Sören Flachowsky: "Zeughaus für die Schwerter des Geistes". Die Deutsche Bücherei während der Zeit des Nationalsozialismus, Göttingen: Wallstein 2018, 2 Bde., 1338 S., 78 s/w-Abb., ISBN 978-3-8353-3196-9, EUR 69,00
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Dass sich Institutionen mit ihrer zum Teil heiklen Vergangenheit im 20. Jahrhundert beschäftigen, ist mittlerweile keine Ausnahme sondern vielmehr die Regel. Zu dieser erfreulichen Tendenz trägt auch die Deutsche Nationalbibliothek bei. Sie hat die Geschichte einer ihrer Vorgängerinstitutionen, der Deutschen Bücherei in Leipzig, im Nationalsozialismus und in der SBZ/DDR in zwei Studien erforschen lassen. Dabei hat sich Sören Flachowsky mit der Bibliothek in der NS-Zeit befasst.
Entstanden ist dabei ein sachkundiges, aber mit zwei Bänden auch sehr langes Buch. Die Studie beginnt nämlich nicht mit dem Ende der Weimarer Republik, sondern nimmt die Entwicklung der Deutschen Bücherei von ihrer Gründung 1912 in den Blick. Auf diese Weise will der Autor eine "Verinselung" der NS-Zeit vermeiden. Methodisch stützt sich Flachowsky auf die "Neue Institutionengeschichte", sodass sich seine Studie sowohl auf das Innenleben der Deutschen Bücherei als auf deren Beziehungen zu anderen Akteuren, insbesondere aus der Politik, konzentriert.
Das Buch ist chronologisch in vier Kapitel gegliedert. Nach einem Überblick über die Gründung der Deutschen Bücherei durch den Börsenverein des Deutschen Buchhandels und einem zweiten Abschnitt über den langsamen Aufbau der Bibliothek im Ersten Weltkrieg folgt die Entwicklung der Deutschen Bücherei in der Weimarer Republik. Prägende Figur war Heinrich Uhlendahl, der von 1924 bis zu seinem Tod 1954 als Direktor amtierte. Er modernisierte nicht nur interne Abläufe und stärkte den Ruf der Deutschen Bücherei durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit, sondern führte auch die Deutsche Nationalbibliographie als zentrales Verzeichnis aller deutschen Druckschriften ein. Gerade mit dieser Maßnahme profilierte Uhlendahl die Deutsche Bücherei gegenüber der Preußischen Staatsbibliothek in Berlin, mit der man seit Gründungstagen um den Status der Nationalbibliothek konkurrierte.
Dabei legt Flachowsky schlüssig dar, dass die Deutsche Bücherei von Anfang an die Nähe der Politik suchte. Dies war vor allem bei den regelmäßig auftretenden finanziellen Schwierigkeiten der Fall. So wurde die Bibliothek von der Stadt Leipzig, dem Land Sachsen und später auch dem Deutschen Reich finanziert. Zeichnete sich ein Etatloch ab, bemühte man die staatlichen "Garanten" um Unterstützung.
Diesen Austausch behielt die Deutsche Bücherei ebenfalls im Nationalsozialismus bei. Flachowsky schildert im vierten Kapitel eingehend, wie eng die Leipziger Bibliothek und das NS-Regime zum beiderseitigen Vorteil miteinander kooperierten. Mit dieser Darstellung entkräftet der Autor nachhaltig das bis heute in der Literatur vorherrschende Narrativ von der "missbrauchten" Bibliothek.
Im NS-Staat war das Propagandaministerium für die Deutsche Bücherei zuständig. Joseph Goebbels fand Gefallen an dem Haus und förderte es entscheidend. So ordnete er 1935 die lange umstrittene Pflichtabgabe von Publikationen an die Leipziger Bibliothek an. Außerdem stellte das Ministerium die Deutschen Bücherei gegenüber den staatlichen Bibliotheken gleich, indem es das Haus aus der Trägerschaft des Börsenvereins löste und zu einer Anstalt des öffentlichen Rechts erklärte.
Die Deutsche Bücherei wiederum richtete ihre Arbeit aktiv an den Bedürfnissen des Regimes aus. Rasch ließ die Direktion "schädliche" Bücher und Zeitschriften aus den Lesesälen entfernen und initiierte eine Bibliographie zum nationalsozialistischen Schriftgut. Daneben unterstützte sie den Sicherheitsdienst der SS und stellte beflissen die Sammlung samt Katalogdaten für dessen "Gegnerforschung" zur Verfügung. Ohne Skrupel beteiligte sich die Deutsche Bücherei zudem am Bücherraub durch NS-Organisationen - etwa nach dem "Anschluss" Österreichs - und nahm beschlagnahmte Werke in ihre Sammlung auf. Flachowsky erklärt die Kooperationsbereitschaft der Bibliothekare plausibel mit deren Selbstverständnis als loyale Staatsdiener gepaart mit einer nationalkonservativen Gesinnung, die Schnittmengen mit der NS-Bewegung besaß. Die ausgeprägte Folgsamkeit gegenüber den maßgeblichen politischen Instanzen zeigte sich auch unmittelbar nach dem Ende des NS-Regimes. Bereitwillig halfen die Bibliothekare dem US-amerikanischen Militär, das Leipzig vor den sowjetischen Truppen erreichte, bei der Kopie der eigenen Kataloge.
Die Studie von Sören Flachowksy macht es dem Leser nicht leicht. Einerseits besticht sie durch die große Sachkenntnis des Autors und dessen intensives Quellenstudium. Neben einem umfangreichen Anmerkungsapparat enthält das Buch zahlreiche Tabellen und Bilder, was es zu einem profunden Nachschlagewerk zur Geschichte der Deutschen Bücherei zwischen 1912 und 1945 macht. Andererseits fällt der Umfang der Studie mit über 1000 Seiten negativ ins Gewicht. Um die Entwicklung der Deutschen Bücherei im Nationalsozialismus angemessen einordnen zu können, ist es sicher richtig, nicht 1933 zu beginnen. Dass der Autor aber ausführlich die Geschichte der Bibliothek von ihrer Gründung an beschreibt, greift zu weit. Eine konzentrierte Darstellung der wesentlichen Entwicklungslinien der Deutschen Bücherei in der Weimarer Republik wäre zielführender gewesen.
Als "Vereinsbibliothek" gegründet, entwickelte sich die Deutsche Bücherei innerhalb von drei Jahrzehnten zur größten Bibliothek Deutschlands. Wesentlich für diesen Aufstieg waren rege Beziehungen zu den politischen Akteuren, nicht zuletzt im Nationalsozialismus. In einem angenehm nüchternen Ton zeichnet Sören Flachowsky die Geschichte der Leipziger Bibliothek in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts überzeugend nach. Sein umfassendes Buch stellt daher eine zentrale Referenz für zukünftige Forschungen zum Bibliothekswesen in dieser Zeit dar.
Bertram Triebel