Lutz Maeke: Carl Steinhoff: Erster DDR-Innenminister. Wandlungen eines bürgerlichen Sozialisten (= Veröffentlichungen zur Geschichte der deutschen Innenministerien nach 1945; Bd. 5), Göttingen: Wallstein 2020, 224 S., 27 s/w-Abb., ISBN 978-3-8353-3476-2, EUR 22,00
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Die hier vorzustellende Studie ist Teil eines großen Forschungsprojekts zur Nachkriegsgeschichte der Innenministerien in der Bundesrepublik sowie in der DDR. Auch wenn wesentliche Ergebnisse dieses Unternehmens, das den personellen Brüchen und Kontinuitäten in den beiden zentralen Ressorts von der NS-Diktatur bis in die beiden deutschen Staaten nach 1949 nachgeht, bereits in dem Band "Hüter der Ordnung" präsentiert wurden [1], so vermittelt Lutz Maekes Publikation als "Nachzüglerin" in den Details zusätzliche Einsichten. Im Mittelpunkt der Arbeit steht die politische Biografie von Carl Steinhoff (1892-1981), der in der SBZ und frühen DDR wichtige Regierungsämter bekleidete. Nach der Tätigkeit als Präsident der brandenburgischen Provinzialverwaltung und als Ministerpräsident des Landes Brandenburg leitete er von 1949 bis 1952 das DDR-Innenressort.
Maeke geht es weniger darum, die relativ kurze Zeit Steinhoffs als erster Innenminister im "Arbeiter- und Bauernstaat" in allen Verästelungen nachzuzeichnen. Vielmehr bettet der Autor das Kapitel in einen sehr viel komplexeren Lebensweg ein, der durch vier politische Systeme geprägt wurde. In seiner Einleitung weist Maeke darauf hin, dass Steinhoffs Werdegang keineswegs dem Idealbild eines hohen Funktionärs in der DDR entsprach (8). Vielmehr handelte es sich bei ihm, wie es der Untertitel des Buches nahelegt, um einen "bürgerlichen Sozialisten" mit einer ambivalenten politischen Haltung: einerseits hoher preußischer Verwaltungsbeamter und gemäßigter Sozialist vor 1933, andererseits ab 1945 konsequenter Verfechter des prokommunistischen Kurses in der SBZ/DDR. Der Autor versteht Steinhoffs Lebensweg als ein Beispiel, um hinter der bloßen Biografie die Frage nach den Kontinuitäten der Verwaltungselite über die politischen Zäsuren von 1933 und 1945 hinweg zu stellen. Damit gewinnt die Studie ein grundsätzliches Erklärungspotenzial.
Maekes Arbeit beruht auf einer intensiven Auseinandersetzung mit den Quellen. Die Recherchen haben ihn in mehr als 20 staatliche, kommunale, kirchliche sowie anderweitige Archive geführt. Von besonderer Bedeutung ist für ihn der schriftliche Nachlass Carl Steinhoffs. Dieser befand sich bis 2017 in Obhut der Familie und wurde dann ans Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung übergeben (13f.). Hinsichtlich der zurate gezogenen Forschungsliteratur bewegt sich der Autor auf dem aktuellen Stand.
In fünf Kapiteln führt Lutz Maeke durch Steinhoffs Biografie und bettet diese in ihren historischen Kontext ein. Prägnant beschreibt er die kaisertreu-bürgerliche Sozialisation des Sohnes aus einer preußischen Beamtenfamilie, seine von den Werten der Zeit geprägte humanistisch-protestantische Erziehung, den kurzen Fronteinsatz während des Ersten Weltkriegs und schließlich nach 1918 den beruflichen Aufstieg Steinhoffs im Staatsdienst. Dabei unterzieht der Autor die von seinem Protagonisten später getroffenen Selbstaussagen über den eigenen Werdegang immer wieder einer kritischen Überprüfung. Wenn Steinhoff in der DDR versuchte, sein Leben rückwirkend im Sinne der neuen politischen Verhältnisse umzudeuten, so kann Maeke, auf die von ihm ausfindig gemachten Quellen gestützt, die Unstimmigkeiten in dieser Selbstdarstellung nachweisen (53).
