Rezension über:

Ulrich Schnakenberg (Hg.): Helmut Schmidt in Karikaturen. Eine visuelle Geschichte seiner Kanzlerschaft, Schwalbach: Wochenschau-Verlag 2016, 215 S., zahlr. s/w-Abb., ISBN 978-3-7344-0221-0, EUR 16,80
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Rezension von:
Tobias Dietrich
Arbeitsbereich für Geschichtsdidaktik, Johannes Gutenberg Universität, Mainz
Redaktionelle Betreuung:
Christian Kuchler
Empfohlene Zitierweise:
Tobias Dietrich: Rezension von: Ulrich Schnakenberg (Hg.): Helmut Schmidt in Karikaturen. Eine visuelle Geschichte seiner Kanzlerschaft, Schwalbach: Wochenschau-Verlag 2016, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 7/8 [15.07.2016], URL: https://www.sehepunkte.de
/2016/07/28447.html


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Ulrich Schnakenberg (Hg.): Helmut Schmidt in Karikaturen

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Wenn "eine[r] der führenden deutschen Experten für die politische Karikatur des 20. Jahrhunderts" [1] einen Band herausgibt, dann richtet eine Rezension hohe Ansprüche an die geschichtswissenschaftliche und noch mehr an die geschichtsdidaktische Qualität dieser Publikation. Widmet sich dieser Band Helmut Schmidt, dann steigt die Erwartungshaltung weiter an, ist Schmidt doch eine überaus populäre, polarisierende und streitbare Figur der deutschen Zeitgeschichte und des deutschen Feuilletons.

Ulrich Schnakenberg hat sich das ehrgeizige Projekt vorgenommen, mittels Karikaturen aus der Feder von Fritz Behrendt eine "politische Biographie der Kanzlerschaft Helmut Schmidts" (4) zu erzählen. Der äußere Eindruck der Publikation ist erfrischend ungewöhnlich, liegt sie doch in einem Din A 5 Querformat vor.

In elf Kapiteln bietet der Herausgeber Karikaturen von der sozialliberalen Koalition über die Jahrzehnte des Terrors und den NATO-Doppelbeschluss bis hin zum Kanzlersturz an. Insgesamt entsteht der Eindruck, dass die zeitliche Abfolge der einzelnen Karikaturen trotz der Untergliederung in Teilkapitel mehr eine Chronik abbildet, als dass sie einen biografischen Erzählzusammenhang herstellt.

Das Buch folgt einem Doppelseitenprinzip. Beispielsweise wird auf der rechten Hälfte der Doppelseite (113) großformatig eine Karikatur gezeigt, auf welcher der RAF-Terrorist Andreas Baader auf einem Bett liegt, die Arme hinter dem Kopf verschränkt. Rechts an seine Liege gelehnt finden sich Maschinengewehre, Handgranaten und weitere Waffen. Auf der linken Seite stehen drei Personen, die als Marx, Sartre und Freud identifiziert werden können. Marx sagt - mit der Hand auf Baader zeigend: "Ich glaube, hier sind Sie eher zuständig, Kollege Freud." Auf der linken Hälfte der Doppelseite (112) informiert Schnakenberg über den historischen Zusammenhang der Karikatur. So erwähnt er etwa Sartres Besuch in der Justizvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim.

Ein historisch interessierter Leser kann auf dieser Doppelseite lernen, welchen Erscheinungs- und Dokumentensinn die Karikatur besitzt. Schwierig ist es dagegen, den Bedeutungs- und Erzählsinn des Spottbildes zu erfassen. Es fehlen hier wie bei den Begleittexten zu den anderen Karikaturen typologische, chronologische und heuristische Angaben: Handelt es sich um eine Prozess- oder Zustandskarikatur, ist sie vor oder nach dem Besuch des Existenzialisten erschienen und wenn ja, wo? Und welcher Zusammenhang besteht zwischen Helmut Schmidt, Fritz Behrendt und der Zeichnung?

