Harm von Seggern (Hg.): Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800). Ein Handbuch. Abteilung I: Analytisches Verzeichnis der Residenzstädte. Teil 1: Nordosten (= Residenzenforschung. Neue Folge: Stadt und Hof), Ostfildern: Thorbecke 2019, 708 S., ISBN 978-3-7995-4535-8, EUR 85,00
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Thomas Biller / G. Ulrich Großmann: Burg und Schloss. Der Adelssitz im deutschsprachigen Raum, Regensburg: Schnell & Steiner 2002
Hilda Lietzmann: Der Landshuter Renaissancegarten Herzog Wilhelms V. von Bayern. Ein Beitrag zur Garten- und Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2001
Matthias Müller: Das Schloß als Bild des Fürsten. Herrschaftliche Metaphorik in der Residenzarchitektur des Alten Reichs (1470-1618), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2004
Das vorgestellte Buch ist der erste Teilband des größeren Handbuchs der Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800), welches in den kommenden Jahren sukzessive erscheinen soll: Dieses ist in drei Abteilungen gegliedert: Abteilung I bietet ein "Analytisches Verzeichnis der Residenzstädte". Abteilung II wird "Gemeinde, Gruppen und soziale Strukturen in Residenzstädten" vorstellen, Abteilung III "Repräsentationen sozialer und politischer Ordnungen in Residenzstädten". Der hier vorzustellende Teilband der Abteilung I betrachtet den Nordosten des Alten Reiches.
In seiner Einleitung erläutert Harm von Seggern Gliederung und Aufbau des Bandes (IX-XVII). Die Region sei pragmatisch gewählt und entspreche weitgehend den ehemaligen obersächsischen und niedersächsischen Reichskreisen, ergänzt um einige angrenzende Gebiete. Konkret soll es um die Stadt als Begegnungsraum zwischen städtischen und höfischen Eliten gehen. Die Residenzstädte würden im Hinblick auf die Anwesenheit des Hofes hin betrachtet. Das Ziel des Bandes sei erreicht, wenn er Grundlagen für zukünftige Forschungen liefere. Es gehe um eine Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Forschung, nicht um neue Erkenntnisse.
Zwei grundlegende Bedingungen für die Aufnahme einer Stadt müssen erfüllt sein. Sie musste Sitz eines relativ selbständigen Herrn gewesen sein und über eine gemeindliche Infrastruktur verfügt haben. Dabei werden gegebenenfalls ehemals eigenständige Städte immer gemeinsam behandelt. Ferner nennt von Seggern sechs zusätzliche Kriterien: Zum ersten eine regelmäßige, aber nicht zwingende Anwesenheit des Herrn vor Ort, was auch für Neben- und Sommerresidenzen oder Witwensitze gilt. Als Sonderfall aufgenommen wurden zudem herrschaftliche Zentralorte wie Leipzig, denn dort habe es höherrangige herrschaftliche Institutionen gegeben. Zum zweiten muss eine gewisse Dauer der Residenznutzung vorliegen, etwa eine Generation. Drittens muss auch eine faktische Herrschaft über den Ort gegeben sein, in der der Herr in die Verfassung der Stadt eingriff. Probleme bereiten hier die geistlichen Fürsten, die tatsächlich oft an anderen Orten wohnten bzw. residierten. Viertens werden zwar Kleinststädte genauer in den Blick genommen, nicht aber Residenzdörfer oder Residenzen ganz ohne Ortschaft. Zum Fünften sind für die Unterscheidung zwischen Kleinststadt und Dorf wirtschaftliche Gegebenheiten von Bedeutung. Die Existenz eines Marktes etwa konnte Kaufleute von außen anziehen und so auf die Bewohner zurückwirken. Sechstens ist der Zusammenhang von Burg bzw. Schloss und Stadt zueinander wichtig sowie die von ihm abhängige oder unabhängige repräsentative Ausstattung mit Palais von Familienmitgliedern, Hofangehörigen oder Adligen, Gasthäusern, Kultureinrichtungen etc.
Insgesamt haben 120 Autor*innen 190 Einträge verfasst. Das Inhaltsverzeichnis nennt die behandelten Orte nicht. Auch gibt es keine Übersichtskarte, wie es beim 'alten' Residenzenhandbuch der Fall war. Ein rasches Auffinden der Ortsartikel oder eine Übersicht sind daher unmöglich. Jedoch gibt es am Ende ein alphabetisches Verzeichnis der behandelten Fürstentümer, Dynastien, Grafen- und Herrenfamilien (das die Orte bei den Dynastien nennt) sowie eine Konkordanz der nicht-deutschen Ortsnamen.
