Peter Geiss / Dominik Geppert / Julia Reuschenbach (Hgg.): Eine Werteordnung für die Welt? Universalismus in Geschichte und Gegenwart, Baden-Baden: NOMOS 2019, 363 S., ISBN 978-3-8487-5378-9, EUR 69,00
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Dominik Geppert: Ein Europa, das es nicht gibt. Die fatale Sprengkraft des Euro, Hamburg: Europa Verlag 2013
Dominik Geppert: Pressekriege. Öffentlichkeit und Diplomatie in den deutsch-britischen Beziehungen (1896-1912), München: Oldenbourg 2007
Peter Geiss: Der Schatten des Volkes. Benjamin Constant und die Anfänge liberaler Repräsentationskultur im Frankreich der Restaurationszeit 1814-1830, München: Oldenbourg 2011
Der größere Teil dieses Bandes stammt aus Beiträgen einer Bonner Ringvorlesung von 2016/17. Der einleitende 'Problemaufriss' möchte diese 'Universalismen in transepochaler Perspektive' vorstellen. Nach westlicher politischer Überzeugung sollten Demokratie und Menschenrechte eigentlich für alle Menschen gelten und nach der Niederlage der kommunistischen Alternative den fälligen weltgeschichtlichen Triumph davontragen. Stattdessen werden diese Werte heute nicht nur von außen durch China, die Türkei und Russland in Frage gestellt, sondern auch von innen durch anti-globale Partikularismen, vor allem Nationalismen. Dabei sollten diese Gegensätze aber nicht exklusiv, sondern als Zusammenhang von Aktion und Reaktion wahrgenommen werden. Andererseits wäre der westliche Universalismus durch Präsentation vormoderner, nicht-westlicher Universalismen zumindest historisch zu überwinden.
Wie entstehen Universalismen, wie rechtfertigen sie sich, welche Gegenkräfte werden von ihnen ausgelöst, bis hin zu neuen Gegen-Universalismen, wie scheitern sie? Denn Universalismen stehen nicht in notwendigem Zusammenhang mit den Menschenrechten. Das Programm der abendländischen Universalmonarchie war nicht menschenrechtsorientiert und selbst das Christentum trat ursprünglich nicht mit Rechtsanspruch auf. Steht heute statt des menschenrechtlichen ein Universalismus digitaler Kontrolle wie in China vor der Tür? Gibt es nicht eine automatische Verknüpfung imperialer Großmachtansprüche mit universalen? Muss umgekehrt ein zwingender Zusammenhang zwischen Demokratie und Universalismus bestehen? Müssen wir Demokratie nicht statt als Triumph universaler politischer Vernunft bescheidener als Sicherung gegen Tyrannis wahrnehmen lernen?
Clemens Albrecht, 'Universalismen - Partikularismen. Zur Kultursoziologie von Geltungsansprüchen' beginnt mit dem modernen Universalanspruch auf Gleichheit, um von da aus die Gemengelage der Genese und Geltung von Universalismen und Partikularismen zu analysieren. Auch die Wissenschaft kommt mit einem eigenen universalen Geltungsanspruch daher. Albrecht unterscheidet Kulturen nach ihrem Geltungsanspruch und entwickelt ein Modell für Ablauf, Organisation und Anerkennung universalistischer Bewegungen. Udo Di Fabio, 'Das atlantische Völkerrecht zwischen staatlicher Partikularität und universeller Rechtsgeltung' schildert den langen Aufstieg des globalisierten atlantischen Völkerrechts bis zu seinen Krisen seit 2001. Die neue Multipolarität ähnelt danach geradezu dem Großraumsystem des Carl Schmitt von 1939. Der hochgelehrte Beitrag von Grit Straßenberger und Eva Marlene Hausteiner, 'Stabilität - ein (un)demokratisches Versprechen?' lotet das theoretische und empirische Spannungsfeld zwischen Demokratie, Stabilität und Normativität aus.
