Detlev Freigang: Das Porzellan Ostasiens und die Delfter Fayence. In Interieurs dynastischer Inszenierungen & politischer Selbstvergewisserungsstrategien im Europa des 17. und 18. Jahrhunderts (= Studien zur internationalen Architektur- und Kunstgeschichte; Bd. 132), Petersberg: Michael Imhof Verlag 2015, 351 S., 54 Farb- und 32 s/w-Abb., ISBN 978-3-7319-0135-8, EUR 69,00
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Zu den eigenwilligsten Raumschöpfungen des barocken Schlossbaus gehört zweifelsohne das Porzellankabinett. Dabei handelt es sich um ein Interieur, das durch wandfeste und frei stehende Installationen von zunächst ostasiatischen Porzellanen dominiert wird. Insbesondere im deutschsprachigen Raum wurde das Porzellankabinett im Verlauf des 18. Jahrhunderts zu einem innenarchitektonischen Topos. Bedingt durch den erfolgreichen Fernhandel der Vereinigten Ostindischen Kompanie waren die Niederlande - respektive deren nördlicher Teil, die Vereinigten Provinzen - seit dem 17. Jahrhundert das Zentrum der Porzellandistribution in Europa. Die Massierung des Angebots ließ in der dortigen Aristokratie und dem Patriziat die ersten Sammlungen und damit einhergehend die ersten Präsentationsformen entstehen. Parallel dazu etablierte sich eine florierende Fayenceproduktion, die sich ästhetisch an den Importprodukten orientierte. Neben ihrer Verwendung als luxuriöses Tafelgerät fanden die Keramiken Einsatz bei der Gestaltung repräsentativer Räume.
Der Frage nach der Genese und Ideengeschichte dieses Interieurtypus geht Detlev Freigang in seiner Studie nach. Der Autor konzentriert sich dabei auf den Umgang mit Porzellan durch die Dynastie der Oranier und die mit ihr verbundenen, weitläufigeren Familienzweige im Zeitraum von etwa 1630 bis 1730. Bei seinen Untersuchungen stützt er sich hauptsächlich auf die Auswertung und Interpretation von Inventaren, da die oranischen Porzellankabinette weder erhalten sind, noch zeitgenössisches Bildmaterial deren Gestaltung überliefert.
In der kurzen Einleitung betont der Autor seine Verwunderung über die seines Erachtens bis dato ungenügende Forschungslage. Gleichzeitig schickt er voraus, dass seine Studie weniger als kunsthistorische Erschließung denn als kulturgeschichtlich-soziologischer Diskurs zu lesen ist. Der Einleitung folgt ein Kapitel zur Forschungsgeschichte in drei Abschnitten an. Mit Erläuterungen seines methodischen Ansatzes, Klärungen zu den Begriffen "Porzellan" und "Kabinett" sowie zeitlicher und räumlicher Eingrenzung fährt Freigang fort und schließt hier mit einer Arbeitshypothese ab, die eine enge Definition des Begriffs "Porzellankabinett" vorstellt. Zum einen sieht der Autor die Lage des Raums und Ausstattungsmerkmale wie Spiegel und Deckengemälde, zum anderen die im höfischen Zeremoniell angelegte Zweckdienlichkeit und eine politisch-dynastische Aussage als konstitutiv an. In zwei weiteren Kapiteln geht Freigang auf Porzellan als Wirtschaftsfaktor ein, wobei er die Ambivalenz des Materials als repräsentativem Objekt und Gebrauchsgut gelungen problematisiert, und raisoniert über die Vorbildfunktion der älteren Kunst- und Wunderkammern. Es folgt das spannendste Kapitel der Studie, in dem die soziokulturellen Verständnisse von Porzellan und der damit gestalteten Interieurs erörtert werden. Zur Überprüfung der darin entwickelten Thesen folgt der Hauptteil der Studie, eingeleitet von einem Überblick des politisch-dynastischen Kontextes des Hauses Oranien. Daran schließen sich ausführliche Interpretationsversuche des oranischen Keramikbesitzes an, gegliedert nach den verschiedenen Familienlinien (Oranien-Nassau, Hohenzollern, Oranien-Nassau-Dietz, Anhalt-Dessau, Pfalz-Simmern, Oranien-Stuart und Hessen-Kassel) sowie den von den Familienmitgliedern genutzten Gebäuden, die nach den überlieferten Inventaren (oder anderen Aufzeichnungen) ein Porzellankabinett besaßen bzw. für die sich demnach ein keramischer Bestand erschließen lässt. Zur Schärfung seiner These, dass das Porzellankabinett im Untersuchungszeitraum eine genuine Schöpfung der calvinistischen Oranier zur Durchsetzung politisch-dynastischer Ansprüche war, vergleicht der Autor im Anschluss als alternativ begriffene Strategien des Umgangs mit porzellandominierten Interieurs in katholischen Kontexten. Den Textteil beschließen drei Exkurse, wovon die Edition einer höfischen Gelegenheitsdichtung auf das Oranienburger Porzellankabinett von Friedrich III. von Preußen (bzw. König Friedrich I.) einzig bemerkenswert ist.
