Ronald G. Asch: Vor dem großen Krieg. Europa im Zeitalter der spanischen Friedensordnung 1598-1618, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2020, 446 S., ISBN 978-3-534-27222-8, EUR 49,99
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Studien über Deutschlands Konfessionelles Zeitalter betonten in den letzten zwanzig Jahren wiederholt, dass konzeptionelle Grundlagen für die Überwindung der konfessionellen Konfrontation schon vor dem Dreißigjährigen Krieg gefunden worden seien. Weil sich im frühen 17. Jahrhundert das Scheitern der Augsburger Friedensordnung von 1555 (eine Archäologie zukunftsweisender interkonfessioneller Friedenskonzepte muss bereits bei den dorthin führenden Debatten seit 1552 einsetzen) abzeichnete, propagierten politische Praktiker, wie Zacharias Geizkofler oder Herzog Johann Friedrich von Württemberg, den "composition tag", einen Runden Tisch ohne Abstimmung und Majorisierung; das Postulat wird sich ja, sogar terminologisch als "amicabilis compositio", im Westfälischen Frieden niederschlagen. Und die frühe Politologie umkreiste mit der Staatsräson einen Terminus, der ihren eigenen Sachzwängen gehorchende Politik auf den Begriff brachte. Die "ratio status" erreichte Mitteleuropas Gelehrtenpulte und Ratsstuben just, als die fromm eifernde Flugschriftenliteratur ihr militantes Allzeithoch erklomm.
Diese frappierende Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen ist Experten für mitteleuropäische Geschichte bekannt, scheint aber gar nicht der Ausgangspunkt für Ronald G. Asch gewesen zu sein, wenn er uns nun ganz Europa um und nach 1600 als (zwar fragile) Friedensordnung vor dem schlimmsten aller Konfessionskriege vorstellt. Asch stützt sich vor allem auf Forschungen zur spanischen und zur englischen Geschichte, auch Frankreich und die Niederlande hat er im Fokus; das Alte Reich bleibt lange Zeit eher am Rand, uns weit ausholend "Imperien zwischen Konsolidierung und Krise" vorstellend, verweilt Asch achteinhalb Seiten lang im Reichsverband. Dazu fügt sich, dass er vermeintlichen Synergieeffekten zwischen Konfession und Staatsbildung gegenüber skeptisch ist: Denn solche konnten ja noch am ehesten für die Welt der mitteleuropäischen Kleinterritorien plausibel gemacht werden.
Asch erhebt einen friedenspädagogischen Anspruch: Religiös motivierte Gewalt kenne ja auch unsere Moderne und wenn es darum gehe, "die Regeln für ein Zusammenleben in einer pluralistischen Gesellschaft auszuhandeln", liege "die Lösung nicht notwendigerweise in einem radikalen Laizismus" (327). Das könne man im Blick auf die Jahre um 1600 lernen, denn "auch wenn am Ende die Suche nach Frieden scheiterte", wurden damals doch "intellektuell und politisch [...] Fundamente gelegt, auf denen eine spätere Generation 1648 [...] ein solideres Gebäude errichten konnte" (9).
Warum schien das damalige Europa in ein Miteinander mehrerer Konfessionen hineinzufinden? Spanien, die selbsternannte Leitmacht der Gegenreformation, stieß an fiskalische Grenzen und war, auch deshalb, der vielen unter Philipp II. geführten Kriege überdrüssig. Jakob I. von England gerierte sich als Friedensfürst (dass das in Flugschriften wie diplomatischen Korrespondenzen unisono missbilligt und Jakob "extreme irresolution" angekreidet wurde, eine für das damalige Denken über den Frieden bezeichnende Konnotierung, scheint Asch entgangen zu sein). Frankreich sei nach acht Hugenottenkriegen erschöpft gewesen, auch anderswo präsentierten sich jedenfalls die Staatskassen so. Aber auch pazifizierende geistesgeschichtliche Ansätze macht Asch aus. So habe man das Martyrium "sublimiert sowie internalisiert" (26), hin zu Askese und Caritas. Die späthumanistische "res publica litteraria" habe "nach einem intellektuellen Vokabular" gesucht, "das die Verständigung über die Lagergrenzen hinaus erlaubte" (19) und sei beispielsweise bei ersten Ansätzen zu einem Ius inter gentes fündig geworden.
