Lindsey A. O'Rourke: Covert Regime Change. America's Secret Cold War (= Cornell Studies in Security Affairs), Ithaca / London: Cornell University Press 2018, XIV + 312 S., 7 s/w-Abb., 10 Tbl., ISBN 978-1-5017-3065-8, GBP 150,00
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"Regime change", der meist gewaltsam von außen induzierte Wechsel eines politischen Regimes, ist eine der sensibelsten, geheimsten und moralisch fragwürdigsten außen- und sicherheitspolitischen Maßnahmen. Für die Großmächte des internationalen politischen Systems ist dieses Mittel dennoch ein auffällig konstantes Instrumentarium im außenpolitischen Werkzeugkasten. Nur warum eigentlich? Wie erfolgreich ist "regime change" und wie fällt seine Kosten-Nutzen-Bilanz für die ausführenden Staaten aus? Welche mittel- und langfristigen Konsequenzen sind zu erwarten? Und welche Arten von "regime change" gibt es?
Diesen ebenso drängenden wie kontrovers diskutierten Fragen widmet sich Lindsey O'Rourke, Assistant Professor am Boston College, in ihrer mit dem "International Security Studies Section Best Book Award" ausgezeichneten Studie "Covert Regime Change. America's Secret Cold War". Die Ergebnisse ihrer exzellenten Arbeit sind dabei so klar herausgearbeitet, dass sie vorweggenommen werden können: "Covert regime change" ist nicht effektiv, hat oft verheerende Folgen, keine positive Kosten-Nutzen-Bilanz, bleibt selten geheim, wird oftmals nur deshalb praktiziert, weil "irgendwas gemacht werden muss" und die Option in der US-Außen- und Sicherheitspolitik immer auf dem Tisch liegt.
Diese Ergebnisse mögen für den an Zurückhaltung und Nicht-Intervention gewohnten deutschen Leser fast schon banal daherkommen; sie wurden aber erstens nicht primär für den deutschen Leser erarbeitet und beziehen zweitens ihre besondere Stärke aus ihrer empirisch wie theoretisch fundierten Herleitung. Vor allem in den USA, wo Debatten um aktive Interventionen im Ausland legitim sind und gefordert werden, kann O'Rourkes Studie dringend notwendiges Hintergrundwissen - nicht aus moralischer, sondern aus empirischer Perspektive - bieten.
Die empirische Grundlage der Untersuchung sind 64 Fälle von US-amerikanisch initiierten "covert regime change" im Zeitraum zwischen 1947 und 1989. Das notwendige Hintergrundwissen zur Rolle der USA in diesen Operationen bezieht O'Rourke aus sogenannten "FOIA-Anfragen", also Auskunftsersuchen an das Weiße Haus, die CIA, das Pentagon und das US Department of State nach dem "Freedom of Information Act", dem Informationsfreiheitsgesetz der USA. Wer jedoch auf neue, spektakuläre Enthüllungen über bislang unbekannte US-Operationen hofft, wird enttäuscht, denn es handelt sich bei den Fallstudien um bereits anderweitig enthüllte Operationen [1].
Enthüllungen sind jedoch auch nicht das Ziel der Studie, weswegen dieser Umstand deren Qualität in keiner Weise mindert. Vielmehr zielt O'Rourkes Studie auf die Verbindung historischer Empirie zur Gewinnung und Überprüfung sozialwissenschaftlicher Theorie. Der Schwerpunkt liegt dabei klar auf letzterem und die Analysen, die so gewonnen werden, sind ebenso stringent wie gut argumentiert.
Die untersuchungsleitenden Forschungsfragen an die verdeckten US-Operation zum Wechsel ausländischer Regime zielen dabei, wie oben angemerkt, auf eine rationale Kosten-Nutzen-Bilanz solcher Aktionen, der Frage nach den Motiven für den Einsatz dieses Mittels, den häufig zu beobachteten Folgen in den betroffen Staaten sowie einer Typologie verschiedener Arten von "regime change".