Fast alle Artikel sind einheitlich in acht Punkte untergliedert. Diese werden mit der jeweiligen arabischen Zahl zu Beginn kenntlich gemacht. Der erste Punkt stellt die allgemeine Lage des Ortes und seine Entwicklung dar, und zwar vor, während und nach seiner Nutzung als Residenz. Die meisten Autor*innen stellen an dieser Stelle die Landesgeschichte sowie die Vorgeschichte der Residenz dar und setzen üblicherweise im Frühmittelalter ein. Auch bei den folgenden Punkten wird die gesamte Stadtgeschichte bis 1800 erfasst. Das ist sinnvoll, denn nur so wird deutlich, warum eine Stadt überhaupt zur Residenz aufsteigen konnte.
Punkt 2 stellt dann die Stadtgeschichte im engeren Sinn seit der Stadtgründung vor. Es geht um soziale, politisch-rechtliche und wirtschaftliche Grundstrukturen, aber auch um die Stadtgeografie. Im Allgemeinen wird die Stadt räumlich gefasst, um dann einzelne Bauten und Institutionen zu verorten. So werden funktionale oder soziale Konzentrationen deutlich, die sich teilweise sogar unterschiedlichen (Teil-)Städten zuordnen lassen. Stadterweiterungen werden erwähnt und teilweise auch beschrieben. Oft sind die verschiedenen Rechtsräume wie Immunität oder Freiheit in den Städten benannt, ohne dass aber immer deutlich wird, wo diese Gebiete lagen oder ob es vom Hof, Landesherrschaft oder Adel genutzte Bereiche gab, die unter dem Einfluss des Rats standen. Es ist aber durchaus möglich, dass dieser Aspekt in Abteilung II des Handbuchs behandelt wird und Doppelungen im Gesamtwerk vermieden werden sollten.
Der dritte Punkt ist der Kirchengeschichte gewidmet. Vor allem die kirchlichen Verhältnisse und Institutionen vor der Reformation sind ausführlich dargelegt. Genannt werden aber auch die Reformation und gegebenenfalls die spätere Zulassung anderer Konfessionen und Religionen. Nicht immer erwähnt wird, ob es eine dynastische Grablege der Landesherrschaft oder von anderen Familien in der Stadt gab. Neue Friedhofskirchen sind teilweise aufgenommen, teilweise nicht.
Die unter Punkt 4 vorgesehene Stadtgestalt und repräsentative Nutzung des Stadtraums umfasst kirchliche, kommunale und landesherrliche Bauten sowie Hofbauten. Geografisch und räumlich wird die Stadt erfasst, Rathaus, Freihäuser und Tagungsorte sind benannt. Auffallend oft gab es vor der Burg bzw. dem Schloss einen Bereich im städtischen Raum, der rechtlich zur Landesherrschaft und nicht zur Stadt gehörte. Teilweise sind Residenzlandschaft und Satelliten aufgenommen, teilweise nicht, was wohl von ihrer Bedeutung und dem Forschungsstand abhängt. Veranstaltungen, Feste, Prozessionen oder Zeremonien wie Huldigungen sind nur teilweise genannt. Welchen Weg Einzüge nahmen, wo festliche Veranstaltungen stattfanden und ob es Orte des Zusammentreffens gab wie etwa Opernhäuser, wird vermutlich überwiegend in Abteilung III des Handbuchs thematisiert werden.
An fünfter Stelle erfolgt die Darstellung der regionalen Einbindung und überörtlichen Zusammenhänge (etwa Städtebündnisse, Handelsnetzwerke) oder auch das Fehlen einer größeren überregionalen Bedeutung.
Punkt sechs bietet eine Zusammenfassung. Der Nutzbarkeit des Handbuchs wäre es eventuell dienlich gewesen, diese Zusammenfassung an den Anfang des jeweiligen Eintrags zu stellen. Da dreißig Jahre Residenz zur Aufnahme in das Handbuch ausreichen und über 500 Jahre Stadtgeschichte behandelt werden, hätte man dann schneller erkannt, ob der Eintrag für das jeweilige Interesse relevant ist oder nicht.
Unter 7 Punkt werden Quellen und unter Punkt 8 Literatur angeführt.
Die einzelnen Punkte sind von den Autor*innen unterschiedlich und gelegentlich mit großer Freiheit bearbeitet worden bis hin zum Zusammenfassen verschiedener Punkte (Ludwigslust). Im Mittelpunkt steht nahezu immer die individuelle Stadtgeschichte, deren Darstellung Vorrang vor einem starren Korsett hat. Das erlaubt es, spezifische Besonderheiten darzustellen.
Dabei fällt auf, dass keine Fehlstellen benannt werden. Falls eine Einrichtung oder Institution nicht genannt wird, erschließt sich dem Unkundigen nicht, ob der Bearbeitende diese für die Stadt unwichtig fand, oder ob es sie dort nicht gab. Das ist aber kein Manko dieses ersten Teilbandes, denn erst die Gesamtschau der Artikel ermöglicht es, zu erkennen, was für Residenzstädte typisch war und zukünftig genannt werden sollte, und was nicht. So ist das selbst gesteckte Ziel des Bandes einer Bestandsaufnahme nicht nur erreicht, sondern übertroffen worden.
Heiko Laß