Es gehört zu den Stärken des gewichtigen Buches, dass Asch das Scheitern aller hoffnungsvollen Neuansätze herausstreicht; der Dreißigjährige Krieg fällt bei ihm, salopp gesagt, nicht einfach vom Himmel und er wurde auch nicht einem angeblich befriedeten Reich, das längst mit sich im Reinen war, vom bösen Ausland aufgezwungen (eine in der Jubiläumsliteratur von 2018 beliebte Sichtweise). Fasst man die vielschichtigen Reflexionen über das Warum des Scheiterns aller zukunftsweisenden Friedensimpulse pointiert zusammen, hat es überall an Grundvertrauen (Asch verwendet den Begriff nicht) gefehlt: Wer für Kompromisse warb, evozierte bei der anderen Konfession, das Wort begegnet häufig, "Misstrauen" und galt der eigenen als "Verräter". Hinzu kam auf allen Seiten ein Fatalismus, der den großen Konfessionskrieg als mittelfristig sowieso unvermeidlich einstufte; zumal auf calvinistischer Seite paarte er sich mit der Naherwartung des Weltendes, "immer lauter wurden im frühen 17. Jahrhundert die Stimmen derjenigen, die einen nahenden eschatologischen Endkampf heraufbeschworen" (128). Sodann weist Asch auf einen folgenreichen Generationenwechsel hin: Lerma, der Propagandist einer spanischen Friedenspolitik, zog sich seit 1617 aus der Politik zurück; in den Niederlanden stürzte Oldenbarnevelt; in Wien folgte auf einen schwachen, aber nicht militanten Kaiser der eifernde Gegenreformator Ferdinand. Zu beiläufig, in einem Halbsatz (vgl. 265), streift Asch nach Ansicht des Rezensenten das Problem der Vertragstreue über Konfessionsgrenzen hinweg und wenn er konstatiert, dass "nicht offen dazu aufgerufen wurde", den Augsburger Religionsfrieden "aufzuheben" (286), ist das wenigstens schief: Denn dass unzählige Flugschriftenautoren Verträge mit "haereticis" für nichtig erklärten, warf eben doch das Problem der Bindekraft interkonfessioneller Vereinbarungen auf.
Der Autor ist in der Lage, sich auf die tiefe Frömmigkeit der meisten damaligen Akteure einzulassen. Die "konfessionelle Konfrontation" war für ihn keine "Theateraufführung für eine naive Öffentlichkeit" (314). Bei Christian von Anhalt macht Asch den Wunsch aus, "eine Situation herbeiführen zu können, in der die göttliche Vorsehung den Mangel eigener Ressourcen durch ihr Eingreifen kompensieren würde" (322). Beiläufig zieht sich durch das ganze Buch die Einsicht Aschs, dass sich im frühen 17. Jahrhundert alle Seiten als schwach, als (so immer wieder) "bedroht" ansahen: "Der Krieg brach 1618/19 weniger deshalb aus, weil die offensiven Strategien unterschiedlicher politischer Akteure aufeinanderstießen" (321), sondern weil sich alle Seiten mit dem Rücken an der Wand wähnten. Implizit konterkariert das die im Jubiläumsjahr 2018 häufig geäußerte Ansicht, vor vierhundert Jahren sei ein von Hegemonialgelüsten angetriebener "Staatsbildungskrieg" ausgebrochen. Auch denkbare ökonomische Antriebe dementiert Asch, für die meisten damaligen Akteure seien wirtschaftliche Interessen "von untergeordneter Bedeutung für außenpolitische Grundsatzentscheidungen" gewesen (241).
Dass sich im Rundblick über so viele Ländergeschichten einige Ungenauigkeiten einschlichen, ist unvermeidlich, so haben nicht "die Stände" Böhmens beschlossen, 1618 die kaiserlichen Räte Martinitz und Slavata "umzubringen" (303), das plante eine kleine Gruppe von Aktivisten. Dennoch darf man Asch attestieren, sich sehr umfassend eingelesen zu haben. Das treffende Diktum von der "Ruhe vor dem Sturm" wurde kundig in allen denkbaren Facetten entfaltet. Obwohl vom Alten Reich über weite Strecken nur sporadisch, konzentriert erst am Ende die Rede ist, und obwohl sich die Studie 1619/20 aus dem Konfrontationsgeschehen ausklinkt, lernen wir doch, dass der Dreißigjährige als interkonfessionellem Misstrauen entspringender Konfessionskrieg ausgebrochen ist.
Axel Gotthard