Rezension über:

Helmut R. Hammerich: "Stets am Feind!". Der Militärische Abschirmdienst (MAD) 1956-1990, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2019, 520 S., 1 Kt., 6 Farb-, 39 s/w-Abb., ISBN 978-3-525-36392-8, EUR 40,00
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Rezension von:
Christopher Nehring
Deutsches Spionagemuseum, Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Empfohlene Zitierweise:
Christopher Nehring: Rezension von: Helmut R. Hammerich: "Stets am Feind!". Der Militärische Abschirmdienst (MAD) 1956-1990, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2019, in: sehepunkte 20 (2020), Nr. 2 [15.02.2020], URL: https://www.sehepunkte.de
/2020/02/33809.html


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Helmut R. Hammerich: "Stets am Feind!"

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Der Militärische Abschirmdienst (MAD), der kleinste Nachrichtendienst des Bundes, galt lange Zeit als der "geheimste aller Geheimdienste". [1] Die Öffentlichkeit bekam vom bundeswehreigenen Nachrichtendienst wenig bis gar nichts mit. Das ist heute anders. 63 Jahre nach seiner Gründung bekam der MAD nun eine Behördengeschichte. Diese Art der public history hat in Deutschland seit der mittlerweile berühmt-berüchtigten (und überstrapazierten) Studie "Das Amt und die Vergangenheit" über NS-Belastungen im Auswärtigen Amt Hochkonjunktur. [2] Diese Welle hat jetzt den MAD erreicht. Einer der Väter des Projektes, Christof Gramm, der die Entstehung der Studie bereits während seiner Zeit im Verteidigungsministerium unterstützte, durfte nun als MAD-Präsident die Früchte des Projektes ernten.

Im Dezember 2019 wurde die Studie offiziell der Öffentlichkeit vorgestellt. In Auftrag gegeben hatte sie das Verteidigungsministerium beim Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) in Potsdam; verfasst hat sie zwischen 2012 und 2017 Helmut Hammerich. Die Aufgabe, ein einziges, in sich geschlossenes Werk zu produzieren, war kein leichtes Unterfangen: ein Überblick über 34 Jahre Geschichte des MAD in einer übersichtlichen Monografie. Hammerich erfüllt diese Projektkonzeption mit einer soliden und leserfreundlichen Studie.

Wie bei allen public history-Projekten deutscher Behörden stand die Erforschung und Aufdeckung von personellen Kontinuitäten und Belastungen aus der NS-Zeit als wichtige Aufgabe und tragende Säule des Projekts fest. Unter den vielen denkbaren Ansätzen orientierte sich Hammerich dabei explizit an der Studie über das Bundeskriminalamt [3] und verwies auf die - etwa im Vergleich zur Unabhängigen Historikerkommission (UHK) des Bundesnachrichtendiensts (BND) - begrenzten Ressourcen. Eine Tiefenanalyse des gesamten MAD-Personals war so nicht möglich. Stattdessen nimmt Hammerich die verschiedenen Generationen vor allem des MAD-Führungspersonals und deren Herkunft in den Blick. Dabei kommt er zu dem Schluss: "Die Aufbaugenerationen des MAD waren eine Mischung aus nachrichtendienstlichen Experten mit Vorzeit in der Wehrmacht und in der Abwehr, kriegsgedienten Soldaten ohne nachrichtendienstliche Erfahrung, ehemaligen Polizisten und Zollbeamten, aber auch Berufsanfängern" (460).

Bedeutsam für einen behördenübergreifenden Vergleich von NS-Belastungen ist Hammerichs Fazit: "Im Gegensatz zu den anderen Diensten auf Bundesebene waren die braunen Wurzeln des frühen MAD aber eher dünn" (460). Verantwortlich dafür, so Hammerich, waren die funktionierenden Filter der Bundeswehr bei der Personalrekrutierung sowie die Angst vor nachrichtendienstlich erpressbaren NS-Tätern. Beim Aufbau des MAD, der organisatorischen Gliederung und dem methodischen Vorgehen schienen hingegen die alten Traditionen der Wehrmacht und ihrem "Amt Abwehr" erkennbar durch. In ihrem Berufsethos verstanden sich die MAD-Mitarbeiter der ersten Jahre aber in erster Linie als "Agentenjäger".

Spionageabwehr - bis heute zusammen mit dem Geheimnisschutz und der Extremismusabwehr eines der drei Arbeitsgebiete - stand für den MAD also bis in die 1970er Jahre an erster Stelle. Dabei zeigt Hammerich - leider nur an exemplarischen (und an öffentlich bereits bekannten) Einzelfällen -, dass der MAD im Vergleich zu seinen Gegnern in der DDR und der UdSSR mit geringen Ressourcen auskommen musste und meist nur reaktiv arbeiten konnte. Zu Beginn der 1970er Jahre sprach der MAD von rund 3.000 aufgeklärten Spionagefällen gegen die Bundeswehr. Bis 1961 zählte er allerdings rund 16.000 Ost-Agenten, was als deutliches Anzeichen für die hohe Dunkelziffer an unerkannten Operationen gewertet werden kann.

