Rezension über:

Daniel Gethmann: Feld : Modelle, Begriffe und architektonische Raumkonzepte, Berlin: Diaphanes Verlag 2020, 328 S., ISBN 978-3-0358-0213-9, EUR 45,00
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Rezension von:
Gert Hasenhütl
Akademie der bildenden Künste, Wien
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Gert Hasenhütl: Rezension von: Daniel Gethmann: Feld : Modelle, Begriffe und architektonische Raumkonzepte, Berlin: Diaphanes Verlag 2020, in: sehepunkte 20 (2020), Nr. 10 [15.10.2020], URL: https://www.sehepunkte.de
/2020/10/34695.html


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Daniel Gethmann: Feld : Modelle, Begriffe und architektonische Raumkonzepte

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Architektur-, Medien- und Kulturtechnikforscher Daniel Gethmann schreibt eine diskontinuierliche Historiografie zur Entstehung und Verbreitung des physikalischen Begriffes "Feld". Die Zielsetzung besteht dabei darin, zu untersuchen, auf welchen verschlungenen Pfaden das naturwissenschaftliche Feldkonzept in die Architektur gekommen ist, als zu klären was es dort tut oder wie genau nun operationale Aneignungen von Feld-Modellen funktionieren. Die Untersuchung geht bis zum Punkt, wo der Feldbegriff beginnt in Architekturdiskurse einzugehen, weshalb sie nicht als eine Architekturgeschichte bewertet werden soll. Damit ist sie eher eine Vorgeschichte zur Ausbreitung des Feldbegriffes in der Architektur, weshalb der Teil zu Feld-Modellen in der Architektur auch vergleichsmäßig kurz ausfällt. Wie sehr kunst- und kulturwissenschaftliches Denken von einem physikalischen Feldkonzept beeinflusst wurde und werden kann, sowie welche Folgen das auf Wesen- und Substanzbegriffe hat ist eine weitere Zielsetzung. So wird z.B. aufgezeigt (158) wie sich anhand der Konzeption von "Feld" und "Äther" als "Quasi-Objekte" [1], d.h. als quasi elastische Festkörper, eine neue Ontologie von Physik der materiellen Massen hin zu einer relationalistisch gedachten Feldphysik bildet. Die Konsequenzen immer neuer Feldkonzepte auf Instanziierungen mentaler Modelle spielen dabei eine wichtige Rolle.

Die Untersuchung der Realitätsbedingungen der Übersetzungen des Feldbegriffes in entwerferische Praxen und eine Untersuchung der Konsequenzen dieser Übersetzungen jenseits von Metaphysik (10-15) eröffnen kulturtechnische, ideen -, und wissenschaftsgeschichtliche Angriffspunkte. Erkenntnistheoretisch kann das Buch als Hommage an Ernst Cassirer verstanden werden, insofern es das Narrativ einer Loslösung von Substanzbegriffen hin zu relationalen Funktionsbegriffen (233) aufnimmt. Entscheidend hier die Frage, von was ausgehend Erkenntnis gewonnen wird: Von materiellen oder eher immateriellen Phänomenen? (57) Im Kern geht es um die Rekonstruktion und Untersuchung von Schlüsselszenen der Übersetzung von naturwissenschaftlichen Feldkonzepten (8) in die Kulturwissenschaft und Kunst "die Aussagen über entscheidende Umbrüche in der Wissensordnung von elektromagnetischen Feldern ermöglichen" (23), wobei der Clou darin besteht, aufzeigen zu können, dass der Feldbegriff nicht über kulturwissenschaftliche Arbeit, sondern über die technische Mechanik verbreitet wurde. Die Auffassung kreativen Entwerfens wird dadurch demaskiert, weil gezeigt werden kann, dass es immer schon Wissensformationen gegeben hat, auf denen implizit aufgebaut worden ist.

Michel Foucault folgend wird eine "Diskursgeschichte der Verwendung des Feldbegriffes" (19) unternommen, d.h. es geht nicht darum, ausgehend vom Begriff "Feld" Vergegenständlichungen oder reale Phänomene zu identifizieren, sondern darum die Felder an denen Vorstellungen zum "Feld" auftreten können zu untersuchen. [2] Zu dieser Historiografie (28) kommt eine Analyse kultureller Praxen in Anwendung des Feldbegriffes, wodurch die diskursanalytische um eine kulturtechnische Perspektive erweitert wird (23). Unter Verwendung des operativen Konzeptes der Diskontinuitäten [3] sollen Umbrüche in einer Wissenschaftsordnung sichtbar gemacht werden, wodurch "kulturtechnische Muster" (22) in ihrer Wirksamkeit nachgezeichnet und analysiert werden können.

