Christian Kuchler / Andreas Sommer (Hgg.): Wirksamer Geschichtsunterricht (= Unterrichtsqualität: Perspektiven von Expertinnen und Experten; Bd. 6), Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren 2018, 241 S., ISBN 978-3-8340-1905-9, EUR 19,80
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"Welche Qualität hat der Fachunterricht in unseren Schulen? Ist er wirksam? Erreicht er seine Ziele?" Auf diese drei Fragen aus dem Werbetext des Rückdeckels gibt das Buch keine Antwort, und auch der Titel des hier zu besprechenden Bandes lässt anderes erwarten und mag vielleicht aus vermarktungsstrategischen Gründen von den Reihenherausgebern gewählt worden sein. Ist doch "wirksam" die derzeit so häufig gebrauchte Formel für die Verbesserung von Unterrichtsqualität, die evidenzbasierte, praxisrelevante Erkenntnisse der Bildungsforschung verbürgen soll. Vielmehr handelt es sich um einen gleichwohl sehr lesenswerten Interviewband mit "Expertenmeinungen" (17) zu Qualitätserwartungen und -kriterien von Geschichtsunterricht, in denen natürlich auch vor dem Hintergrund empirischer Forschung argumentiert wird. Der Reihentitel "Unterrichtsqualität: Perspektiven von Expertinnen und Experten" trifft also den Fokus der Bände deutlich präziser.
Es ist der sechste Band einer elfbändigen Reihe, mit der sich die Reihenherausgeber der Frage nach "gutem" Fachunterricht nicht über Metaanalysen, sondern über die Expertise aus den verschiedenen Fachdidaktiken nähern möchten. Gegliedert ist das Buch in vier Abschnitte: Auf eine Einführung der Reihenherausgeber (9-18) folgt eine fachspezifische Einleitung der beiden Bandherausgeber (19-26). Den Hauptteil bilden 20 hier niedergelegte, schriftlich geführte Experteninterviews, ein Fazit der beiden Herausgeber beschließt den Band.
In ihrer Einführung präzisieren die Reihenherausgeber die Zielsetzung der Buchreihe, mit der gefragt werden soll, "wie wirksamer Fachunterricht gelingen kann" (11). Ein Angebot-Nutzungs-Modell (ebenda) und eine Übersicht zu fachunspezifischen Kriterien von Unterrichtsqualität (15) fungieren als Hinführung, die das Desiderat einer intensivierten fachdidaktischen Forschung zur fachspezifischen Unterrichtsqualität verdeutlichen soll. Im letzten Satz erfolgt jedoch recht unvermittelt ein Schwenk auf den Fokus der Reihe, nämlich auf "erlernbare Lehrkompetenzen, die eine Lehrkraft in die Lage versetzen, ihre beruflichen Anforderungen professionell zu erfüllen" (17).
In der Einleitung der Bandherausgeber sind deren Bemühungen zu spüren, den in der Reihe vorgegebenen Begriff "wirksam" auf das eigentliche Thema der Interviews zu wenden: Christian Kuchler und Andreas Sommer rücken ihn in die Nähe der Begriffe "praxistauglich" und "nachhaltig" "aus der Perspektive der Unterrichtsgestaltung" (19), ohne damit ökonomisches Optimierungsstreben oder allgemeingültige "Rezepte" zu intendieren. Im Zentrum stehen also Einschätzungen zu Gelingensbedingungen von Geschichtsunterricht.
Drei Expertengruppen, insgesamt 20 Expertinnen und Experten des Geschichtsunterrichts, wurden in schriftlichen Interviews im Anschluss an kurze Kontextualisierungen um Antworten auf zehn Fragen ersucht: zehn Professorinnen und Professoren aus der universitären Geschichtsdidaktik, fünf Lehrkräfte, die in der zweiten Phase der Lehrerbildung tätig sind, sowie fünf aktive Lehrkräfte, die in den letzten Jahren besonders erfolgreich Wettbewerbsarbeiten des Geschichtswettbewerbs des Bundespräsidenten tutoriert hatten, was sicherlich ein starker Hinweis auf hohes Interesse am Fach und an innovativen Zugängen und Methoden ist. Mit acht Frauen und zwölf Männern aus Deutschland (dabei sind Vertreterinnen und Vertreter aus zehn der 16 Bundesländer repräsentiert), aus Österreich und der Schweiz präsentiert der Band eine panoramatische Zusammenschau von Professionseinschätzungen und subjektiven Erfahrungsberichten. Für alle Einzeltitel der Reihe wurden acht gleichlautende Fragen gestellt, zwei Fragen - in diesem Band die beiden letzten - boten Raum für fachspezifische Anliegen. Mit der Dokumentation der zehn Fragen sowie der den Gesprächspartnern vorgelegten Kontextualisierungen (23-26) endet die Einleitung.
Im Fokus der Fragen steht die Lehrperson als Akteur der Unterrichtsplanung und als für die Initiierung der unmittelbaren Lernprozesse im Geschichtsunterricht verantwortliche Person. Gefragt wird also "von der Angebotsseite aus" (227) nach professionellen Kompetenzen und Qualitätsmerkmalen von Unterricht, nach fachspezifischen Konzepten, Methoden und Herausforderungen bei der Durchführung (Lernumgebung und Lehr-Lernformen, Differenzierung, wiederkehrende fachspezifische Herausforderungen, Konzeption von Aufgaben), nach Handlungsempfehlungen für Novizen sowie nach den Spezifika von Geschichtsunterricht. In den zwei klug gewählten fachspezifischen Fragen baten die Herausgeber abschließend um Äußerungen zum gegenwärtigen Leit- oder Hauptmedium des Geschichtsunterrichts und seiner Handhabung und um Anmerkungen zu notwendigen Veränderungen des Geschichtsunterrichts angesichts der Diversität in den Klassenzimmern der Migrationsgesellschaft.
