Rezension über:

Irina Stange: Hans Ritter von Lex. Ein Leben für den Staat (= Veröffentlichung zur Geschichte der deutschen Innenministerien nach 1945; Bd. 6), Göttingen: Wallstein 2022, 656 S., 20 s/w-Abb., ISBN 978-3-8353-5265-0, EUR 44,00
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Rezension von:
Johann Kirchinger
Universität Stuttgart
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Empfohlene Zitierweise:
Johann Kirchinger: Rezension von: Irina Stange: Hans Ritter von Lex. Ein Leben für den Staat, Göttingen: Wallstein 2022, in: sehepunkte 23 (2023), Nr. 2 [15.02.2023], URL: https://www.sehepunkte.de
/2023/02/37256.html


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Irina Stange: Hans Ritter von Lex

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Mittlerweile hat sich die politologische Erkenntnis von der großen Bedeutung der Bürokratien im Prozess der Politikformulierung auch in der Geschichtswissenschaft durchgesetzt. Zunehmend wird nicht mehr nur die Rolle von Parlamentariern und Ministern untersucht, sondern auch der vorgelagerte Bereich der Ministerialbürokratien. Dies wurde etwa jüngst am Beispiel des Bundeslandwirtschaftsministeriums versucht [1], sehr erfolgreich auch am Beispiel des bayerischen Landwirtschaftsministeriums. [2] Auch die beiden deutschen Innenministerien sind zunehmend Gegenstand der Forschung. In der Reihe "Veröffentlichungen zur Geschichte der deutschen Innenministerien nach 1945" ist nun die Biographie des ersten bundesdeutschen Innenstaatssekretärs und Laufbahnbeamten Hans Ritter von Lex als Doktorarbeit aus der Hand der Historikerin Irina Stange erschienen. Sind die bisherigen Arbeiten zur Bürokratiegeschichte eher strukturalistisch orientiert, okkupiert das zunehmende Interesse an den Beamten nun also auch die biographische Methode.

Stange wählt den konventionellen chronologischen Zugang, um das Leben des Rosenheimer Emporkömmlings Lex zu beschreiben. Geboren in eine kleinbürgerliche Beamtenfamilie, die sich nur mit Mühe seine Gymnasialausbildung leisten konnte, sei für ihn früh klar gewesen, dass er die Beamtenlaufbahn einschlagen werde. Da aber kein Geld für eine Promotion da war, nutzte er vor allem seine Zeit als Soldat im Ersten Weltkrieg zum Aufstieg. Durch Tapferkeit erwarb er sich den persönlichen Adelstitel. Nach dem Ersten Weltkrieg durchlief er eine gewöhnliche bayerische Beamtenkarriere. Da die Novemberrevolution bei ihm ein antikommunistisches Trauma hinterlassen habe, engagierte er sich bei den Einwohnerwehren, zunehmend aber auch im politischen Katholizismus bei der Bayerischen Volkspartei (BVP), die er als Garant bayerischer Staatlichkeit empfand. Innerhalb der BVP entwickelte er sich zum Vertrauten des Parteivorsitzenden Fritz Schäffer. Erstmals überschritt er die Grenze zur Politik am Ende der Weimarer Republik, als er 1932 für die BVP in den Reichstag einzog und als Landesführer der Bayernwacht, der Selbstschutzorganisation der BVP, fungierte. Als Angehöriger des rechten BVP-Flügels war er federführend an den bayerischen Koalitionsverhandlungen mit der NSDAP im Frühjahr 1933 beteiligt. Stange macht als Grund dafür die teilweise Übereinstimmung zwischen Lex und der NSDAP auf den Gebieten von Antikommunismus, Nationalismus und autoritärem Antipluralismus aus, darüber hinaus aber auch die Netzwerke, die er mit bürgerlichen Nazis unterhielt. Dies ermöglichte ihm jedenfalls nach kurzer Inhaftierung 1933 eine beachtliche Beamtenkarriere im Dritten Reich. Er wurde ins Reichsinnenministerium versetzt, wo er maßgeblich an der Vorbereitung der Olympischen Spiele 1936 beteiligt war und für die ideologisch bedeutenden Sportangelegenheiten zuständig wurde. Lex zeigte also ein gerüttelt Maß an Anpassungsbereitschaft, wenn er doch stets eine "gewisse Distanz" (241) zur NSDAP wahrte und nie Mitglied der Partei wurde, weshalb ihm auch letzte Beförderungen verweigert wurden. Trotzdem erlebte seine Karriere erst einen Knick, als der beamtenfreundliche Reichsinnenminister Wilhelm Frick 1943 durch Heinrich Himmler ersetzt wurde, der Lex auf die unpolitische Abteilung für Kriegssachschäden versetzte, was für Lex zu Kriegsende wiederum von Vorteil war. Da er nie Mitglied der NSDAP war, eine kurze Inhaftierung aufweisen konnte und zu Kriegsende in einer unpolitischen Abteilung arbeitete, konnte er nach verschiedenen kurzen Inhaftierungen seine Beamtenkarriere wieder fortsetzen und von 1946 bis 1948 als Amtschef im bayerischen Innenministerium fungieren. Als solcher wurde er Mitglied der CSU, in der er wieder eher dem rechten Flügel zuneigte. 1949 wechselte er dann als Staatssekretär in das Bundesinnenministerium, wo er bis zu seinem Ausscheiden 1960 blieb und maßgeblichen Einfluss auf den Aufbau des neuen Ministeriums nahm. Dabei konzentriert sich Stange auf die Bedeutung von Lex für die Personal-, Sicherheits- und Bildungspolitik des neuen Ministeriums.