Konrad Vössing fragt 'Gab es in der Antike Heilige Kriege?'. Erwartungsgemäß ist die Antwort 'nein', mit Ausnahme des Kaisers Herakleios im 7. Jahrhundert. Dieser Längsschnitt lässt sich aber nur mühsam als Beitrag zu Universalismus betrachten. Der noch umfangreichere Beitrag von Judith Pfeiffer, 'Universal in Scope, Pluralist in Outlook: Rashid al-Din's (d. 718/1318) Compendium of Histories and the Narrating of Difference in Mongol Eurasia' hingegen konfrontiert Universalgeschichte im Sinne Schillers mit derjenigen Rashid al-Dins. Schillers Universalgeschichte aus europäischer Perspektive läuft auf einen philosophischen Sinn der Geschichte hinaus. Eigentlich wäre analog vom Islam eine teleologische Universalgeschichte des Aufstiegs der Rechtgläubigen zu erwarten wie bei Jarir al-Tabari (9./10. Jahrhundert). Stattdessen erzählt Rashid al-Din dezentrierte, pluralistische und ambivalente Geschichten von verschiedenen ungleichzeitigen Vergangenheiten, die der aktuellen Historiografie Ehre machen würden - ein universalhistorisches Kabinettstück! Michael Rohrschneider, 'Der universale Frieden als Leitvorstellung auf dem Westfälischen Friedenskongress (1643-1649). Probleme und Perspektiven der Forschung' kann dank der exzellenten Quellenlage überzeugend darlegen, dass von einem allgemeinen ständigen Frieden nicht die Rede sein konnte, sondern allenfalls vom Ringen um entsprechende konkurrierende Leitvorstellungen; also kein Modell für Europa oder den Nahen Osten, sondern eher eine Sammlung friedenspolitischer Instrumente.
Die Brücke zur jüngsten Zeit schlägt Martin Aust über 'Universalismen in der Geschichte Russlands und der Sowjetunion' von der heilsgeschichtlichen Rolle des 'dritten Rom' bis zum 'Gegenuniversalismus' Putins. Von Peter dem Großen ist die Rede, von russischen Universalismen und Gegenuniversalismen im 19. Jahrhundert sowie von Weltrevolution und Dekolonisation als universalen Projekten der Sowjetunion. Mahir Tokath, 'Der Aufstieg der AKP im Spannungsfeld zwischen Universalismus und Partikularismus' erklärt den Erfolg der türkischen Gerechtigkeitspartei langfristig durch dialektisches Pendeln zwischen Universalismen und Gegenuniversalismen, zwischen Zentrum und Peripherie. Dabei haben Kemalisten wie Islamisten jeweils ihren kulturellen Universalismus in nationalen Partikularismus überführt. Jan Eckel, 'Menschenrechte und die Gestaltung der internationalen Ordnung im 20. Jahrhundert' belegt, dass die Menschenrechte seit hundert Jahren zwar allgegenwärtig waren, die einschlägigen Ordnungsvorstellungen aber mehrfachem Wandel unterlagen. Ergänzend zeigt Dieter Gosewinkel, 'An der Grenze des Universalismus. Staatsbürgerschaft in der Geschichte Europas im 20. und 21. Jahrhundert', dass ungeachtet der Bedeutung der Menschenrechte die staatsbürgerliche Mitgliedschaft wichtiger ist denn je. Dominik Geppert, 'Tony Blair, der Irak-Krieg und das Erbe William Ewart Gladstones' betrachtet die Humanitäts-Interventionen des Premierministers Tony Blair (1997-2007) als Exempel eines neu belebten liberalen Universalismus. Auch wenn sich solche Vorstellungen wieder als illusionär erwiesen haben, so möchte Geppert sogar mit Henry Kissinger die Hoffnung auf eine bessere Welt nicht ganz aufgeben. Peter Geiss, 'Unterwegs zum Ende der Geschichte? Internationale Politik und Narrativität 1789-2016' kommt zum Schluss, dass universalistische wie gegenuniversalistische große Erzählungen von Friedrich Schiller bis Heinrich August Winkler durchaus politisch handlungsrelevant ausfallen können. Sie können blind machen bis zur Rechtfertigung von Gewalt.
Der Band ist zwar, wie in solchen Fällen üblich, sachlich eher ungleichmäßig ausgefallen. Die einzelnen Beiträge entsprechen aber dem Stand der Forschung und bewegen sich auf hohem bis höchstem Niveau. Und das Gesamtkonzept Universalismus konnte zumindest anregend problematisiert werden. Weltweit und in allen Epochen haben sich Machthaber gerne ausdrücklich als 'Weltherrscher' stilisiert. Freilich waren solche Ansprüche fast immer für alle Beteiligten offenkundig weit von der Realität entfernt. Das heißt aber, sprachlich vollmundige universale Programme reduzieren sich in der rauen politischen Wirklichkeit stets von selbst auf partikulare, höchstens auf hegemoniale. Sogar die Menschenrechte waren und bleiben ein hegemoniales Projekt des Westens. Das musste auch der vorliegende Band zur Kenntnis nehmen.
Wolfgang Reinhard