Die befragten Personen nahmen die ihnen zugewiesene Expertenrolle zu allen Fragen fast ausnahmslos an und gaben damit Einblicke in ihr Professionswissen und ihre Überzeugungen von gutem Geschichtsunterricht. 25.000 Zeichen als Höchstzeichenzahl sorgten für Beschränkung. Da diese für die zehn Antworten individuell verteilt werden konnten, lässt die Proportionierung der einzelnen Antworten bereits einige interessante Priorisierungen erkennen. Auch die von den Expertinnen und Experten selbst gewählten Überschriften ihres Interviews geben als prägnante Titel erste Hinweise auf die hier versammelten zum Teil sehr heterogenen Einschätzungen und Überzeugungen zu Herausforderungen, Lehrerkompetenzen und fachspezifischen Konzepten von Geschichtsunterricht (z.B. "Fachdidaktik als Hilfe zur Selbsthilfe. Geschichtslehrkräfte zwischen Professionalisierung und Menschsein" (27), "Geschichte verstehen heißt Geschichten erzählen" (71) oder "Geschichtsunterricht - eine Schule historischen Denkens" (88)). Die Interviews sind in der alphabetischen Reihenfolge der Autorennamen angeordnet und können und wollen natürlich keine Repräsentativität beanspruchen. Doch ergibt sich in dieser Zusammenschau ein facettenreiches, geschichtsdidaktisches Lesebuch, das vielfältige Lektüren ermöglicht: Autorenweise von Anfang bis Ende, nach Expertengruppen oder auch quer, indem man zu jeder einzelnen Frage 20 Antworten liest, die zur Diskussion der hier formulierten Überlegungen anregen.
Im abschließenden Fazit der beiden Herausgeber (226-241) werden die gesammelten "Professionseinschätzungen" (226) des Interviewprojekts ausgewertet. Für die Rezensentin überraschend fielen die Antworten auf die Frage nach dem gegenwärtigen Leit- oder Hauptmedium des Geschichtsunterrichts aus. Während ein Teil der Befragten wie von ihr erwartet sich über das Schulbuch und/oder digitale mediale Möglichkeiten äußerten, zeigten die übrigen Antworten eine überaus große Bandbreite, die auch als diffus zu charakterisieren ist und deutlich macht, dass ein konziser geschichtsdidaktischer Medienbegriff und seine Implementierung in die Unterrichtspragmatik noch immer ein Desiderat darstellen.
Von besonderem Interesse sind schließlich die von den Herausgebern im Resümee zusammengestellten Beobachtungen zu den Unterschieden und Schwerpunktsetzungen zwischen den drei Expertengruppen. Die größte Differenz, dass aktive Lehrkräfte zumeist stärker als Pädagoginnen bzw. Pädagogen und /oder Klassenlehrkräfte (v.a. in der Grundschule) argumentierten und eine fachspezifische geschichtsdidaktische Reflexion von Geschichtsunterricht nicht zuerst im Blick hatten, ist dabei keine Neuigkeit. Dies bestätigten auch Befunde aus der empirischen Forschung und hochschuldidaktische Erfahrungen, nach denen Theorieskepsis und Transferprobleme geschichtsdidaktischen Denkens in die berufliche Praxis bereits während der ersten Phase der Lehrerbildung erkennbar werden. Der Titel "Die Ansprüche der Theorie und die Tücken der Praxis" (62), den Ulrich Baumgärtner seinem Beitrag gab, beschreibt damit paradigmatisch die Problemlage. Die Frage bleibt, welche Konsequenzen aus diesem seit Jahrzehnten zu beobachtenden Gap zu ziehen sind. Befragten Geschichtslehrkräften den Expertenstatus für Geschichtsunterricht abzusprechen, wie dies in einer Rezension über diesen Band zu lesen war, dürfte jedenfalls keine Lösung sein und fällt hinter vielversprechenden didaktischen Konzepten zurück, in einer Situation der Unterschiede Partner aus unterschiedlichen Sphären - wie Schule und Universität - in den Dialog treten zu lassen.
Dass es den guten Geschichtsunterricht nicht gibt, ist am Ende der Lektüre ein Ergebnis, das nicht überrascht. Nachhaltigkeit von Geschichtslernen und Geschichtsunterricht oder die Behauptung derselben ist schließlich auch kein Qualitätskriterium per se, sondern muss um andere Qualitätskriterien ergänzt werden. In dem Interviewband wurden zahlreiche Qualitätskriterien genannt und deren Relevanz erläutert. Deren Umsetzung kann zum Gegenstand weiterer Forschungen zur Professionalisierung von Geschichtslehrkräften avancieren. Als normative Setzungen, Vorschläge und Zielvorstellungen von Geschichtsunterricht im 21. Jahrhundert müssen sie aber zunächst reflektiert und diskutiert werden. Dazu lädt dieser Band ein.
Charlotte Bühl-Gramer