Bemerkenswert ist, dass Stange die Anpassungsbereitschaft von Lex - sowohl im Dritten Reich als auch als Bundesbeamter, was ihn seine ehedem so lautstark vertretenen föderalistischen Forderungen rasch vergessen ließ - nicht als Opportunismus bezeichnet. Sie führt die politische Anpassungsbereitschaft darauf zurück, dass sich das "Selbstverständnis des unpolitischen Staatsdieners wie ein roter Faden" durch die Biographie von Lex ziehe, er den "Staat als über allem stehendes höchstes Ideal" sah (610). Für Stange ist die Betonung des unpolitischen Charakters des Berufsbeamtentums durch Lex eine Selbststilisierung, die nicht zuletzt der Entschuldigung seiner Anpassung an das Dritte Reich diente. Dabei geht sie aber weiter und sieht darin auch eine biographische Reaktion auf die politischen Umbrüche, angesichts derer ihm das Beamtentum als Hort der Kontinuität galt. Diese Einstellung habe sich bei Lex während der Zeit des Dritten Reiches noch verfestigt. Dabei galt ihm insbesondere der Kommunismus als unruhiger Faktor, während er gegenüber Nationalsozialisten - etwa beim personellen Aufbau des Bundesinnenministeriums - wegen der genannten ideologischen Übereinstimmungen nachsichtiger war.

Insgesamt ist Stange eine kenntnisreiche Darstellung des bürokratisch-politischen Umfeldes der Biographie von Lex gelungen. Nur die Feinheiten der landwirtschaftlichen Interessenvertretungen ließen sie am Rande straucheln, als sie den antiklerikalen Bauernbund mit dem zentrumsnahen Bauernverein verwechselte (106, 151). Gravierender ist, dass die Arbeit mehr die Grenzen als die Möglichkeiten einer Bürokratenbiographie aufzeigt. Bereits die Jugendzeit von Lex wird jenseits des bloßen Datengerüsts zum großen Teil nicht empirisch aus den Quellen analysiert, sondern per Analogieschluss aus der gleichaltrigen Alterskohorte der 'Wiederaufbauer', soweit diese überhaupt bereits erforscht sind. Vor allem aber ist die bürokratische Tätigkeit von Lex, über die er sich ja selbst definierte, kaum zu erforschen. So wird etwa die bedeutsame Rolle des Staatssekretärs bei der Errichtung der bundesdeutschen Sicherheitsarchitektur - wenn auch nicht unplausibel - mehr angenommen als bewiesen. Immerhin ist dies der Autorin auch bewusst, wenn sie schreibt, "welche schwer greifbare und doch entscheidende Position Hans Ritter von Lex innerhalb der Bundesregierung einnahm". Denn (im Hinblick auf Lex und seinen Bürokratenkollegen Hans Globke): "In schriftlichen Quellen kommen sie kaum zum Vorschein, obwohl ihr zweifellos maßgeblicher Einfluss zwischen den Zeilen und gelegentlich direkt herausschimmert" (567). Deshalb gleicht die Arbeit mehr einer themenzentrierten Bürokratie- bzw. Ministeriumsgeschichte als einer Biographie von Lex.


Anmerkungen:

[1] Horst Möller u.a. (Hgg.): Agrarpolitik im 20. Jahrhundert. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft und seine Vorgänger, Berlin 2020.

[2] Raphael Gerhardt: Agrarmodernisierung und europäische Integration. Das bayerische Landwirtschaftsministerium als politischer Akteur (1945-1975) (= Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte 173), München 2019.

Johann Kirchinger