Als zweiten Teil der Studie hat der Autor nicht weniger als 32 teils bislang unpublizierte Inventare in den porzellanrelevanten Teilen transkribiert und damit erstmals der Forschung zugänglich gemacht. Mit angemessenen Einleitungen und Anmerkungsapparat werden die Aufstellungen des jeweiligen keramischen Besitzes erschlossen. Der Entschluss, die Anmerkungen hier teils am Schluss eines Transkripts zu versammeln, teils abschnittsweise einzufügen, ist allerdings etwas verwirrend.
Zu bemängeln ist das wenig sorgfältige Lektorat, der Autor neigt zur Redundanz und Wiederholung, zudem wären orthografische und grammatikalische Ungenauigkeiten vermeidbar gewesen. Auch erschließt sich den Lesenden nicht die Verteilung der Textabbildungen, die anscheinend ohne Beziehung in den Textteil eingestreut sind. So ist beispielsweise nicht nachvollziehbar warum der Abschnitt über die so genannten "holländischen Küchen" mit einer großformatigen Abbildung des Charlottenburger Kabinetts und eben nicht mit dem behandelten, andersartigen Interieur kombiniert wird (141-143), wenn es dem Autor doch darum geht, die Differenzen aufzuzeigen. Der Bildteil mit unübersichtlichem Layout lässt bei einer Vielzahl von Werken - insbesondere den dort vorgestellten Porzellanen - die notwenigen Angaben zum Besitz vermissen; wiederum bleibt unverständlich, warum die ausgewählten Porzellanobjekte dort abgebildet werden. Im Textteil wird auf diese Abbildungen ebenso wenig Bezug genommen.
Von den formalen und im gewissen Sinne handwerklichen Mängeln abgesehen, ist die Studie von Freigang als wertvoller Beitrag zur Diskussion über den Sinn und die Bedeutung von Porzellankabinetten im 17. und 18. Jahrhundert zu betrachten. Als Rezipient oder Rezipientin sollte man sich aber sehr davor hüten, die vom Autor zumeist vorsichtig im Konjunktiv formulierten Schlussfolgerungen als faktische Aussagen zu übernehmen. Denn für seine Thesen, dass das Porzellankabinett nach seiner Definition von den Oraniern tatsächlich als Kommunikationsmittel zur Formulierung politisch-dynastischer Ansprüche verstanden und eingesetzt wurde, bleibt der Autor den historischen Nachweis letztlich schuldig. Umso erstaunlicher ist es, dass er das am preußischen Hof entstandene Gelegenheitsgedicht, in dem eine allegorische Analogie von Herrscher und Porzellan ausgebreitet wird, in einem Exkurs aus der eigentlichen Arbeit ausgeschieden hat. Als fahrlässig erscheint allerdings die Diminiuierung sämtlicher porzellandominierter Interieurs außerhalb der 'oranischen Hemisphäre' als lediglich ästhetische Raumschöpfungen. Dass der Autor in zeitlicher Nähe entstandene Interieurs wie in den Schlössern Bruchsal, Rastatt, Salzdahlum, Meersburg und Arnstadt teils überhaupt nicht erwähnt, erklärt sich durch die sehr eng gefasste Begriffsdefinition, bleibt letztlich aber nicht nachvollziehbar.
Christian Lechelt