An deren Ausgangspunkt steht für O'Rourke zunächst die Frage nach offenem versus geheimen "regime change", also offener militärischer Intervention der Streitkräfte oder dem Einsatz verdeckter Kommandos und von Stellvertretern. Dabei zeigt O'Rourke überdeutlich, dass selbst die "covert operations" fast nie wirklich geheim bleiben.
Nichtsdestoweniger erfreuten sich diese Geheimoperationen außerordentlicher Beliebtheit. Als Gründe dafür bringt die Studie drei Hauptargumente vor: Erstens gehe es weniger um tatsächliche Geheimhaltung als vielmehr um "plausible deniability", also das glaubwürdige Dementi. Zweitens versprechen verdeckte Geheimoperationen niedrigere Kosten, sowohl materiell als auch immateriell (z.B. Image oder Publicity-Verluste). Und drittens erscheint "covert regime change" als eine Handlungsoption, die immer als Möglichkeit in einer Schublade von Außen- und Sicherheitsstrategen liegt, wenn aus politischen Gründen dringend energische Aktivität gezeigt werden muss, alle anderen Optionen aber ausscheiden.
Eng mit diesen mehr oder weniger sinnvollen Begründungen, die zumeist hinter legitimen "nationalen Sicherheitsinteressen" kaschiert werden, sind die Folgen von "regime change", denen O'Rourke im besonders zu empfehlenden Kapitel 4 nachspürt, verbunden. Diese beschreibt sie als zumeist desaströs. Außenpolitische Ziele der USA konnten, wenn überhaupt, oft nur unter kurzfristigen, taktischen Gesichtspunkten erreicht werden. In langfristig-strategischer Perspektive war die überwältigende Mehrheit der Operationen nicht nur nicht erfolgreich, sondern zeitigte katastrophale Folgen wie politische Instabilität, Bürgerkrieg und Massentötungen. Mitverantwortlich dafür war die Unterstützung anti-demokratischer Kräfte während und nach "regime changes" durch die USA. Diese Bilanz vergleicht die Studie auch mit den Ergebnissen sowjetischer Interventionen und denen des Blocks der "Nicht-Paktgebundenen Staaten".
Von diesen Resultaten ausgehend führt die Studie ferner die anfangs begonnene Typologie verdeckter Interventionen weiter und unterscheidet drei Kategorien von Interventionen: "offensive operations" (z. B. der Sturz gegenwärtiger militärischer Rivalen oder Allianzen); "preventive operations" (um einen Staat davon abzuhalten, bestimmte Handlungen in Zukunft zu tätigen) und "hegemonic operations" (um eine asymmetrische Beziehung zwischen beiden Staaten aufrechtzuerhalten). Dazu kommen fünf verschiedene Arten der Ausführung bzw. Instrumente ("assassination, coup, dissidents, election interference, democracy promotion"). Für alle davon finden sich Belege unter den 64 untersuchten Fallstudien.
Der einzige Schwachpunkt dieser ansonsten außergewöhnlichen Studie findet sich im unerfüllten Desiderat, Beispiele und Analysen auch für die Zeit nach 1989 (und vor allem nach 2001) fortzusetzen. Zwar endet das Buch mit einem 12-seitigen Fazit, dass - wenig verwunderlich - zu Gedanken zur Außenpolitik unter Präsident Donald Trump hinführt. Dies scheint jedoch mehr der Suche nach einem aktuellen Anknüpfungspunkt denn fundierten analytischen Erkenntnissen geschuldet. In Anbetracht der selbstgewählten Ziele und dem Umfang der Studie tut dies der wirklich hervorragenden Qualität nur wenig Abbruch. Ob die Autorin jedoch mit ihrem positiven Fazit, dass außen- und sicherheitspolitische Strategen aus den Fehlschlägen von "covert regime change" während des Kalten Krieges gelernt hätten, Recht behalten wird, scheint im Jahr 2020 eher fraglich. An den zuvor angestellten profunden Analysen und den bedeutsamen Forschungsergebnissen ändert dies nichts.
Anmerkung:
[1] Vgl. z.B. William Blum: Killing Hope. U.S. Military and CIA Interventions Since World War II, Monroe, ME 1995.
Christopher Nehring