Bruno Latour folgend (56) liegt das Augenmerk in der Erfassung der "Kette der Übersetzungsprozeduren" und darin wie Forschende Erkenntnisse zum Phänomen "Feld" konstruieren. [4] Der Autor schildert Experimentalserien, in denen die Erzeugung von Referenz im Spannungsfeld von Welt (Gegenstände, Dinge) und der Sprache (Geist, Wörter) [5] nachvollzogen werden kann. Latours Bild vom Reissverschluss in dem beide dieser Welten über eine Kette von Übersetzungsschritten verwoben werden, wird hier durch die geschilderten Experimente und Übersetzungs- bzw. Überstellungsschritte komplettiert. Diese können als offene Transformationsketten gedacht werden, frei von der teleologischen Auffassung, das naturwissenschaftliche Konzept elektromagnetischer Felder sei aus dem Studium elektrischer Fische abzuleiten oder "folge" (98) aus diesem. Diese aktive und schrittweise [6] Erzeugung zirkulierender Referenz ist aber nicht technikdeterministisch gedacht, sondern stets antiteleologisch, weil nicht eine singuläre Referenz unterstellt wird.

Beispiele aus der experimentellen Wissenschaftsgeschichte zu Henry Cavendish's Forschungen zur Bioelektrizität (52-58), John Walsh's Torpedofischforschungen (66-72), William Henly's Fischmodellen (82f.), Georg Lichtenberg's Erforschung elektrischer Materie (117-127), James C. Maxwell's "Äthermodell" (135-147), Heinrich Hertz's "Scheinbildtheorem" (148-156) bilden die Basis zur Identifikation von Übersetzungsschritten. Die teilweise aus heutiger Sicht schnippisch-humorvollen Details bei den zitierten Experimentalgeschichten kompensieren die leider zu klein geratenen, drucktechnisch unliebsam-reproduzierten Abbildungen. Überschattet vom Kapitel zur Bioelektrizität als eine akkurate Experimentalgeschichte in der Rekonstruktion der Übersetzungskette "lebender Fisch", "gefangener Fisch", "Fisch im Aquarium", "getöteter-präparierter Fisch", "gezeichneter Fisch", "nachgebauter Modellfisch", "batteriebetriebener Modellfisch", zeigt das Buch in weiteren Stationen wie der naturwissenschaftliche Feldbegriff die Konzeption von Raum in der Architektur zu beeinflussen beginnt. Kulturwissenschaftliche Aneignungen von Pierre Bourdieu's sozialen Feldern (225-233), Wolfgang Köhler's Gestaltpsychologie (233-238) und Kurt Lewin's phänomenologischem Feldkonzept (241-260) schließen hier die Beispielreihe der Übersetzungen des Feldbegriffes in verschiedene Disziplinen.

Kernpunkt in der Architekturforschung ist die Analogiesetzung von Kraftlinien bei Michael Faraday, über Maxwell's physikalisches Analogiemodell, hin zu geometrischen Modellen in der Baustatik bei August Föppl (180-189). Maxwell's Formeln auf die Berechnung von Tragwerken anzuwenden wird als eine der zentralen Übersetzungsleistungen diskutiert. Gestützt auf Joachim Krausses Hinweis zu Föppls Transferarbeit zwischen technischer Mechanik und elektromagnetischer Feldtheorie (181, 209), kann die Übertragung von Feldgleichungen in die technische Mechanik, und damit die Übersetzung des Feldbegriffes in das Bauingenieurswesen, argumentiert werden. Ausgespart bleiben hier Raumvermessungen in der Elektrobiologie.

Die Beispiele aus der Kunst sollen verdeutlichen, wie der Feldbegriff zu einer "relationalen Denkfigur" (233) innerhalb von Architekturpraxis geworden ist. Dazu ist es aber wichtig zu sagen, dass es nicht darum geht, eine Geschichte der Architektur seit ca. 1985 zu schreiben, sondern den Anbruch eines neuen Denkens in der Architektur zu markieren, bestimmt von einem relationalen Denken in Feldern. Dass künstlerische Forschung innerhalb der Architektur ein Denken in Feldern in sich trage, wirkt vor dem Hintergrund der mühsamen Historiografie wie eine Verharmlosung der Komplexität ursprünglicher Theorien zum Feld. Die versammelten Aneignungsbeispiele des Feldkonzeptes werden manchmal zu Bemerkungen über das Konzept Feld, z.B. bei Jesse Reiser und Nanako Umemoto (288) oder Rem Koolhaas (274), weil nicht rekonstruiert wird, wie Praktizierende nun konkret begannen mit Feld-Konzepten zu arbeiten. Das bestätigt die Annahme, dass die Adaption von wissenschaftlichen Konzepten in der Architektur häufig enthistorisierend erfolgt, weil Begriffe und Konzepte einfach so verwendet werden. Was aber trotzdem deutlich wird ist, wie der Feldbegriff für Architekturschaffende zu einem Instrument wurde, das zur Findung von völlig neuen Aufgabenstellungen beigetragen hat.