Mit dem Entstehen der der Roten Armee Fraktion (RAF), die die Bundeswehr als eines ihrer Feindbilder auserkoren hatte, wandelten sich die Prioritäten des MAD. Extremismusabwehr, fast ausschließlich als linksextremistische, kommunistische und anarchische Umtriebe definiert, wurde fortan immer wichtiger. Dass der MAD gleichzeitig mit seinen rund 2.000 Mitarbeitern auch noch über 200.000 Sicherheitsüberprüfungen jährlich zu bewerkstelligen hatte, verdeutlicht wiederum, wie mit knappen Ressourcen ein breites Aufgabenfeld bespielt werden musste. Gleichzeitig, auch dies erfasst Hammerich, mussten für die "Aufbaugeneration" erst zu erlernende demokratische und rechtliche Vorgaben beachtet werden. Dies führte zur Herausbildung spezifisch behördlich-bürokratischer Mentalitäten. Spektakuläre Erfolge oder ein "Besiegen" der zahlreichen Gegner waren so nicht möglich.

Bis in die 1970er Jahre jedoch schaffte es der MAD, der wie Verfassungsschutz und BND lange auf eine offizielle Presse- und Öffentlichkeitsarbeit verzichtete, als "Geheimdienst ohne Skandal" zu gelten. Dann fiel auch er durch illegale Abhöraktionen und handfeste Skandale wie die unappetitliche "Kießling-Wörner-Affäre" auf. Dass MAD-Vize Joachim Krase, Leiter der Spionageabwehr, ab 1969 bis zu seiner Pensionierung 1984 auch noch für die DDR spioniert hatte, ließ das Ansehen des Dienstes zum Ende des Kalten Krieges auf den Nullpunkt sinken. Da halfen auch vier Tatortfolgen zwischen 1977 und 1984 wenig, die den MAD in einem günstigen Licht zeigten und durch eine Zufallsbekanntschaft zustande kamen.

Hammerichs Studie über den MAD bietet einen grundsoliden Überblick über Organisation, Mentalitäten, Personal, Aufgabengebiete und öffentliche Wahrnehmung des MAD. Der Verfasser zeigt, dass diese Art der Behördengeschichtsschreibung in einem auch für breite Bevölkerungsschichten verdaulichen Umfang und zu einem vertretbaren Preis möglich ist. Kleinere Schwachpunkte der Studie tun dem insgesamt überzeugenden Charakter dabei wenig Abbruch: Die einleitenden Kapitel kommen als "kurze Geschichte der Spionage" und des Kalten Krieges daher, bleiben aber fragmentarisch und weisen nur wenig organische Verbindungen mit dem Rest des Buchs auf. Dieser Raum hätte für mehr Tiefe in der Darstellung der MAD-Arbeit, mehr (unbekannte) Fallbeispiele sowie mehr Quervergleiche genutzt werden können. Ungleich schwerer wiegt, dass der Autor 2017 aus seinem Projekt heraus innerhalb der Bundeswehr versetzt wurde, was erkennbar negative Auswirkungen hatte, wie z.B. bei der Rezeption des Forschungsstandes.

Dennoch ist es Hammerich gelungen, eine in sich geschlossene, lesbare und informative Behördengeschichte des MAD vorzulegen. Der erste Schleier ist gelüftet, und zum Vorschein kam viel unaufgeregtes Grundwissen. Oft ist der Leser geneigt zu fragen, warum diese Geschichte(n) so lange als geheimhaltungswürdig erachtet wurden. "Stets am Feind" kann zu einer Normalisierung von Debatten über die deutschen Nachrichtendienste beitragen und zu mehr Gelassenheit im Umgang mit dem MAD führen. Dazu - auch dies muss bei jeder Behördengeschichte angemerkt werden - kann dieses Projekt aber nur ein erster Schritt gewesen sein.


Anmerkungen:

[1] Florian Flade, https://www.welt.de/politik/deutschland/article160310739/Das-ist-der-geheimste-aller-Geheimdienste.html (28.01.2020).

[2] Eckart Conze u. a.: Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik, München 2010.

[3] Imanuel Baumann u. a.: Schatten der Vergangenheit. Das BKA und seine Gründungsgeneration in der frühen Bundesrepublik, Köln 2011.

Christopher Nehring