigt zu haben.
Hermann Wentker