Die feldartige Bestimmung parametrischer Formen, sowie dynamische Problemräume dienen der Hypothese, dass postmoderne Entwurfskontexte mehr und mehr von einem Denken in Feldern durchdrungen wurden. Architekturtheoretische Aussagen zum Feld von u.a. Sanford Kwinter (276, 281), Anthony Dunne und Fiona Raby (294), Philippe Rahm (296f.) werden kontrastiert durch Jane Rendell's und Rosalind Krauss' kurze Bemerkungen zum Feld-Konzept in der Architekturpraxis (298). Eine dichtere Beschreibung erfolgt hier nur bei Stan Allen und seinem Konzept der "Field Conditions" (274-289). Trotzdem bestrickt die Reihe der erwähnten Zitate praktizierender Architekturschaffender jene Skepsis, dass sich die Bezugnahmen in der Aneignung des Feldbegriffes mehr und mehr von inhaltlich-methodischen hin zu metaphorischen wegbewegen. [7] Zur Reihe postmoderner Architekturschaffender kommt die prominente Erwähnung von Horst W.J. Rittel's "wicked problems" (292). Hier wäre bei aller Kritik und Skepsis auch eine Erwähnung von Christopher Alexanders Auffassung des Designkontextes als Feld möglich gewesen, obwohl zu vermuten ist, dass dieser einen eher noch strukturalistisch geprägten Feldbegriff hatte, als einen naturwissenschaftlichen, wo er sich doch direkt auf Kurt Lewins Feldtheorie stützte. [8] Denn auch eine Hinterfragung von Rittel's Konzept zur Anschlussfähigkeit eines Denkens in Feldern erscheint vor aktueller Kritik als dringend angebracht. [9]

Das worüber auch hätte gesprochen werden können, aber was durch Architekturpraxis wohl eher nicht fassbar gemacht werden kann, wird im Zitat von Richard Feynman deutlich (285): Über den nicht vorstellbaren, abstrakt mathematischen Anteil eines Denkens in Feldern. Wo sich dann die Welterkenntnis vom Realen ablöst und nicht mehr durch Modelle instanziiert werden kann. So endet diese Geschichte mit der Erkenntnis, dass mit der Verwendung des Feld-Begriffes so etwas wie eine andere Architektur möglich wurde und wird, die wohl so einen ähnlichen Umbruch erlaubte wie z.B. Architekturkonzeptionen der Moderne mit ihrer Orientierung an Albert Einstein's Theorien zu Raum und Zeit, wo das Konzept der 4. Dimension Kunstschaffende geradezu neu beflügelte.


Anmerkungen:

[1] Vgl. Michel Serres: Der Parasit, Frankfurt a. M. 1987, 359; Bruno Latour: Wir sind nie modern gewesen, Frankfurt a. M. 1991, 78 und 104.

[2] Siegfried Jäger: Einen Königsweg gibt es nicht. Bemerkungen zur Durchführung von Diskursanalysen, in: Das Wuchern der Diskurse. Perspektiven der Diskursanalyse Foucaults, hgg. von Hannelore Bublitz / Andrea D. Bührmann / Christine Hanke / Andrea Seier, Frankfurt a. M. 1999, 136-147, 138.

[3] Michel Foucault: Archäologie des Wissens, Frankfurt a. M. 1981, 63.

[4] Vgl. Bruno Latour: Der 'Pedologen-Faden' von Boa Vista - eine photo-philosophische Montage, in: Der Berliner Schlüssel, hg. von Ders., Berlin 1996, 191-248, 194 und 205.

[5] ebd., 191-248, 238.

[6] ebd., 184.

[7] Vgl. Antoine Picon: Architecture and the Sciences. Scientific Accuracy or Productive Misunderstanding, in: Precision. Architecture between the Sciences and the Arts, ed. by Ákos Moravánszky / Ole W. Fischer, Berlin 2008, 48-81, 52-63.

[8] Vgl. Christopher Alexander: Notes on the synthesis of form, Cambridge 1964, 15, 20-26, 80f., 90, 214 f.2, 231 f.

[9] Vgl. Nick Turnbull / Robert Hoppe: Problematizing "wickedness". A critique of the wicked problems concept, from philosophy to practice, in: Policy and Society 38 (2019), Nr. 2, 315-337.

Gert Hasenhütl