Steinhoff wird dem Leser als ein ambitionierter Verwaltungsfachmann mit kommunaler Expertise vorgestellt, der nicht zuletzt aus karriereförderlichen Erwägungen 1923 der SPD beitrat. Keinesfalls lasse sich bei ihm in der Weimarer Republik die später selbst angeführte linkssozialistische Haltung erkennen (46 u. 51f.). Vielmehr habe sich sein politischer Wertehorizont im Rahmen des unter staatlichen Verantwortungsträgern der Sozialdemokratie Üblichen bewegt. Parteipolitische Fragen waren für Steinhoff offenbar weniger relevant; stattdessen legen Maekes Ausführungen nahe, dass sein Denken und Handeln vornehmlich aus dem Blickwinkel der administrativen Exekutive geleitet wurden. Erst, als mit dem Untergang der Weimarer Republik die Laufbahn Steinhoffs ein vorläufiges Ende nahm, setzte er sich ausführlich und kritisch mit der vermeintlichen Schuld der SPD am Scheitern der Demokratie auseinander (88f.). Dabei unterließ es der von den Nationalsozialisten Geschasste aber völlig, über die mögliche eigene Verantwortung an exponierter Stelle - immerhin zuletzt als Vizeoberpräsident in Ostpreußen - nachzudenken.
In diesen einseitigen Vorstellungen vom angeblichen Versagen der Sozialdemokratie sieht Lutz Maeke eine wichtige Erklärung, weshalb sich Carl Steinhoff nach 1945 ohne erkennbares Widerstreben in den Dienst der neuen Machthaber stellte. Während viele andere SPD-Politiker in der SBZ zunächst den Führungsanspruch der Kommunisten ablehnten oder ihm zumindest reserviert gegenüberstanden, habe Steinhoff sich der von der sowjetischen Besatzungsmacht vorgegebenen Richtung bereitwillig untergeordnet. Dies kann Maeke etwa am Beispiel von dessen Position zur Zwangsvereinigung von SPD und KPD zur SED im April 1946 aufzeigen (130-134). Habe Steinhoff bei den ihm übertragenen Aufgaben einerseits an die Verwaltungserfahrungen aus der Zeit vor 1933 angeknüpft, sei er andererseits bereit gewesen, rechtsstaatliche Prinzipien auszuhöhlen: "[Steinhoff] passte sich geschmeidig sowjetischen Vorgaben an und unterwarf sich autoritätsgläubig. Und er sah am wenigsten ein Problem darin, wenn Praxis und Rechtsnorm voneinander abwichen" (191). Der in höchste Ämter aufsteigende Steinhoff, so lautet das ernüchternde Resümee, habe bereitwillig die politische Radikalisierung in der SBZ/DDR bis hin zum Stalinismus Anfang der 1950er Jahre mit allen Konsequenzen mitgetragen. Eine inhaltliche Distanzierung von der SED-Politik sei erst zu einem Zeitpunkt erfolgt, als er auf Drängen der Parteiführung aus der Politik ausscheiden musste. Persönliche Enttäuschung und Verbitterung hätten dabei eine wichtige Rolle gespielt. Über die eigene Verstrickung in den Prozess der Stabilisierung und Festigung des SED-Regimes habe Steinhoff hingegen nie kritisch reflektiert (192).
Lutz Maeke hat eine pointierte und gut lesbare Biografie vorgelegt, die auf einer breiten Materialgrundlage beruht. Die Studie führt kenntnisreich durch das Leben eines hochrangigen Verwaltungsbeamten und Politikers in der SBZ/DDR, erliegt aber nicht der Versuchung, die Bedeutung des Protagonisten überzubewerten. Die historische Kontextualisierung der Biografie Steinhoffs sowie der Vergleich mit den Lebenswegen anderer Verantwortungsträger nach 1945 tragen maßgeblich dazu bei. Auf knapp 200 Textseiten können gewiss nicht alle Fragen zur Person und zum Wirken Carl Steinhoffs erschöpfend beantwortet werden. Einen solchen Anspruch erhebt der Autor auch nicht. Der weiteren Forschung bietet der inspirierende Band einen überaus wertvollen Kompass.
Anmerkung:
[1] Frank Bösch / Andreas Wirsching (Hgg.): Hüter der Ordnung. Die Innenministerien in Bonn und Ost-Berlin nach dem Nationalsozialismus (= Veröffentlichungen zur Geschichte der deutschen Innenministerien nach 1945; Bd. 1), Göttingen 2018. Siehe dazu auch die Rezension von Daniela Münkel, in: sehepunkte 20 (2020), Nr. 7, URL: http://www.sehepunkte.de/2020/07/32222.html.
Michael C. Bienert