Die Lektüre des Vorwortes und der Danksagung, die den Karikaturen vorangestellt sind, beantwortet diese Fragen nicht. Der Gebrauchswert ebenso wie der Erkenntniswert der Publikation bleiben diffus. Was unterscheidet sie von anderen Karikaturkollektionen? [2] Warum werden nur die Karikaturen von Fritz Behrendt gezeigt? Welches sind die Auswahlkriterien? Welcher leitenden geschichtsdidaktischen Fragestellung folgt der Band? Dient er als Materialvorlage für den Unterricht oder den Erben des "sozialdemokratischen Jahrzehnts" als nostalgische Erinnerung? Kaum mehr Antworten vermag der "brillante Essay" (215) von Manfred Görtemaker zu geben. Denn es handelt sich bei diesem Text um die geringfügig gekürzte, mit Zwischenüberschriften versehene Reproduktion eines Auszugs aus der "Kleine[n] Geschichte der Bundesrepublik Deutschland", die der Potsdamer Historiker vierzehn Jahre vor der Veröffentlichung des hier zu besprechenden Buches vorgelegt hat. Dagegen fehlen explizite Bezüge zu den einschlägigen Schmidt-Biografien, die in den letzten Jahren erschienen sind. [3]

Erst in einer Regionalausgabe der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung finden sich Antworten. Das Buch, so wird Schnakenberg zitiert, sei "sehr populärwissenschaftlich und richte sich an ein breites Publikum. 'Ich möchte jüngere Schmidt-Fans ansprechen, die diese Ära aufgrund ihres Alters nicht selbst miterleben konnten. Aber auch ältere Bewunderer der Person werden sicher ihre Freunde haben'". [4]

Ein derart etwas desillusionierter, aber durch die gelungene Auswahl amüsanter Karikaturen erheiterter Leser stößt am Ende des Buches auf einen 23 Seiten langen Aufsatz des Herausgebers, der - flüssig geschrieben - höchst aufschlussreich über das Leben des Karikaturisten Behrendt (1925-2008) informiert. Dessen Erfahrungen mit dem nationalsozialistischen Deutschland wie mit dem DDR-Regime führten dazu, "Demagogen ohne Rücksicht auf Tabus" (192) bloßstellen zu wollen. Angemessen und ausgewogen würdigt Schnakenberg den Karikaturisten als "Feder für die Freiheit" (210) und belegt seine Ausführungen mit Zeichnungen, die Behrendts politische Positionen veranschaulichen. Auf diese Weise findet der Autor zum Schluss seiner Publikation zu einer narrativen Strategie, die dem Buch insgesamt sehr gut getan hätte.

In der Bilanz legt der Herausgeber eine Sammlung von Karikaturen des Zeichners Fritz Behrendt vor, die einen hohen Unterhaltungswert, einen mäßigen Gebrauchswert und einen geringen Erkenntniswert besitzt.


Anmerkungen:

[1] So die Information zum Autor auf der Internetseite des Wochenschau Verlags: http://www.wochenschau-verlag.de/helmut-schmidt-in-karikaturen-2773.html (zuletzt aufgerufen am 30.06.2016).

[2] Schnakenberg verweist in seinem Literaturverzeichnis auf elf Bände mit Karikaturen von Behrendt. Zur Ergänzung vgl. etwa die von Horst Haitzinger veröffentlichten Jahrbücher "politische Karikaturen", München seit 1973; ferner Hans-Jürgen Pandel: Karikaturen, in: ders. / Gerhard Schneider (Hgg.): Handbuch Medien im Geschichtsunterricht, 6. Auflage, Schwalbach / Ts. 2011, 255-276, hier die Bibliografie 274-276.

[3] Vgl. beispielsweise Hartmut Soell: Helmut Schmidt. Macht und Verantwortung. 1969 bis heute, München 2008.

[4] Thomas Richter: Duisburger gibt neues Karikaturen-Buch über Helmut Schmidt heraus, in: Westdeutsche Allgemeine Zeitung (Duisburg), http://www.derwesten.de/staedte/duisburg/duisburger-gibt-neues-karikaturen-buch-ueber-helmut-schmidt-heraus-id11380360.html, 15.12.2015 (zuletzt aufgerufen am 30.06.2016).

Tobias Dietrich